Dass Fahrzeuge, die weder Klimaziele noch Stickoxidgrenzwerte berücksichtigen, irgendwann nicht mehr verkäuflich sein würden, war vorhersehbar. Trotzdem haben Automobilhersteller bis zuletzt gezögert, nachhaltige Fahrzeugkonzepte zu entwickeln, die für die Verkehrswende geeignet sind. Ihre späten Innovationen, die sie bei der IAA in Frankfurt präsentieren, können kaum davon ablenken, dass im Herbst 2019 nicht mehr das Auto selbst im Vordergrund steht, sondern ein gesellschaftliches Novum: Der Wunsch breiter Bevölkerungskreise nach einer Verkehrswende und die Bereitschaft Vieler, auf alternative Verkehrsmittel umzusteigen.

Dr. Konrad Götz, Mobilitätsexperte am ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung, sieht die IAA 2019 im Vergleich zu allen vorangegangenen Leitmessen der Automobilindustrie in einem völlig veränderten gesellschaftlichen Umfeld. “Demonstrationen anlässlich einer IAA sind natürlich erst einmal kein Novum”, sagt der Soziologe mit Blick auf die für den 14. September angekündigte Protestveranstaltung, zu der mehrere Tausend Teilnehmer in Frankfurt erwartet werden, “aber die Entschiedenheit, mit der jetzt eine autofixierte Verkehrspolitik abgelehnt und ein Vorrang anderer Verkehrsmittel gegenüber dem Auto gefordert wird, zeigt, dass sich die Mobilitätskultur in einem Wandel befindet und dass die Verkehrswende längst begonnen hat. Das stiehlt der Leitmesse in diesem Jahr gewissermaßen die Show.”

Die zunehmende Kritik an überdimensionierten SUVs und der große Erfolg von Elektrozweirädern gehe einher mit einer allmählichen Sensibilisierung für eine sinnvolle Neuverteilung des öffentlichen Raums in der Stadt. Fragen der Lebens- und Aufenthaltsqualität rücken in den Vordergrund. “Die Städte leiden unter einer immer aggressiveren Konkurrenz um den knappen Verkehrsraum”, beobachtet Lebensstilforscher Götz. “Wir sehen das daran, dass Lärm, schlechte Luft und zugeparkte Stadtviertel inzwischen zum Dauerthema geworden sind und immer mehr Menschen Maßnahmen dagegen fordern.” Was allerdings hinterherhinke, seien Verhaltensänderungen der Verkehrsteilnehmer*innen. “Der sogenannte Behaviour Change ist eine wichtiger Baustein für den Erfolg der Verkehrswende. Eine konsequente Verhaltensänderung in Richtung öffentlicher Verkehr, Radfahren und leichte Elektromobilität wird unmittelbar zu einer sinkenden Nachfrage nach klimaschädlichen großvolumigen Fahrzeugen führen”.

 

Mobilität der Zukunft braucht Kombination aller Verkehrsmittel

Der Abschied von den automobilen Alltagsroutinen sei eine Voraussetzung für die Transformation in eine nachhaltigere Entwicklung und eine berechtigte Forderung der Jüngeren. Anfangs belächelt, sei es nun ein Verdienst der “Fridays for Future”-Bewegung, auf unbequeme Zusammenhänge hinzuweisen, meint Konrad Götz. “Eine Erkenntnis setzt sich immer mehr durch: Die Menschen schaden mit ihren gängigen Lebens- und Mobilitätsstilen nicht irgendwie abstrakt ‘der Umwelt’, sondern unmittelbar sich selbst. Das bringt die Politik und die Unternehmen in ein Legitimationsproblem – beide müssen jetzt Lösungen liefern”, meint Konrad Götz. Die Spirale aus immer schwereren Fahrzeugen, die für absurde Höchstgeschwindigkeiten immer mehr Verbrenner-PS benötigen, werde zwar auch auf dieser IAA weitergetrieben. Aber es gebe deutliche Anzeichen, dass der Massenmarkt in eine andere Richtung geht.

“Mobilität bedeutete bisher vor allem Automobilität. Aber Flexibilität wird künftig nicht mehr durch das eigene Auto definiert werden”, erläutert Götz. Für die Mobilität der Zukunft würden alle umweltfreundlichen Fortbewegungsformen einschließlich des Zufußgehens und des Radfahrens miteinander kombiniert. “Mobilität bedeutet ja nicht, möglichst viel Umherzufahren, sondern beweglich sein, um Bedürfnisse zu erfüllen”. Diese Beweglichkeit müsse für alle garantiert werden, auch für Nichtprivilegierte und für alle im ländlichen Raum, ist der Mobilitätsforscher überzeugt. “Die notwendigen Strategien und Konzepte für die Verkehrswende stehen seit vielen Jahren schon bereit.”

 

Strategie für die Verkehrswende

Dr. Jutta Deffner, Leiterin der Mobilitätsforschung am ISOE, arbeitet an solchen Konzepten. Zentral für das Gelingen einer umweltverträglichen Verkehrswende ist es ihrer Meinung nach, die vorliegenden Bausteine für eine Verkehrswende klug zusammenzuführen: “Es geht darum, mit einer intelligenten Strategie die vielfältigen Verkehrsformen und Anforderungen miteinander zu verknüpfen”, sagt die Stadtplanerin. Die vom ISOE in mehreren Studien (s.u.) entwickelten strategischen Bausteine zeigen, wie Entscheider für ihre Stadt, ihre Gemeinde oder ihre Region den an die Mobilitätsbedürfnisse der Bevölkerung und Wirtschaft vor Ort passenden Mix entwickeln können. Dazu gehören multioptionale Mobilitätsangebote, Regionen der kurzen Wege und eine Verbesserung der Aufenthaltsqualität in den Städten.

Die Strategie-Bausteine sind dabei nicht isoliert zu betrachten, sondern bedingen und unterstützen sich gegenseitig. “Entscheidend für den Erfolg der Verkehrswende ist, dass politische Entscheidungsträger und Verwaltungen die Mobilität und den Verkehr nicht einfach dem Markt überlassen, sondern auf allen Ebenen noch stärker eine steuernde wie gestaltende Rolle einnehmen”, sagt Jutta Deffner.

 

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