Schülerwettbewerb 2023
PhilosophieArena
Gabriel Nicolas Bolwin
Taunusschule Bad Camberg, Jahrgangsstufe 12
„Willst auch du finanziell frei werden und nie wieder arbeiten müssen?“, fragt in einer unseriösen Internetwerbung ein Mann mit Sonnenbrille, der in einem Lamborghini sitzt. Aufgrund solcher Werbungen könnte man meinen, dass der Mensch eine efe Abneigung gegen jegliche Form der Arbeit hegt. Schon für Aristoteles ist Arbeit kein Wert. Freie Bürger und Philosophen sollen sich seiner Ansicht nach keine Gedanken um Materielles machen. Zwar meint Aristoteles vermutlich eher, dass der Mensch nicht für materiellen Reichtum arbeiten sollte.[1] Dennoch ähnelt dieser Gedanke in gewisser Weise dem der finanziellen Freiheit, der durch Internet-Coaches in Werbungen propagiert wird. Denn auch hier soll der finanziell freie Mensch nicht für Materielles arbeiten, allerdings, weil er das Materielle dann schon in hinreichendem Maße besitzt. Trotz dieser scheinbaren “Arbeitsaversion” sind in Deutschland 46 Millionen Menschen erwerbstätig.[2] Handelt es sich bei Arbeit also um ein großes Konzept des Zwangs oder braucht der Mensch sie doch in gewisser Weise für ein gutes Leben?
Der Begriff des “Brauchens” suggeriert, dass Arbeit einen gewissen Zweck erfüllen, also einen bestimmten Nutzen für den Menschen haben müsste, der unerlässlich ist. Das Vorhandensein von Nutzen wird im Folgenden aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Zunächst wird die Bedeutung von Arbeit für das arbeitende Individuum untersucht. Im Anschluss daran soll der gesellschaftliche Nutzen der Arbeit begutachtet und die Frage beantwortet werden, ob Arbeit für den Menschen unerlässlich ist.
Ich vertrete die Position, dass die meisten Menschen durchaus zur Arbeit gezwungen sind, Arbeit aber auch in vieler Hinsicht nützlich und schlussendlich unerlässlich für den Menschen ist.
1. Individueller Nutzen der Arbeit
1.1. Individueller Nutzen
Wenn wir von einem individuellen Nutzen der Arbeit sprechen, dann sprechen wir von einem Beitrag der Arbeit zu einem guten Leben, das von allen Menschen angestrebt wird. Ein gutes Leben ist eines, das als gut wahrgenommen wird (abgesehen von möglichen objektiven moralischen Kriterien). Ein Individuum führt also ein gutes Leben, wenn es jenes als glücklich empfindet. Glückliche Empfindungen entstehen beim Menschen durch Bedürfnisbefriedigung. Hier sind nicht allein grundlegende Bedürfnisse wie Essen und Trinken, sondern beispielsweise auch ein moralisches Bedürfnis, das wir als Gewissen bezeichnen, mit inbegriffen. Um seine Bedürfnisse zu erfüllen, handelt ein Individuum. Aber von welcher Art des Handelns sprechen wir in diesem Kontext?
1.2. Zwei Arten des Handelns
Denken wir uns zunächst einen Menschen, der sich allein in der wilden Natur befindet. Dieser Mensch wird früher oder später, wenn sein Magen knurrt, zum Jäger oder Sammler werden. Die Tätigkeit des Jagens oder Sammelns fällt in die Kategorie Arbeit. Denn die Motivation hinter jenen Tätigkeiten ist nicht (nur) die Freude an der Tätigkeit selbst, sondern auch ein Nutzen, den sich das handelnde Individuum außerhalb seiner Handlung in Folge der Tätigkeit verspricht. Ein Mensch, der Beeren sammelt, möchte diese beispielsweise im Anschluss daran essen und damit seinen Hunger, also allgemein gesprochen ein Bedürfnis, befriedigen. Die hier angewandte Unterscheidung von Handlungen ist auf Aristoteles zurückzuführen. Laut ihm haben alle Handlungen ein Ziel, wobei sich einzelne Handlungen durch ihre Ziele unterscheiden. Das Ziel einer Handlung könne sowohl die Tätigkeit selbst als auch ein Werk außerhalb ihrer sein.[3]
Die Unterscheidung Aristoteles’ wird nun genauer unter die Lupe genommen. Wenn das Ziel einer Tätigkeit die Tätigkeit selbst ist, dann ist genau genommen das Glücksgefühl, das durch diese Tätigkeit entsteht, das Ziel des Handelnden. Wenn ein Werk außerhalb einer Tätigkeit das Ziel des Handelnden ist, dann ist das eigentliche Ziel das Glücksgefühl, das durch die Folge der Handlung entsteht. Hieraus ergibt sich, dass die Hauptunterscheidung von Aristoteles eine zeitliche ist. Eine Handlung wird ausgeführt, um unmittelbar ein Glücksgefühl zu erlangen. Eine andere wird ausgeführt, um zu einem späteren Zeitpunkt ein Glücksgefühl zu erlangen.
1.3. Individuelle Arbeit
Wir können jetzt versuchen, “individuelle Arbeit” zu definieren. Mit diesem Begriff wird Arbeit aus der Perspektive des Handelnden, bzw. Arbeitenden, beschrieben. Eine als “individuelle Arbeit” bezeichnete Tätigkeit muss die Eigenschaft haben, dass der Handelnde bei ihrer Ausübung ein Glücksgefühl, das zu einem späteren Zeitpunkt entstehen soll, anstrebt. Das bedeutet keineswegs, dass jemand, der arbeitet, kein Glück durch die Tätigkeiten selbst empfinden kann. Lediglich muss die Person auch noch eine Glücksempfindung zu einem späteren Zeitpunkt als Ziel haben. Diese Definition der Arbeit mag vielen Menschen unzureichend erscheinen, weil unser heutiger Arbeitsbegriff stark ökonomisch geprägt ist. Diese Konzeption betrachte ich später im Text.
Da wir nun eine ungefähre Vorstellung des Begriffs Arbeit haben, ergeben sich daraus entsprechende Fragen. Könnte der Mensch auch ein gutes Leben ohne individuelle Arbeit führen? Würde dies bedeuten, dass nur noch Handlungen, die ein unmittelbares Glücksgefühl erzeugen, vollzogen würden?
1.4. Individuelle Arbeit und der Sinn des Lebens
Ich behaupte, dass der Mensch aufgrund seines Wesens und der Natur der Arbeit kein gutes Leben ohne Arbeit führen kann. Grundlage hierfür ist das menschliche Bedürfnis nach Sinn. Selbst die Frage “Leben wir, um zu arbeiten?” impliziert schon die Frage nach dem Sinn des Lebens in der Form “Wozu leben wir?”. Durch religiöse Konzeptionen erweckt die Sinnfrage oft den Anschein als hätte sie eine rein erkenntnistheoretische Natur. Ein Beispiel ist Thomas von Aquins kosmologischer Gottesbeweis, bei dem er annimmt, dass alle Ereignisse in der Welt zielgerichtet sind, dass also Gott die Welt mit einem Ziel geschaffen hat.[4]
Hier wird schon deutlich, dass sich die Frage nach dem Sinn des Lebens eher im Milieu der praktischen Philosophie bewegt. Wenn wir einen Menschen fragen “Wozu hast du das gemacht?” oder “Was ist der Sinn deiner Handlung?”, dann fragen wir genau genommen nach dem Ziel, das die handelnde Person bei ihrer Handlung verfolgt hat. Die Frage nach dem Sinn des Lebens meint damit auch eher die Frage nach dem Ziel des Lebens.
An diesem Punkt können nun zwei verschiedene Interpretationsansätze angewandt werden. Zum einen kann nach dem Ziel gefragt werden, das der bewusste Schöpfer meines Lebens (wenn es ihn denn gibt) verfolgt hat, womit wir uns im religiösen Bereich befänden. Hier kann bemerkt werden, dass die Eltern nicht als bewusste Schöpfer gelten können, weil sie nicht wissen können, wie genau das Leben aussieht, das sie erschaffen. Der andere Interpretationsansatz der Frage nach dem Ziel des Lebens fragt nach dem Ziel, das ein lebendes Individuum verfolgen sollte, womit wir beim “guten Leben” angekommen wären.
1.5. Das Bedürfnis nach langfristiger Zielorientiertheit
Aus der Analyse der Sinnfrage ergibt sich eine Erkenntnis über die Natur des Menschen. Indem der Mensch sich nämlich die Sinnfrage stellt, stellt er immer eine Frage nach einem Ziel. Scheinbar hat der Mensch also ein gewisses Bedürfnis nach Zielorientiertheit, existiere sie in der Natur oder in seinem Leben.
Hier ist es wichtig, zwischen langfristiger und kurzfristiger Zielorientiertheit zu unterscheiden. Ein Social-Media-Nutzer, der durch seinen personalisierten Feed scrollt und nach jeder Wischbewegung ein neues Glücksgefühl empfindet, ist kurzfristig zielorientiert. Betroffene äußern meistens, dass sie nach Social-Media-Nutzung ein schlechtes Gewissen haben. Es entstehe das Gefühl, als sei eine Unmenge an Zeit verschwendet worden. Das Wort “verschwenden” zeigt hier schon, dass die knappe Ressource Zeit einem Zweck zugeführt wurde, der im Nachhinein nicht als sinnvoll empfunden wird. Natürlich gibt es auch Ausnahmen, die von keinerlei Gewissensbissen betroffen sind. Jedoch meine ich, dass die übergroße Mehrheit kurzfristige Zielorientiertheit nicht als sinnvoll einschätzt. Vielmehr wird die langfristige Zielorientiertheit als sinnvoll wahrgenommen. So empfinden beispielsweise leidenschaftliche Pianisten das akribische Üben von musikalisch weniger interessanten Etüden als sinnhaft, weil sie langfristig auf Glückszuwächse durch Technikverbesserungen hoffen, die wiederum dazu führen, dass musikalisch interessantere Stücke besser gespielt werden können. Wir können also annehmen, dass langfristige Zielorientiertheit vom Menschen als sinnvoll empfunden wird.
1.6. Die Notwendigkeit individueller Arbeit
Nun hatten wir in unserer Definition für individuelle Arbeit festgelegt, dass die Bedingung für jene das Anstreben einer Glücksempfindung zu einem späteren Zeitpunkt ist. Ein Mensch, der individuell arbeitet, ist also langfristig zielorientiert. Damit werden alle Handlungen, die individuelle Arbeit sind, als sinnvoll eingeschätzt. Ein Mensch kann entweder langfristig zielorientiert in seinem eigenen Sinne oder im Sinne eines anderen, also altruistisch, handeln. In unserem alltäglichen Leben muss allerdings gezwungenermaßen das Handeln im eigenen Sinne überwiegen, wie beispielsweise Bertold Brechts Drama “Der gute Mensch von Sezuan” verdeutlicht. Die leidenschaftlich altruistische Protagonistin Shen Te muss sich hier ein Alter Ego erschaffen, das eigennützig handelt, um ihre Existenz sichern zu können.[5] Langfristig zielorientiertes Handeln im eigenen Sinn, das zu unserer Definition von individueller Arbeit passt, macht den größten Teil des als sinnvoll empfundenen Handelns aus. Folglich ist individuelle Arbeit unerlässlich für ein Leben, das als sinnvoll empfunden wird.
2. Gesellschaftlicher Nutzen der Arbeit
2.1. Gesellschaftlicher Nutzen
Zunächst sollten wir uns klarmachen, dass der Begriff “Gesellschaft” eine Menge an Individuen bezeichnet. Wie das Wort “Individuum” schon verrät, unterscheiden sich alle Elemente einer Gesellschaft voneinander. Was alle aber gemeinsam haben, sind gewisse Bedürfnisse. Wenn eine Sache größtmöglichen gesellschaftlichen Nutzen hat, dann müssen nahezu alle Individuen einer Gesellschaft von ihr profitieren. Wenn Arbeit also gesellschaftlichen Nutzen haben soll, dann muss sie der Gemeinsamkeit aller Individuen einer Gesellschaft, nämlich den Bedürfnissen, dienen. Von daher ist die gesellschaftliche Arbeit als eine organisierte Bedürfniserfüllung der Mitglieder einer Gesellschaft zu betrachten. Die Bedürfniserfüllung ist für den Menschen unerlässlich, da er sonst nicht mehr als Mensch weiterexistieren kann. Zum Beispiel muss jeder Mensch hinreichend ernährt werden. Eine Nichterfüllung dieses Grundbedürfnisses würde zum Tod führen und damit das Ende des Menschseins bedeuten.
2.2. Gesellschaftliche Arbeit als vielfach bedürfniserfüllend
Wie genau erfüllt gesellschaftliche Arbeit aber nun die Bedürfnisse der Individuen? Im Unterschied zu den Produkten rein individueller Arbeit werden die Produkte gesellschaftlicher Arbeit auf einem Markt angeboten, weshalb diese Form der Arbeit oft ausschließlich ökonomisch betrachtet wird. Dieser Unterschied ist insofern relevant, dass nicht nur der Mensch, der das hergestellte Produkt anbietet, einen Nutzen in Form eines Lohns erlangt. Auch die Käufer des Produkts haben einen Nutzen, weil sie durch das erworbene Produkt ihre Bedürfnisse erfüllen können. Damit hat gesellschaftliche Arbeit immer individuelle Arbeit als notwendige Bedingung. Sie braucht aber zusätzlich als hinreichende Bedingung die Möglichkeit für andere Individuen, ihre Bedürfnisse durch den Erwerb des Produktes, bzw. dessen Nutzung, zu befriedigen.
2.3. Die zeitliche Besonderheit gesellschaftlicher Arbeit
Die gesellschaftliche Arbeit weist im Gegensatz zur individuellen Arbeit die Besonderheit auf, dass sie nur in der Vergangenheit existiert. Ein Mensch, der gesellschaftliche Arbeit verrichtet, kann zwar das Ziel haben, sein Produkt später auf einem Markt anzubieten und somit anderen Individuen die Möglichkeit zur Bedürfniserfüllung zu geben. Jedoch ist die hinreichende Bedingung für gesellschaftliche Arbeit erst erfüllt, wenn das Produkt tatsächlich gekauft und zur Bedürfniserfüllung genutzt wird. Nur dadurch ist sichergestellt, dass das Produkt auch zur Bedürfniserfüllung taugt.
Beispielsweise kann ein Mensch (oder mehrere Menschen in einer Arbeitsteilung) einen Füller produzieren, der gut schreiben soll. Allerdings kann es sein, dass die potenziellen Nachfrager auf einem Markt den Tintenstrich, den der Füller auf einem Papier hinterlässt, als zu dünn oder zu dick erachten und glauben, dass ihre Schrift mit diesem Füller schlecht ist. Sie sehen ihr Bedürfnis durch den Füller nicht erfüllt. Dabei kann der Produzent des Füllers selbst der Ansicht sein, dass die mit dem Füller entstehende Schrift gut leserlich und damit eigentlich bedürfniserfüllend ist. Relevant für die hinreichende Bedingung des Begriffs der gesellschaftlichen Arbeit ist nur die Perspektive der Nachfrager, also derjenigen, denen die Möglichkeit gegeben werden soll, ihre Bedürfnisse durch den Erwerb des Produktes zu erfüllen. Denn obwohl alle Menschen Bedürfnisse haben, sehen die Menschen ihre Bedürfnisse durch unterschiedliche Dinge befriedigt. Auch deswegen sprechen wir nicht von gleichen Menschen, sondern von Individuen.
Zum Zeitpunkt der Bedürfniserfüllung durch ein Produkt gehört dessen Produktion schon längst der Vergangenheit an. Die hinreichende Bedingung für gesellschaftliche Arbeit wird also lange nach dem Abschließen des Arbeits- bzw. Produktionsprozesses erfüllt. Man könnte einwenden, dass mit Beendigung des Produktionsprozesses schon die Beschaffenheit des Produktes und damit dessen Tauglichkeit zur Bedürfnisbefriedigung feststünde. Dieses Argument würde allerdings nur in einer determinierten Welt funktionieren. Ansonsten wäre nämlich nach Beendigung des Produktionsprozesses noch nicht klar, ob in der Zukunft, die noch nicht existiert, ein Nachfrager, dessen Bedürfnisse durch das Produkt erfüllt werden, am Markt vorhanden sein wird.
2.4. Die theoretische Entbehrlichkeit des Menschen bei der Produktion
Nun könnte man fragen, ob es tatsächlich gesellschaftliche Arbeit durch einen Menschen braucht, um die Bedürfnisse von Individuen zu erfüllen. Mancher wird hier an Maschinen oder künstliche Intelligenz (KI) als Alternative denken. Bei Maschinen kann allerdings kaum von gesellschaftlicher Arbeit gesprochen werden, weil diese schließlich nicht mit dem Ziel einer späteren Glücksempfindung handeln können. Nichtsdestotrotz können Maschinen in der Produktion eingesetzt werden und damit gesellschaftlichen Nutzen stiften.
Künstliche Intelligenz ist im Stande, menschliche Bedürfnisse zu analysieren und in Kombination mit anderen Maschinen zu erfüllen. Jedoch muss auch eine KI immer in der Vergangenheit einen menschlichen Erschaffer gehabt haben. Allein das Wort “künstlich” macht schon die schöpferische Funk on des Menschen deutlich. In dieser Kausalkette ist der Mensch also nicht wegzudenken.
Hier kann allerdings eine zeitliche Trennung vorgenommen werden. Die Entwicklung einer KI in der Vergangenheit kann menschliche Arbeit in der Zukunft, bzw. auch in der Gegenwart, ersetzen. Somit müsste genauer geschlussfolgert werden, dass der Mensch nur zu einer bestimmten Zeit menschliche Arbeit braucht, diese aber in Zukunft nicht unbedingt notwendig ist.
2.5. Die praktische Unentbehrlichkeit des Menschen bei der Produktion
Seit Beginn des Industriezeitalters ersetzen Maschinen die Arbeit von Menschen. Das wurde und wird oft nicht positiv aufgenommen. Denn der Mensch arbeitet auch, um zu leben. Den meisten Menschen ist es nur durch ihren Arbeitslohn möglich, Produkte auf einem Markt zu erwerben und damit ihre Bedürfnisse zu erfüllen, bzw. letztendlich ihre Existenz zu sichern. Nicht umsonst bezeichnet der Ökonom Schumpeter den Innovator, in unserem Fall also denjenigen, der eine Maschine erfindet, als schöpferischen Zerstörer.[6]
Das Problem der Abhängigkeit der Menschen von Arbeit bei ihrer Bedürfniserfüllung könnte in einer idealen Welt durch Vermögenswerte gelöst werden. Denn der Besitzer eines Vermögenswertes, der eine Beteiligung an einer wirtschaftlichen Aktivität darstellt, kann einen Zins ausgezahlt bekommen, ohne dafür arbeiten zu müssen. Würden also alle Menschen in hinreichendem Maße Vermögenswerte besitzen, müssten sie keine gesellschaftliche Arbeit leisten. Die Produktion könnte theoretisch durch Maschinen übernommen werden. Dieser Gedanke enthält auch in gewisser Weise die zu Anfang erwähnte Vorstellung der “finanziellen Freiheit”.
Allerdings grenzt dieses Szenario eher an eine Utopie. Denn um Vermögenswerte erwerben zu können, die genug Zins für den Lebensunterhalt ausschütten, braucht es ein hohes Maß an Vermögen. Da aber gesellschaftliche Arbeit nicht in gleichem Maße vergütet wird, sind auch die Löhne der Arbeitnehmer unterschiedlich. Damit kann nicht jeder, der gesellschaftliche Arbeit leistet, hinreichendes Vermögen aufbauen, um Vermögenswerte zu erwerben, die genug Zins für den Lebensunterhalt ausschütten. Ein Zustand, in dem der Mensch keine gesellschaftliche Arbeit leistet, erweist sich folglich als unrealistisch. Menschen werden immer auf ihre eigene Arbeitskraft zur Existenzsicherung angewiesen sein.
3. Fazit
Abschließend kann zusammengefasst werden, dass die individuelle Arbeit für den Menschen wegen seines Bedürfnisses nach Zielorientiertheit, bzw. Sinn, unerlässlich ist. Die gesellschaftliche Arbeit hat neben dem Nutzen, der für die Arbeitenden durch den Lohn entsteht, noch den Effekt, dass andere Menschen durch die Produkte der Arbeit ihre Bedürfnisse erfüllen können. Damit erweist sie sich als stark nutzenstiftend für den Menschen. Zwar können auch Maschinen durch mechanische Prozesse Produkte herstellen und den Menschen teilweise ersetzen. Gesellschaftliche Arbeit wird aber immer für den Menschen notwendig sein, um über den Arbeitslohn seine Existenz zu sichern. Der Mensch als Individuum als auch die aus Individuen bestehende Gesellschaft brauchen also Arbeit.
Literaturverzeichnis
Joachim Starbatty, Klassiker des ökonomischen Denkens, 2019 Nikol Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Hamburg
https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Erwerbstaetigkeit/_inhalt.html (17.07.2023)
Aristoteles, Nikomachische Ethik, 2019 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Ditzingen
Pasnau, Robert, “Thomas Aquinas”, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Spring 2023 Edition), Edward N. Zalta & Uri Nodelman (eds.), https://plato.stanford.edu/archives/spr2023/entries/aquinas/ (18.07.2023)
Bertold Brecht, Der gute Mensch von Sezuan, 2018 Suhrkamp Verlag, Berlin
Karl Marx, Lohn, Preis und Profit, 2019 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Ditzingen
Fussnoten
[1] Joachim Starbatty, Klassiker des ökonomischen Denkens, 2019 Nikol Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Hamburg, Vgl. S. 43
[2] https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Erwerbstaetigkeit/_inhalt.html (17.07.2023)
[3] Aristoteles, Nikomachische Ethik, 2019 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Ditzingen, Vgl. S. 5 “[…] jedes Handeln […] zielt […] auf irgendein Gut ab; […] Allerdings gibt es offensichtlich einen Unterschied zwischen den Zielen; die einen sind Tätigkeiten, die anderen sind darüber hinaus noch […] irgendwelche Werke.”
[4] Pasnau, Robert, “Thomas Aquinas”, The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Spring 2023 Edition), Edward N. Zalta & Uri Nodelman (eds.), https://plato.stanford.edu/archives/spr2023/entries/aquinas/, (18.07.2023)
[5] Bertold Brecht, Der gute Mensch von Sezuan, 2018 Suhrkamp Verlag, Berlin
[6] Joachim Starbatty, Klassiker des ökonomischen Denkens, 2019 Nikol Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, Hamburg, Vgl. S. 265