Die Debatte um die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen – kurz CSR – ist nicht neu, befindet sich jedoch seit geraumer Zeit im Wandel. Der Ukraine-Krieg hat eine Frage in den Fokus gerückt, die auch außerhalb dieses Konfliktes relevant ist: Wie verhalten sich Unternehmen in Kriegszeiten? Und aus wirtschaftsethischer Sicht vor allem die Frage: Wie sollen oder sollten sich Unternehmen in politischen Fragen verhalten? Kurz: Wie beschreiben wir die Corporate Political Responsibility? Zu diesem Thema haben wir 5 Fragen an … Dr. Gisela Burckhardt
(1) Wo beginnt für Sie “politisches Engagement von Unternehmen” und an welche Beispiele denken Sie?
Dr. Gisela Burckhardt: Echtes politisches Engagement von Unternehmen zeichnet sich dadurch aus, dass diese die Grenzen des Wachstums erkennen, sich glaubwürdig für die Rettung des Planeten und für gerechte Welthandelsstrukturen einsetzen und ihr eigenes Handeln danach ausrichten. Es darf nicht bei Appellen und schönen Worten oder der Unterzeichnung von Statements bleiben, sondern muss im Handeln der Unternehmen und der Behandlung von Partnern/Lieferanten in ihrer Lieferkette sichtbar sein. Politisch ist das Engagement dann, wenn ein Unternehmen sich bei Parlament und Regierung für eine faire Weltwirtschaftsordnung einsetzt und nicht nur die Partikularinteressen des eigenen Unternehmens vertritt. Wenn das Engagement eines Unternehmens dem Allgemeinwohl dient, ist es begrüßenswert. Ich denke dabei an Unternehmen, die sich für ein anspruchsvolles Lieferkettengesetz eingesetzt haben, wie etwa VAUDE oder Tchibo.
(2) Wie ist es aus Ihrer Sicht um die Legitimität des politischen Engagements von Unternehmen bestellt? Was ist angemessen und was nicht?
Dr. Gisela Burckhardt: Politisches Engagement von Unternehmen muss abgegrenzt werden von Lobbyarbeit. Letztere ist dazu da, die eigenen wirtschaftlichen Interessen in der Politik durchzusetzen. Diese Form der Lobbyarbeit geht ja sogar so weit, dass Unternehmensvertreter*innen Gesetze schreiben (siehe Berichte von Lobbycontrol und Abgeordnetenwatch). Lobbyarbeit geschieht auch meistens unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Die mangelnde Transparenz in Deutschland beim Entstehungsprozess von Gesetzen ist absolut nicht verständlich. Als positives Beispiel können Multi-Stakeholder-Initiativen (MSI) wie das Textilbündnis genannt werden, wo im Dialog zwischen Unternehmen, Zivilgesellschaft und Ministerien um Fortschritte bei Arbeits- und Umweltbedingungen in den Produktionsländern gerungen wird, was allerdings nur funktioniert, wenn bei allen Beteiligten ein echtes Interesse besteht.
(3) Welche Grenzen hat politisches Engagement von Unternehmen und wann kann es auch gefährlich und schädlich sein?
Dr. Gisela Burckhardt:
s.o.
(4) Welche internen Strukturen (Corporate Governance) und welche Expertise benötigen Unternehmen, um gute politische Entscheidungen zu treffen?
Dr. Gisela Burckhardt: Nur wenn die Spitze eines Unternehmens das Thema Nachhaltigkeit wirklich ernst nimmt und mit Inhalten füllt, können die Mitarbeiter*innen effektive Schritte in der Lieferkette umsetzen. Hierfür sind auch Anreize für die Beschäftigten sinnvoll, die z.B. eine nachhaltige Beschaffung belohnen und nicht nur den niedrigsten Preis beim Einkauf. Die Unternehmensleitung muss einen Blick für das Überleben des Planeten und menschenwürdige Arbeitsbedingungen in der Lieferkette über das eigene Profitinteresse hinaus haben.
Neben dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in Deutschland und dem geplanten EU-Lieferkettengesetz sowie der EU-Taxonomie könnte hierzu auch die von der EU geplante Richtlinie Corporate Sustainable Reporting Directive (CSRD) beitragen. Der von der EU-Kommission vorgelegte Entwurf nimmt erstmalig auch kleine und mittelständische Unternehmen (KMUs) in die Pflicht, ihre Nachhaltigkeitsrisiken offenzulegen. Allerdings betrifft es nur börsen-notierte KMUs, faktisch sind es nur 0,2 Prozent aller KMUs in Europa. Das ist kritikwürdig. Die Richtlinie soll zukünftig die Anforderungen an Unternehmen erweitern und die Nachhaltigkeitsberichterstattung auf eine Stufe mit der Finanzberichterstattung stellen. So sollen die Auswirkungen der eigenen ökonomischen Aktivität auf Umwelt und Menschen für die gesamte Lieferkette erfasst und veröffentlicht werden.
(5) Worin sehen Sie Chancen und für welche Themen wünschen Sie sich mehr politisches Engagement von Unternehmen?
Dr. Gisela Burckhardt: FEMNET ist vorrangig im Bekleidungssektor tätig, deshalb wünsche ich mir, dass Unternehmen dafür sorgen, dass in ihrer eigenen Lieferkette Umwelt- und Sozialstandards nicht nur auf dem Papier stehen, sondern auch umgesetzt werden. Einige Sozialstandards, die etwa Frauendiskriminierung und sexualisierte Gewalt am Arbeitsplatz verhindern oder die Organisationsfreiheit gewährleisten sollen, sind schwer zu überprüfen, hierfür müssen Unternehmen besondere Anstrengungen unternehmen. Die Erfahrung zeigt aber: Wenn die Spitze eines Unternehmens etwas will, kann es auch umgesetzt werden – und oft leichter mit anderen Unternehmen zusammen, das ist dann politisches Handeln. Auch könnten Unternehmen gemeinsam vor Ort bei den Regierungen vorstellig werden und ihnen die Bedeutung des Themas deutlich machen. Es gibt nur eine Chance für das Überleben des Planeten: Trotz des Wettbewerbs untereinander müssen Unternehmen ihre Geschäftsmodelle ändern, dies geht eher zusammen als allein. Unternehmen sollten zudem bereit sein, ihre gesamte Lieferkette zu veröffentlichen, also Transparenz herstellen, sodass ein Produkt bis zum Baumwollfeld rückverfolgbar ist und die Arbeitsbedingungen an jeder Stelle der Lieferkette einsehbar sind.
Zusätzlich zu einem verantwortungsvollen politischen Unternehmens-Engagement sind auch politische Richtlinien und Rahmenvorgaben der Regierung für alle Unternehmen wichtig (siehe Lieferkettengesetz), damit es nicht auf der Ebene der Freiwilligkeit bleibt und die “Guten” eventuell Wettbewerbsnachteile haben.