Die Weihnachtszeit beschert uns die Aussicht auf eine Bundestagswahl. Der Wahlkampf hat längst begonnen. Und während die einen von den üblichen Ritualen zunehmend frustriert sind, sagen andere: So läuft das Spiel eben. Vereint sind die meisten Menschen aber in ihrer Hoffnung auf eine bessere Demokratie, die Probleme löst, Fortschritt ermöglicht und faire Teilhabe gewährleistet.
Und weil Weihnachten ja für Hoffnung steht, drei Wünsche an ein gutes Wahljahr:
(1) Mehr inhaltliche Angebote und weniger persönliche Attacken anbieten
Spätestens seit der letzten Wahl dominiert bei Polit-Profis die Strategie “Man gewinnt Wahlen durch die Fehler der anderen“. Heißt konkret: Inhaltlich selbst den Ball flach halten und die Gegner möglichst hart attackieren. Für die Wählenden bedeutet das: Wenig Lösungsangebote für ihre Probleme im Wahlkampf, stattdessen mehr politischer Überbietungswettbewerb an gegenseitigen Schuldzuweisungen und persönlichen Diskreditierungen. Diese Art des Offensivspiels mag Parteien kurzfristig taktische Vorteile bringen. Sie führt aber dauerhaft zu “Haltungsschäden” – und ruiniert das gemeinsame Spielfeld. Denn je mehr man anderen vor der Wahl jegliche Verantwortung und Kompetenz abspricht, umso schwieriger werden nach der Wahl Koalitionen vereinbar und vermittelbar. Ohne Zusammenarbeit lassen sich in der freiheitlichen Demokratie aber keine Probleme lösen. Mit Blick auf notwendige Kompromisse wäre es besser, wenn sich konkurrierende Parteien mehr an konstruktiven Lösungsvorschlägen und weniger an destruktiver Kritik unterscheiden ließen.
(2) Mehr Verantwortung für weniger Regeln vorleben
Kaum ein Thema vereint die Menschen so sehr wie die Kritik an Bürokratie und zu vielen Regeln. Die Ursachen liefert die Forschung: Menschen trauen anderen zu wenig Verantwortung zu – und wollen sich selbst gegen Schädigungen schützen (wie auch unsere Daten zeigen). Das wuchernde Ordnungsdickicht gefährdet aber zunehmend die Grundlagen unserer Freiheit. Daher gilt gerade jetzt: Wer im Namen von Fortschritt weniger Regeln einfordert, sollte umso mehr Verantwortung im Umgang mit anderen erkennen lassen. Das bedeutet: Sagen was man denkt, tun was man sagt, und sein was man tut (Alfred Herrhausen). Zuletzt hat der politische Betrieb dagegen vor allem Beispiele geliefert, wie verantwortliche Zusammenarbeit vordergründig beschworen und im Hintergrund “torpediert” wurden. Das ist Wasser auf die Mühlen aller, die Kooperation prinzipiell misstrauen und deshalb mehr präventive Kontrollen und detailliertere Regeln fordern. Oder zugespitzt: Ein Konjunkturprogramm für die Bürokratie.
(3) Mehr Fakten und weniger Fiktion
Weltweit gewinnen Populisten Wahlen, indem sie gesicherte Fakten ignorieren oder bestreiten. Und erwiesene Lügen als Wahrheiten darstellen. Das erschüttert die Demokratie in ihren Grundfesten. “Konsequentes Lügen ist im wahrsten Sinne des Wortes bodenlos und stürzt Menschen ins Bodenlose – ohne je imstande zu sein, einen anderen Boden, auf dem Menschen stehen könnten, zu errichten” (Hannah Arendt). Wenn demokratische Parteien den freien Fall aufhalten wollen, müssen sie daran festhalten “zu sagen, was ist”. Und den kurzfristigen Vorteilen von populistischen Fiktionen und moralistischer Empörung widerstehen. Nicht allein aus ethischen Gründen, sondern auch im pragmatischen, langfristigen Eigeninteresse. Die Demokratieforschung zeigt: Wer in der Vergangenheit populistische Strategien kopierte, hat nur die Originale stärker gemacht. Denn: Demokraten zerstören ihr Unterscheidungsmerkmal, wenn sie konstitutive Werte wie Wahrheit und Gerechtigkeit im politischen Wettbewerb preisgeben.
Das sind zugegeben hehre Wünsche an ein Wahljahr, in dem knallharte Themen verhandelt werden. Aber am Ende eines Jahres, in dem wir 105 Jahre Weimarer Verfassung, 75 Jahre Grundgesetz und 35 Jahre Mauerfall feiern, sollten wir uns bewusst machen: Politische Rituale sind nicht in Stein gemeißelt. Sie werden von Menschen in Freiheit und mit Verantwortung gestaltet. Eine bessere Demokratie mit mehr Problemlösungen, mehr Fortschritt und mehr Teilhabe muss bei diesen Ritualen ansetzen. Verordnen lässt sie sich nicht.
HINWEIS:
Der Text erschien als aktueller Standpunkt unter:
https://wcge.org/de/veroeffentlichungen/wzge-standpunkt/aktuelles/782-wuensche-an-das-wahljahr
Die Autoren
Dr. Martin von Broock
Dr. Martin von Broock (Jahrgang 1975) studierte Betriebswirtschaft, Politik, Publizistik und öffentliches Recht in Göttingen. Nach seinem Abschluss als Dipl.-Sozialwirt (2001) arbeitete er mehrere Jahre in einer internationalen Kommunikations- und Politikberatung für Unternehmen und Verbände aus den Branchen Finanzen, Immobilien und Energie sowie verschiedene Bundes- und Landesministerien. 2011 schloss er seine Promotion am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Unternehmensethik an der HHL Leipzig Graduate School of Management ab. Seit 2012 ist er Mitglied des Vorstands am Wittenberg-Zentrum für Globale Ethik (WZGE), seit 2014 dessen Vorsitzender. Für Branchen, Unternehmen und ihre Stakeholder entwickelt er national und international Dialogprozesse und Projekte, die sich mit der moralischen Qualität der Marktwirtschaft, unternehmerischer Verantwortung und werteorientierter Führung befassen.
Prof. Dr. Andreas Suchanek
Prof. Dr. Andreas Suchanek ist Inhaber des Dr. Werner Jackstädt-Lehrstuhls für Wirtschafts- und Unternehmensethik an der HHL-Leipzig Graduate School of Management und Vorstandsmitglied des Wittenberg-Zentrums für Globale Ethik. Er studierte VWL an den Universitäten Kiel und Göttingen. Wichtigste Veröffentlichungen: Ökonomische Ethik, Tübingen 20072, Unternehmensethik. In Vertrauen investieren, Tübingen 2015