Die Debatte um die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen – kurz CSR – ist nicht neu, befindet sich jedoch seit geraumer Zeit im Wandel. Der Ukraine-Krieg hat eine Frage in den Fokus gerückt, die auch außerhalb dieses Konfliktes relevant ist: Wie verhalten sich Unternehmen in Kriegszeiten? Und aus wirtschaftsethischer Sicht vor allem die Frage: Wie sollen oder sollten sich Unternehmen in politischen Fragen verhalten? Kurz: Wie beschreiben wir die Corporate Political Responsibility? Zu diesem Thema haben wir 5 Fragen an … Dr. Frank Obergfell.
(1) Wo beginnt für Sie “politisches Engagement von Unternehmen” und an welche Beispiele denken Sie?
Dr. Frank Obergfell: Die meisten Menschen denken beim politischem Engagement von Unternehmen vermutlich an klassische Initiativen wie die Mitwirkung in Fach- und Interessenverbänden inklusive gezielter Lobbyarbeit oder auch an Spenden für Sportvereine, Kultureinrichtungen und politische Parteien. Mir scheinen dagegen zwei weitere Dimensionen von politischem Engagement immer wichtiger zu werden, die bislang zu wenig beachtet und wertgeschätzt werden. Erstens das Engagement, das immer mehr Unternehmen für die grundsätzlichen Werte unseres Zusammenlebens und unserer freiheitlichen, demokratischen Rechtsordnung zeigen. Dieses Engagement wird vielerorts immer wichtiger, und es wirkt zugleich dem problematischen Trend der letzten Jahrzehnte entgegen, dass sich Unternehmen nicht als verantwortlicher Teil der Gesellschaft, sondern als isolierte Inseln zum Zweck des Geldverdienens verstanden haben. Das war schon immer ein Missverständnis, und das zeigt sich auch bei der zweiten Form von politischem Engagement, die wir mehr beachten sollten, nämlich bei der Art und Weise, wie die eigene Organisationskultur jeden Tag gestaltet und gelebt wird. Hierzu gehören die Art, wie Menschen sich am Arbeitsplatz jeden Tag begrüßen und wie offen und herzlich sie miteinander umgehen, worüber sie gemeinsam lachen, aber auch die Möglichkeiten der inhaltlichen Partizipation und Mitgestaltung. Jedes Unternehmen ist auch auf dieser Ebene ein wichtiger Teil der Gesellschaft und sollte sich der damit verbundenen Verantwortung bewusst sein und sie aktiv gestalten.
(2) Wie ist es aus Ihrer Sicht um die Legitimität des politischen Engagements von Unternehmen bestellt? Was ist angemessen und was nicht?
Dr. Frank Obergfell: Legal ist bekanntlich vieles. Wenn es aber um die ethische Legitimität und die Angemessenheit des politischen Engagements geht, dann sollten Unternehmen aus meiner Sicht sogar bei gezielter Lobbyarbeit nicht nur ihr wirtschaftliches Eigeninteresse verfolgen, sondern immer auch Kriterien der gesellschaftlichen Verantwortung berücksichtigen. Denn zum einen dient die Stärkung des Gemeinwohls, die Sicherung einer stabilen Rechts- und Wettbewerbsordnung und der Einsatz für eine möglichst intakte Natur auch ihrem langfristigen Eigeninteresse. Und zum anderen sind Unternehmen im eben skizzierten Sinne sozusagen “Orte der Vergemeinschaftung“ und als solche immer auch moralische Akteure, ob sie das nun wollen oder nicht.
(3) Welche Grenzen hat politisches Engagement von Unternehmen und wann kann es auch gefährlich und schädlich sein?
Dr. Frank Obergfell: Politisches Engagement von Unternehmen kann auf vielfache Weise gefährlich werden. Etwa wenn ein Unternehmen die eigene wirtschaftliche Macht und die eigene Bedeutung als Arbeitgeber einsetzt, um Politiker:innen unter Druck zu setzen und demokratische Entscheidungsprozesse überproportional zu den eigenen Gunsten zu beeinflussen. Das ist das eine, hinlänglich bekannte Extrem. Das entgegen gesetzte, aber ähnlich gefährliche Extrem besteht darin, sich aus allen gesellschaftlichen und politischen Fragen herauszuhalten und beispielsweise nicht einzuschreiten, wenn im Betrieb fremdenfeindliche Bemerkungen fallen, sexistische Witze gerissen werden oder Menschen auf andere Art schäbig behandelt und diskriminiert werden.
(4) Welche internen Strukturen (Corporate Governance) und welche Expertise benötigen Unternehmen, um gute politische Entscheidungen zu treffen?
Dr. Frank Obergfell: Das lässt sich aus meiner Sicht nicht allgemein beantworten, sondern hängt stark von der Größe und auch von Branche und Geschäftsmodell ab. Grundsätzlich aber scheint mir wichtig, dass sich Führungskräfte nicht nur als Angestellte fürs Geldverdienen verstehen, sondern als Verantwortungsträger im echten Wortsinn, also als Menschen, an deren verbalem und nonverbalem Verhalten sich alle anderen im Betrieb orientieren und die sich daher auch damit beschäftigen sollten, was ein gutes Zusammenarbeiten ausmacht, in welcher Gesellschaft wir zukünftig leben wollen und wie sie dazu jeden Tag ein Stück beitragen können. Dazu gehört auch, eine offene Unternehmenskultur zu pflegen, in der sich Beschäftigte darüber austauschen können, welche Art des Miteinanders sie kultivieren möchten und welche Möglichkeiten der Weiterentwicklung und Verbesserung es hier stets gibt.
(5) Worin sehen Sie Chancen und für welche Themen wünschen Sie sich mehr politisches Engagement von Unternehmen?
Dr. Frank Obergfell: Ich denke, dass Unternehmen sich als wichtiges Element unserer demokratisch verfassten Gesellschaft verstehen sollten und daher auch Fragen der Ethik und Politik nicht vor den Toren des Unternehmens halt machen können. Diese Verantwortung sollten sie weniger durch klassische Lobbyarbeit oder parteipolitisches Engagement wahrnehmen, sondern vor allem, indem sie interne Begegnungs- und Austauschformate schaffen, in der die Werte und Alltagsroutinen der Organisation besprechbar werden und damit auch reflektiert, gestärkt und weiterentwickelt werden können.
Über Dr. Frank Obergfell
Dr. Frank Obergfell hat Philosophie studiert und trat 1986 nach der Promotion, als 4.Generation, in das elterliche Unternehmen ein, das vornehmlich in der Uhrenbranche tätig war. Aufgrund der Niedergangs der deutschen Uhrenbranche fand unter seiner Führung eine totale Transformation statt vom Uhrenhersteller zu Gasmesstechnikspezialisten.
2013 gründete er zusammen mit Dr.Philippe Merz die Thales-Akademie für angewandte Philosophie, eine gGmbH. . Neben 3 CAS- Studiengängen (Wirtschaftsethik, Medizinethik und Digitalethik) und vielen weiteren kleineren Formaten bietet sie heute auch ein “Junges Führungskolleg” an.