Die Debatte um die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen – kurz CSR – ist nicht neu, befindet sich jedoch seit geraumer Zeit im Wandel. Eine Frage ist dabei besonders in den Fokus gerückt: Wie verhalten sich Unternehmen angesichts geopolitischer Krisen und eines Erstarkens von politischem Extremismus? Und aus wirtschaftsethischer Sicht vor allem die Frage: Wie sollen oder sollten sich Unternehmen in politischen Fragen verhalten? Kurz: Wie beschreiben wir die Corporate Political Responsibility?
Dazu haben wir 5 Fragen an… Prof. Dr. Klaus Gourgé.

 

(1) Wo beginnt für Sie “politisches Engagement von Unternehmen” und an welche Beispiele denken Sie?

Prof. Dr. Klaus Gourgé: Es beginnt damit, dass sich jedes Unternehmen eine klare Haltung, neudeutsch “Attitude”, erarbeiten müsste. Das erfordert ernsthafte Diskussionen, ob im Top-Management oder gern auch über alle Ebenen: Welche gesellschaftspolitischen Werte sind uns wichtig, in was für einer Gesellschaft wollen wir leben? Wer einfach nur im Pride Month eine Regenbogenflagge um sein Logo malt, wenn das gerade alle machen, hängt buchstäblich sein Fähnchen in den Wind. Und wird es wahrscheinlich ganz schnell wieder einholen, sobald der Wind sich dreht.

Wir erleben es ja gerade in den USA: Noch bevor die neue Trump-Regierung es ausspricht, stellen die Unternehmen von Amazon bis Walmart in vorauseilendem Gehorsam ihre Diversity-Politik ein. Das lässt nur einen Schluss zu: Dahinter stand von Anfang an keine glaubwürdige Haltung, sondern bestenfalls “Virtue Signalling”: Schaut her, unsere Marke gehört zu den Guten und Gerechten, kauft uns! Das ist Marketing, Pink- und Bluewashing.

Corporate Political Responsibility würde stattdessen bedeuten, sich für zentrale gesellschaftspolitische Belange gerade auch dann einzusetzen, wenn diese in Gefahr sind. Und da gibt es aktuell auf vielen Feldern wachsenden Handlungsbedarf:
Für Demokratie, Rechtsstaat, Toleranz, Vielfalt, Meinungsfreiheit… gegen Populismus, Autoritarismus, Fake News, Verschwörungsmythen, Diskriminierung, ….

 

(2) Wie ist es aus Ihrer Sicht um die Legitimität des politischen Engagements von Unternehmen bestellt? Was ist angemessen und was nicht?

Prof. Dr. Klaus Gourgé: Unternehmen sind enorm wichtige gesellschaftliche Akteure. Für sie gilt genauso wie für Privatpersonen das berühmte Watzlawick-Diktum: Man kann nicht nicht kommunizieren. Wenn ein Unternehmen zu wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen nichts sagt, ist das eben auch eine Botschaft. Das gilt heute mehr denn je: Politik und Gesellschaft sind herausgefordert von populistischen Strömungen, wie wir sie ganz besonders in den USA, aber auch in anderen Ländern und bei uns sehen, die unsere Vorstellungen von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung, Meinungsfreiheit, Menschenrechten usw. radikal in Frage stellen und am liebsten abschaffen wollen.

Aktionen wie “ZusammenLand”, in denen hunderte Organisationen gemeinsam für den Erhalt unserer freiheitlichen Demokratie Position beziehen, sind ein richtiges Signal. Zu sagen, das sei nicht die Aufgabe von Unternehmen, ist nicht mehr zeitgemäß. Noch vor ein paar Jahren hätte man es innerhalb der stabilen Parteienlandschaft Deutschlands wohl für unangemessen gehalten, wenn sich Unternehmen etwa pro Schröder oder pro Merkel geäußert hätten. Auch heute geht es bei CPR wohlgemerkt nicht um Wahlkampf für bestimmte Parteien innerhalb des demokratischen Spektrums.

 

(3) Welche Grenzen hat politisches Engagement von Unternehmen und wann kann es auch gefährlich und schädlich sein?

Prof. Dr. Klaus Gourgé: Für gefährlich halte ich das folgende (Schein-)Argument, das nur auf den ersten Blick plausibel wirkt: Wer politisches Engagement von Unternehmen grundsätzlich befürwortet, müsse auch akzeptieren, wenn sie sich für die jeweils “andere” politische Seite einsetzen. Also zum Beispiel: Wenn Du dafür bist, dass sich Unternehmen wie bei “ZusammenLand” für Demokratie und Toleranz einsetzen, dann musst Du es auch hinnehmen, wenn andere Unternehmen gegen Demokratie und Toleranz auftreten. Das wäre nicht nur “False Balance”, sondern auch ethisch unhaltbar. Ethik und Moral sollen ja gerade unterscheiden helfen zwischen richtig und falsch, gut und schlecht. Wenn und weil ich Position A für ethisch richtig und geboten halte, muss ich keineswegs die Gegenposition ebenfalls akzeptieren.

Schwierig wird es allerdings, wenn – wie in den USA – faktisch ein Zwei-Parteien-System existiert, von denen eine immer deutlicher antidemokratische, diskriminierende, rassistische Bestrebungen zeigt. Wenn dann gleichzeitig die Bevölkerung schon so weitgehend polarisiert ist, dass jegliche politische Position eines Unternehmens fast automatisch dazu führt, dass eine Hälfte der Bevölkerung dies strikt ablehnt. So gibt es jetzt schon in den USA Marken, von Konsumgütern bis Versicherungen, die sich explizit als links oder rechts positionieren. Das hieße dann: Wenn sich wie geschehen Nike für Toleranz und gegen Rassismus engagiert, kommt eine andere Sportmarke und propagiert Trump-Themen.

 

(4) Welche internen Strukturen (Corporate Governance) und welche Expertise benötigen Unternehmen, um gute politische Entscheidungen zu treffen?

Prof. Dr. Klaus Gourgé: Es sind auch in Unternehmen immer Menschen, die entscheiden. Daher braucht es für verantwortungsvolle Entscheidungen zuallererst integre Persönlichkeiten – Menschen, die sich eine eigene, ethisch begründete Überzeugung erarbeitet haben und die auch bereit sind, für ihre Überzeugung einzustehen. Das würde bedeuten, im Zweifel auch dann die eigene gesellschaftspolitische Position beizubehalten, wenn der Zeitgeist sich dreht und womöglich sogar Umsatzrückgänge in Kauf zu nehmen wären.

Wünschenswert sind Führungsgremien, die sich mit zeitgemäßer CSR und CPR auseinandergesetzt haben und denen bewusst ist, dass eine stabile Gesellschaft und ein funktionierendes politisches System die Voraussetzung für den eigenen Unternehmenserfolg sind. Governance-Instrumente wie Ethikrichtlinien oder Dialoge mit NGOs und anderen externen Stakeholdern können helfen, in Resonanz mit der Außenwelt des Unternehmens zu bleiben und sich nicht in den Excel-Sheets der eigenen Quartalszahlen zu verlieren.

 

(5) Worin sehen Sie Chancen und für welche Themen wünschen Sie sich mehr politisches Engagement von Unternehmen?

Prof. Dr. Klaus Gourgé: Die aktuelle Themenliste für Corporate Political Responsibilty lautet, wie oben schon genannt: PRO Demokratie, Rechtsstaat, Toleranz, Vielfalt, Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung CONTRA Populismus, Autoritarismus, Fake News, Verschwörungsmythen, Diskriminierung.

Darüber hinaus halte ich es mittlerweile auch für notwendig, über einen Plan B zu sprechen: Was können wir als Unternehmen tun und welche Verantwortung haben wir für den Fall, dass unsere gesellschaftlichen Systeme ihre Funktionsfähigkeit verlieren? Es wird einerseits viel über Transformation gesprochen, andererseits weitgehend im Weiter-wie-bisher-Modus operiert. Wir steuern auf ökologische und soziale Kipppunkte zu, wirtschaften nach wie vor außerhalb des Safe space der planetaren Grenzen. Sowohl den Unternehmen als auch der Gesellschaft als Ganzes fehlt es an Resilienz. Ein verantwortungsvolles Risiko-Management bereitet sich auch auf weniger wahrscheinliche Szenarien vor.

Eine zukunftsgerichtete Corporate Political Responsibility verstehe ich so: Unternehmen und politische Institutionen arbeiten gemeinsam daran, dass unsere Gesellschaft angesichts der Omni-Krise nicht zerfällt.

 

Corporate Political Responsibility – 5 Fragen an… ist eine Interviewreihe des DNWE. Sie zeichnet sich besonders durch die Pluralität unserer Expert_innen aus. Die gesamte Reihe veröffentlichen wir fortlaufend im Dossier.

 

Über Prof. Dr. Klaus Gourgé

Prof. Dr. Klaus Gourgé lehrt an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen – Geislingen zu den Themengebieten Normatives Management, CSR, Nachhaltigkeit und Transformation. Er leitet dort den berufsbegleitenden Master-Studiengang Zukunftstrends und Nachhaltiges Management (MBA). www.hfwu.de/trend-mba.

 

 

 

 

 

 

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