Die Debatte um die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen – kurz CSR – ist nicht neu, befindet sich jedoch seit geraumer Zeit im Wandel. Eine Frage ist dabei besonders in den Fokus gerückt: Wie verhalten sich Unternehmen angesichts geopolitischer Krisen und eines Erstarkens von politischem Extremismus? Und aus wirtschaftsethischer Sicht vor allem die Frage: Wie sollen oder sollten sich Unternehmen in politischen Fragen verhalten? Kurz: Wie beschreiben wir die Corporate Political Responsibility?
Dazu haben wir 5 Fragen an… Theresa Bauer.
(1) Wo beginnt für Sie “politisches Engagement von Unternehmen” und an welche Beispiele denken Sie?
Theresa Bauer: Politisches Engagement beginnt dort, wo Unternehmen versuchen, regulatorische oder politische Entscheidungsprozesse zu beeinflussen – unabhängig davon, ob dies formal als Lobbying bezeichnet wird oder informell über Beratung, Datenbereitstellung, Öffentlichkeitsarbeit oder Koalitionsbildung erfolgt. Politisches Engagement ist damit nicht nur die direkte Einflussnahme gegenüber Gesetzgebenden, sondern umfasst sämtliche strategischen Aktivitäten, die darauf abzielen, politische Rahmenbedingungen im Sinne unternehmerischer Interessen zu gestalten. Beispiele reichen von Positionspapieren zu Umweltschutzstandards über Mitarbeit in Branchenverbänden bis hin zu direkten Gesprächen mit politischen Entscheidungsträgern oder öffentlichkeitswirksamen Kampagnen. Zugleich umfasst politisches Engagement zunehmend Kooperationen mit zivilgesellschaftlichen Akteuren – etwa in Fragen des Klimaschutzes oder der digitalen Rechte -, da diese Konstellationen die politische Wirksamkeit unternehmensseitiger Positionen verstärken können. Politisches Engagement wird damit zu einem breiten Handlungsfeld, das weit über traditionelle Interessenvertretung hinausgeht und erhebliche gesellschaftliche Gestaltungskraft entwickelt. Entscheidend ist daher, ob dieses Engagement konsistent mit den eigenen Verantwortungserklärungen und den Erwartungen der betroffenen Anspruchsgruppen erfolgt.
(2) Wie ist es aus Ihrer Sicht um die Legitimität des politischen Engagements von Unternehmen bestellt? Was ist angemessen und was nicht?
Theresa Bauer: Unternehmen verfügen über kein demokratisches Mandat und sind dennoch in der Lage, politischen Entscheidungsprozessen erheblichen Einfluss zu verleihen. Politisches Engagement ist grundsätzlich legitim, sofern es zur informierten Gesetzgebung beiträgt, Transparenz gewährleistet und sich nicht auf die Durchsetzung partikularer Vorteile auf Kosten gesellschaftlicher Interessen reduziert. Angemessen ist politisches Engagement dort, wo unternehmerische Expertise in komplexen Regulierungsfragen einen sachlichen Mehrwert bietet, Interessen verschiedener Stakeholder einbezieht und nicht im Widerspruch zu eigenen sozialen oder ökologischen Selbstverpflichtungen steht. Unangemessen wird es, wenn Unternehmen ihre strukturelle Macht nutzen, um demokratische Aushandlungen zu verzerren – etwa durch selektive Informationsweitergabe, Drohkulissen oder intransparente Einflusskanäle. Legitimität entsteht somit nicht allein durch formale Rechtmäßigkeit, sondern durch die Orientierung an normativen Prinzipien von Kohärenz, Fairness und Verantwortlichkeit. Politisches Engagement ist nur dann gerechtfertigt, wenn es die Funktionsfähigkeit demokratischer Verfahren respektiert und zu ausgewogenen, gesellschaftlich tragfähigen Entscheidungen beiträgt.
(3) Welche Grenzen hat politisches Engagement von Unternehmen und wann kann es auch gefährlich und schädlich sein?
Theresa Bauer: Die Grenzen politischer Einflussnahme ergeben sich aus der Pflicht, unternehmerische Interessen mit den Auswirkungen auf betroffene Gruppen und gesellschaftliche Ziele auszubalancieren. Engagement wird problematisch, wenn Unternehmen durch Lobbying versuchen, negative Folgen ihres Handelns nicht selbst zu tragen, sondern sie auf andere – etwa die Gesellschaft, die Umwelt oder Beschäftigte – abzuwälzen, etwa indem sie notwendige Regulierungen abschwächen oder verzögern. Problematisch ist auch, wenn die eigenen normativen Ansprüche im Bereich Nachhaltigkeit, Menschenrechte oder Verbraucherschutz unterlaufen werden. Dies zeigt sich exemplarisch in den Debatten um das Lieferkettengesetz: Während einige Unternehmen strengere menschenrechtliche Sorgfaltspflichten ausdrücklich unterstützen, betonen andere vor allem mögliche bürokratische Belastungen und versuchen, regulatorische Anforderungen abzuschwächen. Solche divergierenden Positionen machen deutlich, dass politisches Engagement ambivalent wirken kann und das Risiko birgt, gesellschaftlich notwendige Regulierung zu verzögern.
Problematisch wird es zudem, wenn deliberative Prozesse durch intransparente Einflusskanäle, vorgetäuschte zivilgesellschaftliche Unterstützungsstrukturen oder den übermäßigen Einsatz unternehmensseitiger Ressourcen gegenüber weniger einflussstarken Interessengruppen verzerrt werden. Verantwortungsvolle politische Einflussnahme setzt daher klare Selbstbegrenzung, Kohärenz zu eigenen Verantwortungserklärungen und Respekt vor demokratischen Verfahren voraus.
(4) Welche internen Strukturen (Corporate Governance) und welche Expertise benötigen Unternehmen, um gute politische Entscheidungen zu treffen?
Theresa Bauer: Unternehmen benötigen Governance-Strukturen, die politische Aktivitäten klar verantworten, intern koordinieren und an normativen Leitlinien ausrichten. Zentral ist eine institutionalisierte Schnittstelle zwischen Public-Affairs-Funktionen und Nachhaltigkeits- bzw. CSR-Einheiten, um politische Positionen systematisch mit sozialen und ökologischen Verpflichtungen abzugleichen. Ethikorientierte Entscheidungsprozesse – etwa interne Leitlinien, Codes of Conduct für politische Aktivitäten oder organisationsweite Dialogformate – stärken die Kohärenz zwischen Anspruch und Handeln. Darüber hinaus erfordert verantwortliches politisches Engagement interdisziplinäre Expertise: Kenntnisse über regulatorische Prozesse, Stakeholder-Analyse, gesellschaftliche Wirkungsabschätzung sowie die Fähigkeit zum dialogorientierten Vorgehen. Unternehmen sollten Mechanismen etablieren, die divergierende Perspektiven integrieren, potenzielle Zielkonflikte identifizieren und auf dieser Grundlage belastbare Positionen entwickeln. Eine reflektierte interne Debattenkultur, Transparenz über Entscheidungswege und die Einbindung relevanter Beschäftigtengruppen erhöhen zudem die Qualität politischer Entscheidungen. Governance-Strukturen sind dann angemessen, wenn sie nicht nur Compliance absichern, sondern aktiv dazu beitragen, die gesellschaftlichen Auswirkungen politischer Positionen sichtbar zu machen und verantwortungsvoll zu gestalten.
(5) Worin sehen Sie Chancen und für welche Themen wünschen Sie sich mehr politisches Engagement von Unternehmen?
Theresa Bauer: Chancen entstehen dort, wo Unternehmen ihre politische Einflusskraft nutzen, um gesellschaftlich wünschenswerte Rahmenbedingungen aktiv zu unterstützen. Besonders relevant sind Bereiche, in denen wirtschaftliche und gesellschaftliche Interessen miteinander harmonieren können – etwa die Förderung nachhaltiger Innovationen, ambitionierter Klimapolitik oder digitaler Rechte. Unternehmen verfügen über Expertise, Daten und Innovationskraft, die in politischen Gestaltungsprozessen wertvolle Orientierung bieten können. Wünschenswert ist daher ein verstärktes Engagement, das auf die langfristige Sicherung öffentlicher Güter zielt: Klimaschutz, menschenrechtliche Sorgfaltspflichten, faire Wettbewerbsbedingungen, Transparenz in globalen Lieferketten und eine digitalethisch fundierte Technologiepolitik. Zudem können Unternehmen durch verantwortliche Koalitionen mit zivilgesellschaftlichen Akteuren dazu beitragen, politische Blockaden zu überwinden und anspruchsvolle Zukunftsthemen voranzubringen. Politisches Engagement bietet damit die Chance, die eigene gesellschaftliche Rolle konstruktiv zu erweitern – vorausgesetzt, es erfolgt transparent, kohärent und in Anerkennung demokratischer Grenzen.
Über Theresa Bauer

Prof. Dr. Theresa Bauer ist Professorin für Wirtschaftsethik an der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM). Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Corporate Social Responsibility (CSR), der Corporate Political Responsibility – insbesondere “Responsible Lobbying” – sowie in nachhaltigen Lieferketten. Nach beruflichen Stationen in der PR-Beratung und einer Professur für internationales Marketing wechselte sie 2018 an die THM. Ihre wissenschaftliche Arbeit untersucht, wie Unternehmen verantwortungsvolle Handlungs- und Entscheidungsprozesse an der Schnittstelle von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft gestalten können.







