In unserer neuen Interviewreihe “5 Fragen an…” – zur Arbeit in der Wirtschaftsethik werfen wir einen persönlichen Blick hinter die Kulissen  der vielfältigen Berufswelt rund um Ethik, Nachhaltigkeit und verantwortungsvolles Wirtschaften. Wer sind die Menschen, die in diesem Feld arbeiten? Was hat sie auf  diesen Weg geführt und welchen Herausforderungen stehen sie gegenüber? Wir wollen zeigen, wie bunt, menschlich und inspirierend die Berufsbilder in der Wirtschaftsethik sind.

Zu diesem Thema haben wir 5 Fragen an… Stefan Otremba.

 

1. Was hat Sie persönlich dazu bewegt, Ihren Weg in Richtung Ethik und Nachhaltigkeit einzuschlagen? Gab es einen Schlüsselmoment, der Ihre Entscheidung geprägt hat?

Stefan Otremba: Für Philosophie habe ich mich schon in meiner Jugend interessiert. Damals hatte ich zwar zu vielen Themen eine Haltung, habe mit Freunden erste Texte geschrieben. Das war intellektuell anregend, aber meine Argumente waren aus heutiger Sicht betrachtet sicher nicht sehr fundiert. Studiert habe ich dann zunächst Wirtschaftswissenschaften – auch aufgrund der besseren Job-Perspektiven Anfang der 2000’er Jahre.

Ausschlaggebend dafür, mich systematisch mit Fragen der Ethik zu befassen, waren dann meine Einblicke in die realgesellschaftlichen Spannungsfelder zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. In den mittleren 2000’er Jahren kam es immer häufiger zu Massenentlassungen, die von Unternehmen damit begründet wurden, sie müssten ihre Profitabilität im globalen Wettbewerb steigern. Dieses “müssen”, diese vermeintliche Zwangsläufigkeit interessierte mich. Und so begann ich, die Funktionsmechanismen der Wirtschaft zu hinterfragen.

Im Zentrum dieser Befassung stand für mich die Frage, wie das legitime Erfolgsstreben Einzelner – zum Beispiel Unternehmen – mit dem gesellschaftlichen Ziel der Mehrung des allgemeinen Wohlstands auch in Zeiten zunehmender Individualisierung und in globalen Wirkungsketten in Einklang gebracht werden kann.

Systematisch hat mir dann mein berufsbegleitendes Master-Studium der Angewandten Ethik an der Universität Münster sehr geholfen, meiner moralischen Intuition durch fundierte wissenschaftliche ethische Reflexion eine Basis zu geben. Und von der zehre ich bis heute.

 

2. Erzählen Sie uns von einem echten Tiefpunkt in Ihrer Karriere: Was ist schiefgelaufen und was haben Sie daraus gelernt?

Stefan Otremba: Ich muss dazu etwas ausholen: Nach meinem Studium stieg ich bei der Daimler AG ein, zunächst im Finanzbereich und später eröffneten sich mir neue Möglichkeiten in der Konzernrevision und im Compliance-Bereich. Das Unternehmen befand sich damals in einem Umbruch, der mir die Chance bot, innerhalb kurzer Zeit beruflich aufzusteigen. Mit Ende 20 hatte ich eine mittlere Managementposition erreicht, die mir Privilegien bot, von denen ich wenige Jahre zuvor nur hatte träumen können.

In dieser Phase meines Lebens kamen mir erste Zweifel, ob ich den begonnenen Weg “beim Daimler” so würde weitergehen wollen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin dem Unternehmen sehr dankbar, hatte dort eine wunderbare Zeit und bis heute viele Freundschaften. Aber ich hatte das Gefühl, persönlich an das Ende einer Entwicklung gekommen zu sein.

Darüber hinaus sorgte ich mich, dass sich mein soziales Netzwerk immer stärker auf Menschen mit ähnlichen sozioökonomischen Eigenschaften verengen könnte. Kurzum: Mit Mitte 30 entschied ich mich, einen radikalen Wandel zu vollziehen. Ich kündigte meine sichere Position bei Daimler und fing bei einem Berliner Startup als Chief Compliance & Risk Officer an.

Für mich war dieser Schritt raus aus der Komfortzone geradezu epochal. Und auch wenn ich die Startup-Welt bald wieder verließ, um ein Angebot in der Beratung anzunehmen, so hat mich diese Zeit doch viel gelehrt. Das prägt mich bis heute.

 

3. Wie sieht ein typischer Tag in Ihrem Berufsleben aus? Und welche Strategien helfen Ihnen, Beruf und Privatleben im Alltag in Balance zu halten?

Stefan Otremba: Den typischen Arbeitsalltag gibt es bei mir nicht, denn jeder Tag bringt neue Themen und Herausforderungen.

Als Leiter des Bereichs “Governance & Sustainability” der AUMOVIO SE, eines börsennotierten Technologieunternehmens in der Automobilbranche, bewege ich mich an der Schnittstelle zwischen Strategie und operativer Umsetzung. Ich berichte direkt an unseren CEO und arbeite eng mit dem Aufsichtsrat zusammen. Als Mitglied des Executive Committee ist es meine Aufgabe, gemeinsam mit meinen Kollegen im Top Management nicht nur meinen Bereich zu steuern, sondern für das ganze Unternehmen zu denken.

Meine primäre Verantwortung ist es, Themen wie Recht, Compliance, Risikomanagement, Revision oder auch Nachhaltigkeit so im Unternehmen zu etablieren, dass wir die Einhaltung vielschichtiger rechtlicher Anforderungen sicherstellen können, ohne jedoch die Flexibilität, die Agilität und die Geschwindigkeit unseres Unternehmens zu gefährden – und das bei hoher geoökonomischer Dynamik und in globalen Wertschöpfungsketten.

Ein großer Teil meiner Arbeit besteht darin, komplexe Themen zu strukturieren, Prioritäten zu setzen, Vertrauen zu internen und externen Stakeholdern aufzubauen, Brücken zu schlagen und gemeinsame Lösungen zu entwickeln. Oft geht es darum, international dort vor Ort zu sein, wo es gerade sprichwörtlich brennt sowie Zielkonflikte zu erkennen und tragfähige Lösungen zu entwickeln. Kurz gesagt: Kein Tag ist wie der andere, aber der gemeinsame Kern besteht im Stiften von Orientierung an der Schnittstelle von ökonomischen, rechtlichen und ethischen Fragestellungen.

 

4. Welches Projekt liegt Ihnen aktuell besonders am Herzen – und wie setzen Sie diese Vision in die Realität um?

Stefan Otremba: Da muss ich drei Themen ansprechen:

Zum einen meine schon erwähnten Rolle bei der AUMOVIO SE. Als börsennotiertes Unternehmen mit rd. 20 Milliarden Euro Umsatz und 86.000 Mitarbeitern weltweit agieren wir unter den herausfordernden Marktbedingungen der Automobilbranche. Mir ist wichtig, Governance und Nachhaltigkeit als Bestandteile unseres strategischen und operativen Zielsystems zu etablieren. Meine Vision ist eine integrierte Governance in doppelter Hinsicht: Integriert in dem Sinne, dass Governance und Nachhaltigkeit vollständig in die Geschäftsprozesse integriert sind und nicht als zusätzliche Aufgabe wahrgenommen werden. Und integriert dadurch, dass die verschiedenen Governance-Bereiche die zwischen ihnen bestehenden Synergiepotenziale voll ausschöpfen. Das ist mein Verständnis einer effektiven und effizienten Governance- und Nachhaltigkeitsarbeit.

Zum zweiten liegt mir meine Professur für Unternehmensführung, Business Development und Corporate Governance an der HTWK Leipzig am Herzen. Die Verknüpfung von Forschung und Lehre einerseits und praktischer Anwendungsorientierung andererseits war mir immer wichtig. Das möchte ich meinen Studierenden anbieten und sie für Governance und auch Wirtschaftsethik begeistern.

Und schließlich liegt mir das DNWE am Herzen. Als Mitglied des Vorstands des DNWE möchte ich weiterhin daran mitwirken, diese Plattform für einen multiperspektivischen Diskurs zu gesellschaftsrelevanten Fragen der Wirtschaftsethik zu fördern.

 

5. Welche Entwicklungen wünschen Sie sich für Ihre Branche in den kommenden Jahren?

Stefan Otremba: Ich wünsche mir, dass Deutschland und Europa in den kommenden Jahren wieder stärker zu Orten werden, an denen Innovation, Unternehmergeist und industrielle Wertschöpfung optimale Bedingungen finden. Dazu gehören verlässliche politische Rahmenbedingungen, wettbewerbsfähige Energiepreise und deutlich beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren. Wir brauchen weniger Bürokratie und mehr Mut – gerade bei Zukunftsthemen wie Bildung, Digitalisierung, Infrastruktur und Transformation.

Gegenwärtig sehe ich die Gefahr zunehmender Abschottung und wachsender Handelshemmnisse. Offene Märkte und stabile internationale Partnerschaften sind für unsere exportorientierte Wirtschaft im Allgemeinen und die Automobilbranche im Besonderen essenziell. Geopolitische Spannungen und geoökonomische Fragmentierung gefährden Wohlstand, Innovation und gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Mein Wunsch ist, dass wir als Wirtschaft und Politik gemeinsam Wege finden, diese Spannungen zu entschärfen – für eine wettbewerbsfähige, nachhaltige und verlässliche Wirtschaft in einem starken Europa. Und als Fundament für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, das Perspektiven eröffnet, Vertrauen in Institutionen wieder stärkt gesellschaftlichen Zusammenhalt fördert.

 

„5 Fragen an…“ – zur Arbeit in der Wirtschaftsethik ist eine Interviewreihe des DNWE. Sie zeichnet sich besonders durch die Pluralität unserer Expert_innen aus. Die gesamte Reihe veröffentlichen wir fortlaufend im Dossier.

 

 

Über Stefan Otremba

Als Partner der KPMG AG und Head of Corporate Risk Management verantwortet Herr Otremba die deutschlandweiten Beratungs- und Prüfungsaktivitäten im Themenfeld Risikomanagement für den Nichtfinanzsektor. Darüber hinaus fungiert Herr Dr. Otremba als Regionalleiter Corporate Governance Services für die Region Deutschland-Ost. Zuvor war er u.a. als Group Chief Compliance & Risk Officer eines Company Builders in der FinTech-Branche sowie Konzern-Geldwäschebeauftragter eines DAX-Konzerns.

Stefan Otremba hat Wirtschaftswissenschaften sowie Moralphilosophie studiert und über Governance, Risk & Compliance promoviert. Neben seiner beruflichen Tätigkeit ist Dr. Otremba Vorstandsmitglied des Deutschen Netzwerk Wirtschaftsethik sowie Autor zahlreicher Publikationen über Corporate Governance, Risikomanagement, Compliance und Wirtschaftsethik.

 

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