Nudging, das gezielte Lenken von Verhalten durch subtile Impulse, gewinnt in der Unternehmenswelt an Relevanz. In unserer Interviewreihe sprechen Expertinnen und Experten darüber, welche Nudging-Techniken zur Mitarbeitermotivation und -bindung besonders wirkungsvoll und verantwortungsvoll sind, welche Risiken Unternehmen beachten sollten und wie kulturelle Faktoren den Erfolg beeinflussen. Entdecken Sie, wie Unternehmen mit kleinen Veränderungen große Wirkungen erzielen können und welche ethischen Überlegungen dabei eine zentrale Rolle spielen.

Zu diesem Thema haben wir 5 Fragen an… Katharina Elsner

 

1. Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrem Unternehmen oder Ihrer Forschung gemacht, die zeigen, wie Nudging das Verhalten von Mitarbeitern positiv beeinflussen kann, ohne dabei die ethischen Grenzen zu überschreiten?

Katharina Elsner: In meiner Rolle als Auslagerungsbeauftragte prüfe ich Verträge selbst auf MaRisk- und DORA-Konformität und führe Produktbewertungen sowie Due-Diligence-Prozesse durch. Damit der Vertragsprüfungsprozess schnell und korrekt abgeschlossen werden kann, benötige ich zusätzlich Stellungnahmen von relevanten Beauftragten und Fachabteilungen, etwa zu AT 8.1 und AT 8.2 MaRisk (Neu-Produkt- und Veränderungsprozesse) sowie Vorstandsentscheidungen.

Hier setze ich Nudging gezielt ein: Statt formaler Erinnerungen nutze ich kurze, positive Hinweise wie “Ihre Einschätzung ist entscheidend für die Compliance unserer Bank” oder übersichtliche Status-Updates, die den Fortschritt sichtbar machen. Diese kleinen Impulse erhöhen die Bereitschaft zur zeitnahen Rückmeldung, ohne Druck auszuüben.

Wichtig ist, dass Nudging ethisch bleibt: Es darf nicht manipulativ wirken, sondern soll Transparenz schaffen und die Eigenverantwortung stärken. Für mich bedeutet das, Nudges so zu gestalten, dass sie Orientierung geben und die Bedeutung der Aufgabe verdeutlichen, immer mit der Möglichkeit, bewusst zu entscheiden.

So wird Nudging zu einem Instrument, das die Zusammenarbeit effizienter macht, Compliance sichert und die Werte einer Genossenschaftsbank wahrt.

 

2. Können Sie Beispiele für Nudging-Techniken nennen, die Sie als besonders ethisch vertretbar oder problematisch erachten? Welche Kriterien sollten Unternehmen verwenden, um solche Maßnahmen zu bewerten?

Katharina Elsner: Für mich sind Nudging-Techniken dann vertretbar, wenn sie Transparenz schaffen und die Entscheidungsfreiheit der Mitarbeitenden respektieren. Besonders hilfreich sind Impulse, die komplexe Vorgaben wie MaRisk oder DORA verständlich machen und dadurch den Zugang erleichtern. Wenn Informationen klar strukturiert sind und Erinnerungen positiv formuliert werden, fühlen sich Fachverantwortliche und Beauftragte motiviert, ihre Stellungnahmen oder Risikoanalysen fristgerecht einzubringen. Solche Maßnahmen unterstützen die Zusammenarbeit und erleichtern die Arbeit, ohne Druck auszuüben.

Problematisch wird Nudging hingegen dann, wenn es verdeckt oder manipulativ eingesetzt wird. Wenn Mitarbeitende durch unklare Kommunikation oder versteckte Einschränkungen in eine bestimmte Richtung gedrängt werden, ohne die Konsequenzen zu kennen, überschreitet das die ethischen Grenzen. Ebenso kritisch ist es, wenn emotionale Schwächen ausgenutzt oder Alternativen verschwiegen werden. In solchen Fällen geht es nicht mehr um Unterstützung, sondern um Steuerung und das untergräbt Vertrauen. Damit Nudging verantwortungsvoll bleibt, sollten Unternehmen sich immer fragen, ob die Maßnahme offen nachvollziehbar ist, ob die Entscheidungsfreiheit gewahrt bleibt und ob der Zweck legitim und verhältnismäßig ist. Wenn Nudging dazu beiträgt, Prozesse zu erleichtern und gleichzeitig die Werte einer Organisation zu stärken, dann ist es ein Instrument, das nicht nur effizient wirkt, sondern auch Vertrauen und Fairness fördert.

 

3. Könnte der Einsatz von Nudging in der Mitarbeitermotivation und -bindung auch unerwünschte Nebeneffekte haben? Wenn ja, wie können Unternehmen diese Risiken minimieren?

Katharina Elsner: Ja, Nudging kann durchaus unerwünschte Nebeneffekte haben, wenn es unbedacht oder falsch eingesetzt wird. Ein wesentliches Risiko besteht darin, dass Mitarbeitende sich manipuliert fühlen, wenn die Absicht hinter einem Nudge nicht klar erkennbar ist. In solchen Fällen kann Vertrauen verloren gehen und die Motivation sinken. Ebenso problematisch ist es, wenn Nudges zu stark auf kurzfristige Ziele ausgerichtet sind. Dann entsteht vielleicht eine oberflächliche Verhaltensanpassung, aber kein echtes Engagement oder nachhaltige Bindung.

Auch die Übernutzung von Nudging ist kritisch. Wenn Mitarbeitende ständig mit kleinen Hinweisen oder Erinnerungen konfrontiert werden, kann eine Art “Nudge-Müdigkeit” entstehen. Statt die gewünschte Wirkung zu entfalten, führt das im schlimmsten Fall zu Widerstand oder Ablehnung.

Um diese Risiken zu minimieren, ist es entscheidend, Nudging transparent und nachvollziehbar zu gestalten. Mitarbeitende sollten jederzeit verstehen, warum ein Impuls gesetzt wird und welchem Zweck er dient. Ebenso wichtig ist, dass die Entscheidungsfreiheit gewahrt bleibt und Nudges maßvoll eingesetzt werden, nicht als Dauerbeschallung, sondern gezielt und sparsam. Unternehmen sollten außerdem regelmäßig Feedback einholen, um zu prüfen, wie solche Maßnahmen wahrgenommen werden, und gegebenenfalls Anpassungen vornehmen. Schließlich hilft es, vor jedem Einsatz einen kurzen „Ethik-Check“ vorzunehmen: Passt der Nudge zu den Werten des Unternehmens, ist er fair und verhältnismäßig?

Wenn diese Grundsätze beachtet werden, bleibt Nudging ein unterstützendes Werkzeug, das Motivation fördert und Bindung stärkt, ohne Vertrauen oder Autonomie zu gefährden.

 

4. Wie bewerten Sie den Einfluss von kulturellen und sozialen Faktoren auf die Akzeptanz von Nudging-Strategien innerhalb eines Unternehmens? Gibt es spezielle Ansätze, die in unterschiedlichen Unternehmenskulturen besser funktionieren?

Katharina Elsner: Die Akzeptanz von Nudging hängt sehr stark von der jeweiligen Unternehmenskultur und den sozialen Rahmenbedingungen ab. In einer Genossenschaftsbank, die Werte wie Transparenz, Mitbestimmung und Vertrauen betont, entfalten Nudges ihre Wirkung vor allem dann, wenn sie diese Prinzipien widerspiegeln. Offene Kommunikation und die Betonung des gemeinsamen Nutzens, etwa durch Hinweise wie “Ihr Beitrag stärkt die Compliance und Sicherheit unserer Bank”, werden hier als Unterstützung verstanden und nicht als Bevormundung.

In stärker hierarchisch geprägten Kulturen hingegen werden klare Vorgaben und strukturierte Prozesse oft besser akzeptiert. Dort können direktive Nudges, die Orientierung geben und klare Handlungsoptionen aufzeigen, wirksamer sein. In kooperativen Umgebungen wiederum sind partizipative Ansätze gefragt: Nudges, die Wahlmöglichkeiten betonen oder Feedback einbeziehen, passen besser zu einer Kultur, die auf Mitgestaltung setzt.

Auch soziale Faktoren wie Teamdynamik spielen eine wichtige Rolle. In stark vernetzten Teams wirken positive Gruppeneffekte besonders motivierend, etwa wenn sichtbar gemacht wird, dass die meisten Abteilungen ihre Stellungnahme bereits abgegeben haben. In individualistischeren Strukturen dagegen sollte stärker die persönliche Verantwortung hervorgehoben werden, damit sich Mitarbeitende direkt angesprochen fühlen. Entscheidend ist für mich, dass Nudging immer an die Kultur und die Werte des Unternehmens angepasst wird. Transparenz und Fairness sind dabei Grundprinzipien, die in allen Kontexten gelten sollten. Wenn Nudges kulturell stimmig eingesetzt werden, werden sie nicht als Manipulation wahrgenommen, sondern als hilfreicher Impuls, der gemeinsame Ziele unterstützt und die Zusammenarbeit fördert.

 

5. In welchen Bereichen der Unternehmensführung sehen Sie das größte Potenzial für den Einsatz von Nudging-Strategien, und welche ethischen Überlegungen sollten dabei angestellt werden?

Katharina Elsner: Das größte Potenzial für Nudging sehe ich in Bereichen, in denen Entscheidungen komplex sind und die Einhaltung von Compliance-Vorgaben eine zentrale Rolle spielt, etwa im Risikomanagement, bei Vertragsprüfungen oder in Veränderungsprozessen. Gerade dort können kleine Impulse helfen, Fristen einzuhalten, Informationen vollständig bereitzustellen und die Zusammenarbeit zwischen Fachabteilungen zu fördern. Ein kurzes, positiv formuliertes Signal wie „Ihre Stellungnahme trägt zur Sicherheit unserer Bank bei“ oder eine visuelle Fortschrittsanzeige im Prozessmanagement macht deutlich, dass jede Rückmeldung einen wichtigen Beitrag leistet. Solche Hinweise erleichtern die Arbeit, ohne Druck aufzubauen, und stärken gleichzeitig das Bewusstsein für Verantwortung.

Darüber hinaus entfaltet Nudging auch im Change Management und bei Nachhaltigkeitsinitiativen seine Wirkung. Wenn gewünschtes Verhalten durch kleine, klug gesetzte Impulse erleichtert wird, entsteht Motivation, ohne dass Zwang ausgeübt werden muss. Gerade in Veränderungsprozessen kann Nudging helfen, Unsicherheiten abzubauen und Mitarbeitende aktiv einzubinden.

Damit Nudging jedoch nicht ins Gegenteil verkehrt, sind ethische Überlegungen unverzichtbar. Mitarbeitende müssen jederzeit nachvollziehen können, warum ein Nudge eingesetzt wird und welchem Zweck er dient. Die Wahlfreiheit darf nicht eingeschränkt werden, und der Einsatz muss einem legitimen Ziel wie Compliance, Sicherheit oder Nachhaltigkeit dienen. Ebenso wichtig ist, dass Nudges fair gestaltet sind und niemanden benachteiligen. Schließlich sollte auch die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben: Ein Nudge darf nicht überladen oder bevormundend wirken, sondern muss sich harmonisch in die Unternehmenskultur einfügen.

Wenn diese Grundsätze beachtet werden, wird Nudging zu einem Instrument, das nicht nur Unternehmensziele unterstützt, sondern auch die Werte einer verantwortungsvollen Organisation wahrt und die Zusammenarbeit nachhaltig stärkt.

 

 

Nudging im Unternehmen: Wie viel Einfluss ist ethisch vertretbar? – 5 Fragen an… ist eine Interviewreihe des DNWE. Sie zeichnet sich besonders durch die Pluralität unserer Expert_innen aus. Die gesamte Reihe veröffentlichen wir fortlaufend im Dossier.

 

 

Über Katharina Elsner

Katharina Elsner ist Wirtschaftsjuristin (LL.B.) in Ausbildung mit Schwerpunkt auf Compliance, Auslagerungs- und Risikomanagement sowie Beschwerdebearbeitung in der Finanzbranche. Sie verfügt über zwei abgeschlossene Berufsausbildungen als Industriekauffrau und Rechtsanwaltsfachangestellte und bringt langjährige Erfahrung in verantwortungsvollen Funktionen mit, unter anderem in der Vorstands- und Geschäftsführungsassistenz inklusive Personalmanagement.

Derzeit prüft sie Verträge auf MaRisk- und DORA-Konformität, begleitet diese durch Due-Diligence-Prozesse und Risikoanalysen und bearbeitet Beschwerden rechtlich fundiert mit konkreten Handlungsempfehlungen, die in Fallabschlüssen an die Kunden münden. Parallel dazu arbeitet sie an ihrer Bachelor-Thesis zum Thema “Compliance und Vertrauen”, in der sie untersucht, wie Unternehmen durch klare Leitlinien und transparente Prozesse Vertrauen aufbauen oder zurückgewinnen können.

Katharina Elsner ist zudem zertifizierte Auslagerungsbeauftragte (ADG) und strebt zur fachlichen Vertiefung einen Master in Compliance & Risikomanagement sowie weitere ADG-Zertifizierungen zur Datenschutz- und MaRisk-Compliance-Beauftragten an.

 

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