Die Debatte um die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen – kurz CSR – ist nicht neu, befindet sich jedoch seit geraumer Zeit im Wandel. Eine Frage ist dabei besonders in den Fokus gerückt: Wie verhalten sich Unternehmen angesichts geopolitischer Krisen und eines Erstarkens von politischem Extremismus? Und aus wirtschaftsethischer Sicht vor allem die Frage: Wie sollen oder sollten sich Unternehmen in politischen Fragen verhalten? Kurz: Wie beschreiben wir die Corporate Political Responsibility?
Dazu haben wir 5 Fragen an… Prof. Dr. Birgit Spießhofer M.C.J.

 

(1) Wo beginnt für Sie “politisches Engagement von Unternehmen” und an welche Beispiele denken Sie?

Prof. Dr. Birgit Spießhofer: “Politisches Engagement von Unternehmen” ist vielschichtig: gesellschafts-, sozial-, kultur-, partei-, staatspolitisch, in Verbänden, internationalen Organisationen (bspw. International Chamber of Commerce), als Stakeholder im politischen Willensbildungs- und Gesetzgebungsprozess, in Kultur- und Sozialeinrichtungen, Vereinen etc. Es umfasst die Durchsetzung von Menschenrechten, Umweltschutz und Integrität im Unternehmen und Konzern, gegenüber Geschäftspartnern und in Lieferketten. Es beinhaltet Stellungnahmen zu politischen Themen und Einflussnahme auf andere politische Player, insbesondere Regierung und Parlament, Lobbyismus, Parteispenden, öffentliche Statements zur Wählbarkeit bestimmter Parteien u. v. m.

Dieser faktische Befund ist jedoch nicht gleichzusetzen mit Corporate Political “Responsibility” im Sinne einer Verantwortung und damit Sollensvorstellung.

 

(2) Wie ist es aus Ihrer Sicht um die Legitimität des politischen Engagements von Unternehmen bestellt? Was ist angemessen und was nicht?

Prof. Dr. Birgit Spießhofer: Unternehmen sind Stakeholder, “citizens” und “political player” in Gesellschaft und politischem Prozess, allerdings spezifische insofern, als sie nicht demokratisch legitimiert sind und sich ihr Engagement, auch das politische, im Rahmen des Unternehmenszwecks bewegen und dem Unternehmensinteresse dienen muss.

Milton Friedman hat in “Kapitalismus und Freiheit” (1962) eine durchaus brauchbare Leitlinie entwickelt: Unternehmen haben sich im Rahmen des Rechts und des “allgemein Üblichen”, d. h. des geltenden Sozialkodex zu bewegen, der im globalen Kontext u. a. durch internationales Soft Law und Best Practices konkretisiert wird. Darüber hinaus können Unternehmen und die sie repräsentierenden Organe politisch aktiv werden, soweit dies im Unternehmensinteresse liegt.

Ein darüber hinausgehendes allgemein-politisches Mandat ist jedoch aus verschiedenen Gründen problematisch. Zum einen sind Unternehmen nicht demokratisch legitimiert. Zudem haben die das Unternehmen vertretenden Organe grundsätzlich kein Recht, losgelöst von Unternehmenszweck und -interesse, unabhängig von den Vorstellungen der Shareholder und ohne Mandat von ihnen, allgemeinpolitische Auffassungen im Namen des Unternehmens zu äußern.

Wendet man diese Grundsätze auf Stellungnahmen zu bestimmten Parteien an, so kann es gerechtfertigt sein, gegen eine Partei Stellung zu nehmen, die den Austritt aus der EU befürwortet, weil dies die geschäftspolitischen Interessen des auf den Binnenmarkt angewiesenen Unternehmens schädigen würde.

 

(3) Welche Grenzen hat politisches Engagement von Unternehmen und wann kann es auch gefährlich und schädlich sein?

Prof. Dr. Birgit Spießhofer: Die Forderung, dass Unternehmen (immer) mehr politische Verantwortung übernehmen sollen, hat eine bislang noch (zu) wenig beleuchtete Kehrseite: politische Macht.

Wenn Twitter, Facebook und Google einem US-Präsidenten den Zugang sperren, um ein weiteres Ausgreifen des Sturms auf das Kapitol zu verhindern, dann ist das einerseits die Wahrnehmung politischer Verantwortung, andererseits beleuchtet es jedoch auch die nicht unproblematische politische Macht dieser Unternehmen.

Wenn Unternehmen verpflichtet werden, neben oder anstelle von Regierungen Menschenrechte, Umweltschutz und Integrität (ESG), d. h. Public Policy Ziele, in ihren Wertschöpfungsketten durchzusetzen, dient dies nicht nur dem “guten Zweck”, sondern es führt auch zu einer weiteren Vermachtung in den Lieferketten, da Unternehmen, die bereits wirtschaftlich machtvoll sind, zusätzlich Macht im Public Policy Bereich bekommen. Zudem treten die Unternehmen funktional in Konkurrenz zu staatlichen Stellen, die die menschenrechtlichen und Umweltvorgaben des Völkerrechts für ihr Territorium konkretisieren und durchsetzen. Diese Konkurrenz wird insbesondere in Ländern der Dritten Welt als Eingriff in die nationale Souveränität und als Neokolonialismus gewertet. Innerhalb des hoch regulierten, die völkerrechtlichen Vorgaben detailliert umsetzenden Europas stellt sich Frage, ob insoweit eine zusätzliche private Lieferkettenregelung erforderlich ist.

Es wäre wünschenswert, wenn diese Aspekte mehr Berücksichtigung fänden.

 

(4) Welche internen Strukturen (Corporate Governance) und welche Expertise benötigen Unternehmen, um gute politische Entscheidungen zu treffen?

Prof. Dr. Birgit Spießhofer: Die Gremien (Vorstand, Aufsichtsrat) sollten divers besetzt sein, um möglichst viele geschäftliche, regulatorische und kulturelle Gesichtspunkte in die einer politischen Entscheidung vorausgehende Abwägung einfließen zu lassen. Es kann zudem empfehlenswert sein, v. a. in großen und multinational aufgestellten Unternehmen, einen Nachhaltigkeits- oder Menschenrechtsbeirat einzurichten, um externe Expertise bei der Bewältigung komplexer Probleme und Dilemmasituationen einzubeziehen (Bsp. Human Rights Advisory Council der BASF SE). Wichtig ist zudem, den internen Austausch zwischen verschiedenen Abteilungen und Regionen im Unternehmen zu institutionalisieren.

“To do the right thing” für Unternehmen und interne und externe Stakeholder erfordert oft eine umfassende Abwägung vielfältiger Faktoren und Interessen, insbesondere im transnationalen und transkulturellen Bereich, was durch eine breite Abstützung der Entscheidung erleichtert wird.

 

(5) Worin sehen Sie Chancen und für welche Themen wünschen Sie sich mehr politisches Engagement von Unternehmen?

Prof. Dr. Birgit Spießhofer: In der Diskussion um Corporate Responsibility standen bislang, den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte folgend, die negativen Auswirkungen unternehmerischen Handelns und deren Vermeidung oder Kompensation im Vordergrund, d. h. Compliance, verbunden mit erheblichem bürokratischem Aufwand, und Haftung/Sanktionen. Alle anderen CSR-Leitlinien, insbesondere UN Global Compact und OECD-Leitsätze für Multinationale Unternehmen, betonen jedoch auch die positive Seite unternehmerischen Wirtschaftens, d. h. das Potential für “doing good”, für ein sinnvolles, langfristiges und nachhaltiges Engagement vor allem in Ländern des Global South, für Entwicklungshilfe auch zu deren politischer und sozialer Stabilisierung. Es wäre nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Migrationsdiskussion wünschenswert, wenn dieses positive Potential wieder mehr in den Vordergrund gerückt würde und diese Seite politischen Engagements systematisch weiter entwickelt würde. Dies setzt allerdings Realitätssinn, ein Aushalten von Dilemmasituationen und eine langfristige Entwicklungsperspektive voraus.

 

Corporate Political Responsibility – 5 Fragen an… ist eine Interviewreihe des DNWE. Sie zeichnet sich besonders durch die Pluralität unserer Expert_innen aus. Die gesamte Reihe veröffentlichen wir fortlaufend im Dossier.

 

Über Prof. Dr. Birgit Spießhofer

Prof. Dr. Birgit Spießhofer, M.C.J. (New York Univ.) ist Rechtsanwältin bei Dentons und war Europe Chief Sustainability & Governance Counsel. Sie lehrt Internationales Wirtschaftsrecht und Unternehmensethik, Compliance, Nachhaltigkeit und CSR/ESG an der Universität Bremen. Sie ist Vorsitzende des Ausschusses Compliance und CSR des Deutschen Anwaltvereins, stellvertretende Vorsitzende des Kuratoriums des DNWE und u.a. Mitglied des Human Rights Advisory Council der BASF SE, des Aufsichtsrats der Weberbank AG, der Global Environment & Energy Commission der International Chamber of Commerce und des Committee on Environment and Climate Change des Council of Bars and Law Societies of Europe.

 

 

 

 

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