Nudging, das gezielte Lenken von Verhalten durch subtile Impulse, gewinnt in der Unternehmenswelt an Relevanz. In unserer Interviewreihe sprechen Expertinnen und Experten darüber, welche Nudging-Techniken zur Mitarbeitermotivation und -bindung besonders wirkungsvoll und verantwortungsvoll sind, welche Risiken Unternehmen beachten sollten und wie kulturelle Faktoren den Erfolg beeinflussen. Entdecken Sie, wie Unternehmen mit kleinen Veränderungen große Wirkungen erzielen können und welche ethischen Überlegungen dabei eine zentrale Rolle spielen.

Zu diesem Thema haben wir 5 Fragen an… Saskia Rotterdam

 

1. Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrem Unternehmen oder Ihrer Forschung gemacht, die zeigen, wie Nudging das Verhalten von Mitarbeitern positiv beeinflussen kann, ohne dabei die ethischen Grenzen zu überschreiten?

Saskia Rotterdam: In meiner Beratungspraxis habe ich erlebt, dass Nudging ein wirkungsvolles Instrument ist, um das oft als trocken wahrgenommene Compliance Management für Mitarbeitende greifbar und “lebbar” zu machen. Nudging basiert auf verhaltensökonomischen Ansätzen und setzt gezielte Impulse, die das regelkonforme Verhalten fördern, ohne Zwang oder Sanktionen auszuüben. Beispielsweise können Compliance-Regeln durch visuelle Hinweise, positive Formulierungen oder die Integration in alltägliche Arbeitsprozesse so gestaltet werden, dass sie intuitiv befolgt werden. Ein Beispiel ist die Platzierung von Erinnerungen an Datenschutzrichtlinien direkt am Arbeitsplatz oder die Gestaltung von Schulungen als interaktive Formate, die Mitarbeitende aktiv einbinden. Wichtig ist dabei, dass Nudging die Entscheidungsfreiheit der Mitarbeitenden respektiert und keine Manipulation darstellt. Die ethische Grenze wird gewahrt, indem Nudges transparent kommuniziert und als Unterstützung zur Selbststeuerung verstanden werden. So wird Compliance nicht als starres Regelwerk, sondern als Teil der Unternehmenskultur wahrgenommen. Die positiven Erfahrungen zeigen, dass Mitarbeitende sich eher mit den Werten und Regeln identifizieren, wenn sie durch Nudging motiviert werden, diese im Alltag umzusetzen.

 

2. Können Sie Beispiele für Nudging-Techniken nennen, die Sie als besonders ethisch vertretbar oder problematisch erachten? Welche Kriterien sollten Unternehmen verwenden, um solche Maßnahmen zu bewerten?

Als Compliance Officerin und Dozentin für Wirtschaftsethik bewerte ich Nudging-Techniken stets unter ethischen Gesichtspunkten. Besonders vertretbar sind Maßnahmen, die Transparenz wahren und die Autonomie der Mitarbeitenden respektieren.

Beispiele hierfür sind:

  1. Erinnerungen und visuelle Hinweise: Zum Beispiel dezente Pop-ups, die an das Ausloggen aus sensiblen Systemen erinnern, oder farblich markierte Felder in Formularen, die auf notwendige Angaben hinweisen.
  2. Positive Verstärkung: Lob oder kleine Anerkennungen für regelkonformes Verhalten, etwa durch interne Kommunikationskanäle
  3. Voreinstellungen: Standardmäßig datenschutzfreundliche Einstellungen, die Mitarbeitende aber jederzeit anpassen können.

Problematisch werden Nudging-Techniken, wenn sie in Richtung Manipulation gehen oder die Entscheidungsfreiheit einschränken, etwa durch:

  • Intransparente Gestaltung: Wenn Mitarbeitende nicht erkennen, dass sie beeinflusst werden.
  • Übermäßiger sozialer Druck: Zum Beispiel durch Rankings, die individuelles Verhalten öffentlich machen und sozialen Konformitätsdruck erzeugen.

Unternehmen sollten folgende Kriterien zur Bewertung von Nudging-Maßnahmen heranziehen:

  • Transparenz: Ist für alle klar, dass und wie beeinflusst wird?
  • Freiwilligkeit: Bleibt die Entscheidungsfreiheit gewahrt?
  • Verhältnismäßigkeit: Steht der Nutzen der Maßnahme im angemessenen Verhältnis zum Eingriff?
  • Zielorientierung: Dient das Nudging dem legitimen Unternehmensinteresse und dem Schutz der Mitarbeitenden?

Nur wenn diese Kriterien erfüllt sind, ist Nudging aus ethischer Sicht vertretbar und kann das Compliance Management sinnvoll unterstützen.

 

3. Könnte der Einsatz von Nudging in der Mitarbeitermotivation und -bindung auch unerwünschte Nebeneffekte haben? Wenn ja, wie können Unternehmen diese Risiken minimieren?

Der Einsatz von Nudging in der Mitarbeitermotivation und -bindung kann durchaus unerwünschte Nebeneffekte mit sich bringen. Aus meiner Sicht als Compliance Officerin und Dozentin für Wirtschaftsethik besteht die Gefahr, dass Mitarbeitende sich manipuliert fühlen oder das Vertrauen in die Unternehmenskultur verlieren, wenn Nudges zu subtil oder undurchsichtig eingesetzt werden.

Dies kann zu Widerstand, Demotivation oder sogar zu einer ablehnenden Haltung gegenüber Compliance-Maßnahmen führen. Ein weiteres Risiko besteht darin, dass Nudging unbeabsichtigt soziale Dynamiken verstärkt, etwa durch Gruppendruck oder die Ausgrenzung von Mitarbeitenden, die sich nicht wie gewünscht verhalten. Auch kann die ständige Beeinflussung zu einer Überforderung führen, wenn Mitarbeitende das Gefühl haben, permanent gesteuert zu werden.

Um diese Risiken zu minimieren, sollten Unternehmen Nudging-Maßnahmen stets transparent kommunizieren und die Mitarbeitenden aktiv einbinden. Es empfiehlt sich, regelmäßig Feedback einzuholen und die Wirkung der Maßnahmen kritisch zu evaluieren. Die Entscheidungsfreiheit muss jederzeit gewahrt bleiben, und Nudges sollten als unterstützende Angebote verstanden werden, nicht als versteckte Steuerungsinstrumente.

 

4. Wie bewerten Sie den Einfluss von kulturellen und sozialen Faktoren auf die Akzeptanz von Nudging-Strategien innerhalb eines Unternehmens? Gibt es spezielle Ansätze, die in unterschiedlichen Unternehmenskulturen besser funktionieren?

Mit meiner Berufserfahrung in internationalen Unternehmen und Teams habe ich festgestellt, dass kulturelle und soziale Faktoren einen erheblichen Einfluss auf die Akzeptanz von Nudging-Strategien haben.

In Kulturen mit flachen Hierarchien und ausgeprägter Feedbackkultur werden Nudges, die auf Eigenverantwortung und Transparenz setzen, meist positiv aufgenommen. Hier funktionieren beispielsweise offene Kommunikation, partizipative Entscheidungsprozesse und freiwillige Verhaltensimpulse besonders gut. In stärker hierarchisch geprägten oder kollektivistisch orientierten Unternehmenskulturen hingegen können Nudging-Strategien, die auf Gruppendynamik oder soziale Normen setzen, effektiver sein.

Beispielsweise wirken Hinweise auf das Verhalten der Mehrheit (“Die meisten Kolleginnen und Kollegen haben bereits…”) oder gemeinschaftliche Zielsetzungen motivierend, solange sie nicht als Druck empfunden werden. Wichtig ist, dass Nudging immer an die jeweilige Unternehmenskultur angepasst wird. Eine Maßnahme, die in einem internationalen Team mit hoher Diversität funktioniert, sollte kulturelle Unterschiede respektieren und verschiedene Kommunikationsstile berücksichtigen.

Unternehmen sollten daher regelmäßig die Wirkung ihrer Nudging-Strategien evaluieren und offen für Anpassungen sein. Entscheidend ist, dass Nudges als unterstützende Angebote wahrgenommen werden und die Vielfalt der Belegschaft wertschätzen – so steigt die Akzeptanz und Wirksamkeit nachhaltig.

 

5. In welchen Bereichen der Unternehmensführung sehen Sie das größte Potenzial für den Einsatz von Nudging-Strategien, und welche ethischen Überlegungen sollten dabei angestellt werden?

Aus meiner Sicht als Führungskraft, Compliance Officer und Dozentin für Wirtschaftsethik sehe ich das größte Potenzial für den Einsatz von Nudging-Strategien in den Bereichen Compliance, Arbeitssicherheit, Nachhaltigkeit und ethisches Verhalten im Unternehmen.

Gerade dort, wo Regeln und Richtlinien oft als abstrakt oder bürokratisch wahrgenommen werden, kann Nudging helfen, gewünschtes Verhalten auf eine positive und motivierende Weise zu fördern.

Beispielsweise können kleine Impulse – wie Erinnerungen an die Einhaltung von Datenschutzbestimmungen, visuelle Hinweise zur Arbeitssicherheit oder die Hervorhebung nachhaltiger Handlungsoptionen – Mitarbeitende dazu anregen, sich regelkonform und verantwortungsbewusst zu verhalten, ohne dass Zwang ausgeübt wird.

Auch im Bereich der Führung und Zusammenarbeit kann Nudging dazu beitragen, Feedbackkultur, Diversität und Inklusion zu stärken. Ethisch relevant ist dabei vor allem die Wahrung der Autonomie und Entscheidungsfreiheit der Mitarbeitenden. Nudging darf niemals manipulativ oder intransparent sein.

Unternehmen sollten daher sicherstellen, dass Nudges offen kommuniziert werden, nachvollziehbar sind und stets dem Wohl der Mitarbeitenden sowie den Unternehmenswerten dienen. Eine regelmäßige Überprüfung und Reflexion der eingesetzten Maßnahmen ist essenziell, um ethische Grenzen nicht zu überschreiten und das Vertrauen der Belegschaft zu erhalten.

 

 

Nudging im Unternehmen: Wie viel Einfluss ist ethisch vertretbar? – 5 Fragen an… ist eine Interviewreihe des DNWE. Sie zeichnet sich besonders durch die Pluralität unserer Expert_innen aus. Die gesamte Reihe veröffentlichen wir fortlaufend im Dossier.

 

 

Über Saskia Anna Rotterdam

Saskia Anna Rotterdam ist seit Juni 2020 als freiberufliche Compliance Consultant tätig und berät nationale sowie internationale Unternehmen bei der Einführung und Betreuung von Compliance-Management-Systemen. Ihr Schwerpunkt liegt auf Mittelstandsunternehmen, gemeinnützigen Gesellschaften und Stiftungen.

Sie übernimmt zudem die Rolle des externen Ombudsmanns und ist als Dozentin für Compliance Management, CSR-Management und Wirtschaftsethik an verschiedenen Akademien aktiv.

Als Autorin veröffentlicht sie Fachbeiträge und Bücher, unter anderem bei Springer Gabler und WEKA. Zuvor war sie als Referentin der Geschäftsführung und Compliance-Beauftragte bei EFAFLEX Tor- & Sicherheitssysteme GmbH & Co. KG sowie als Vorstandsassistentin bei HAMM AG (John Deere Konzern) tätig.

In diesen Positionen verantwortete sie unter anderem die Einführung von Compliance-Systemen, Datenschutz, internationale Vertragsgestaltung und die Leitung von Projekten zur Mitarbeiterbindung und Marktforschung. Frau Rotterdam ist zertifizierte Compliance Officerin (Hochschule der Wirtschaft für Management, Mannheim) und Datenschutzbeauftragte (FFD Forum für Datenschutz, Wiesbaden).

Ihr Studium der Europäischen Unternehmensführung schloss sie als Diplom-Kauffrau (FH) an der FHDW Hannover ab.

 

Ähnliche Beiträge

Das Europäische Parlament hat heute für eine weitreichende Abschwächung des EU-Lieferkettengesetzes...

Markus Scholz, Professor für Management und Unternehmensethik an der TU Dresden, untersucht in...

Im Vorfeld des Gipfeltreffens der G20-Staaten am 22. und 23. November 2025 in...

Hinterlassen Sie eine Antwort