Wie kann nachhaltiges Unternehmertum aussehen? Und wie wird das messbar? Besonders für kleine und mittelständische Unternehmen ist diese Frage eine Herausforderung. Denn Auditierungen sind aufwendig und teuer, und nicht auf die Bedürfnisse „der Kleinen“ zugeschnitten. Die Gemeinwohlbilanz, die Oliver Viest vorstellt, möchte eine Nachhaltigkeitsstrategie bieten, die einfach und preiswert ist und gleichzeitig Unternehmen die Möglichkeit gibt, sich gesellschaftsorientiert weiterzuentwickeln. Er beschreibt wie man in fünf Schritten zum gemeinwohlorientierten Unternehmen werden kann. Allerdings hält René Schmidpeter dagegen, dass die Gemeinwohlökonomie die konstruktiven Kräfte des Wettbewerbs verneint, die Grundlage der sozialen Marktwirtschaft sind. Für mehr Gemeinwohl taugen keine vermeintlich objektiven Kriterien, sondern die Verbindung von Nachhaltigkeit und Managementqualitäten. (Prof. Joachim Fetzer)

Teil 2:

Gemeinwohlökonomie – Was ist des Pudels Kern?

René Schmidpeter

Ideen verändern die Welt – im Guten wie im Schlechten. Oft ist der Kern von Ideen nicht leicht zu erfassen, bzw. sind die Konsequenzen für den Einzelnen nur schwer abzuwägen. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen erkennen oft nicht, welche Ideologien sie mit vermeintlich mittelstandsorientierten Ansätzen – wie zum Beispiel der Gemeinwohlbilanz – unterstützen. Deswegen gilt es, gerade bei sympathisch anmutenden Vorschlägen wie der Gemeinwohlbilanz, deren weltanschaulichen Kern klar zu benennen und die negative Verbindung zur Gemeinwohlökonomie/-ideologie für unsere Gesellschaft zu beleuchten.

Es besteht nämlich ein gravierender Unterschied zwischen der Idee der sozialen Marktwirtschaft und der Gemeinwohlökonomie! Die soziale Marktwirtschaft basiert auf der konstruktiven Nutzung von Wettbewerb – und ist im Gegensatz zur Gemeinwohlökonomie ein marktwirtschaftliches System. Gerade in der sozialen Marktwirtschaft spielen die mittelständischen Unternehmer, die tagtäglich im intensiven Wettbewerb wichtige unternehmerische Leistungen erbringen, eine herausragende Rolle. Die Gesellschaft profitiert durch den in der sozialen Marktwirtschaft zur Entfaltung kommenden Wettbewerb und die damit erzeugte unternehmerische Kreativität. Gerade diese Grundvoraussetzung des freien Wettbewerbs in unserer Gesellschaft wird von der Gemeinwohlökonomie massiv in Frage gestellt und versucht durch „vermeintlich“ objektivierbare Gemeinwohlkriterien zu konterkarieren.

In der starken Verneinung der konstruktiven Kräfte des Wettbewerbs liegt damit einer der zentralen Fehler der Gemeinwohlökonomie, die sich damit zu Unrecht als marktwirtschaftliches System bezeichnet. Denn die grundlegende normative Annahme – Wettbewerb ist per se schlecht und Kooperation ist per se gut – zieht sich durch das gesamte Werk der Gemeinwohlökonomie und ist damit auch Basis der damit verbundenen Gemeinwohlbilanzierung.

Die Gemeinwohlbilanz steht damit im starken Kontrast dazu, was erfolgreichen Unternehmern und Ökonomen gleichermaßen längst bewusst ist: Wettbewerb ist nicht gleich Wettbewerb und Kooperation ist nicht gleich Kooperation. Denn der für die Marktwirtschaft wünschenswerte Wettbewerb auf der Seite der Anbieter genau wie der Wettbewerb auf Seite der Nachfrager führen erst zur gesellschaftlich erwünschten Kooperation zwischen den beiden Tauschpartnern und damit zum Wohle aller.

 

Denn würde eine Seite nicht unter Wettbewerb stehen, dann könnten Sie den Preis für das Produkt diktieren. Aufgrund des Wettbewerbs ist der Anbieter jedoch dem Druck ausgesetzt, das Produkt so günstig wie möglich anzubieten. Der Nachfrager wiederum ist aufgrund der Konkurrenz mit anderen Nachfragern gezwungen, einen möglichst fairen Preis zu bieten (der seinem tatsächlichen Nutzen entspricht). Erst der Wettbewerb führt daher dazu, dass für beide Seiten ein optimaler Tausch und damit erst die gesellschaftlich erwünschte Kooperation zustande kommt.

Würden hingegen die Teilnehmer auf einer Marktseite miteinander kooperieren und zum Beispiel ein (Gemeinwohl-)Kartell bilden, könnten sie die Marktteilnehmer auf der anderen Marktseite übervorteilen. Der gesellschaftlich gewünschte Tausch/Kooperation würde dann gegebenenfalls nicht oder nur unter Druck zustande kommen. Wettbewerb ist fundamental für eine Marktwirtschaft, auch und gerade um Unternehmen in ihre Grenzen zu verweisen! Somit muss eine marktwirtschaftliche Konzeption einer freien Gesellschaft die differenzierte Bewertung von Wettbewerb erlauben. Eine Differenzierung, die bei der Gemeinwohlökonomie so nicht vorkommt. Alle auf der Konzeption der Gemeinwohlökonomie aufbauenden Instrumente – wie zum Beispiel die Gemeinwohlbilanz  – bleiben damit bestenfalls unterkomplex oder entwickeln gesamtwirtschaftlich gesehen sogar eine Gefahr für das Gemeinwohl, indem sie falsche Anreize für die Unternehmen setzen!

Es bleibt die Frage, warum im Namen des Gemeinwohls ausgerechnet dieser für uns alle förderliche Wettbewerb abgeschafft werden soll? Warum sollte man Unternehmer, die mit ihrem eigenen Vermögen das Unternehmen aufbauen und das Risiko tragen, um die Früchte ihres Ertrags bringen, wenn diese nicht mehr im Unternehmen mitarbeiten? Warum sollte ein „Gemeinwohlrat“ vorgeben dürfen, was gesellschaftlich erwünscht ist und was nicht? Ist es erlaubt, Fleisch zu essen/produzieren, oder gibt es dafür „Gemeinwohl“-Punktabzug? Ist das Wohl des Einzelnen weniger wert als das Wohl der Gemeinschaft? Muss die Freiheit des Einzelnen gar dem Prinzip des Gemeinwohls geopfert werden? Kann die Minderheit des „Gemeinwohlrates“ der Mehrheit ihren Willen aufzwingen?

Die Gesellschaft muss diese weitreichenden Forderungen frühzeitig einer allgemeinen Betrachtung unterziehen, um die Folgen für alle Menschen transparent zu machen. Dies gilt auch für eine weitere Forderung der Gemeinwohlökonomie: Nämlich, dass es niemandem zum Vorteil gereichen darf, wenn er sich aus bloßem „Gewinnmotiv“ sozial und ökologisch verhält. Dies ist sicherlich eine weitere schwerwiegende Forderung der Gemeinwohlökonomie. Denn es stellt sich natürlich die berechtigte Frage: Sollen Unternehmen, die ihre Mitarbeiter nur deshalb gut behandeln, um dadurch höheren Einsatz und Arbeitsleistung zu erzielen, dafür bestraft werden? Sie handeln ja aus dem vermeintlich „falschen“ Motiv heraus.

Sicherlich nicht! Denn gerade das Motiv der Gewinnerzielung führt zu vielen gewünschten positiven Resultaten: So versucht der Unternehmer optimale Leistungen für seine Kunden zu erbringen, um diese für sich zu gewinnen und damit Gewinne zu erzielen. Er schafft für seine Mitarbeiter ein gutes Arbeitsumfeld, um deren Motivation und Loyalität zu erhöhen und damit die Gewinne seines Unternehmens zu erhöhen. Er setzt sich für sein Umfeld ein, weil er weiß, dass sein Unternehmen sich nur in einem prosperierenden Umfeld positiv entwickeln kann. Somit kommt der Einsatz für seine Mitarbeiter, seine Kunden und seine Gemeinde auch immer wieder dem Unternehmer selbst zu Gute. Ist das Interesse am Gewinn etwa ein „schlechtes“ Motiv? Gibt es für die am eigenen Wohl orientierten Motive einen Gemeinwohlpunkteabzug? Ganz im Gegenteil: Erst das Gewinnmotiv schafft oft die Anreize, die gesellschaftlich dringend benötigte Wertschöpfung effizient und in Kooperation mit anderen zu organisieren!

Auch bei der Beurteilung von Motiven greift die Gemeinwohlökonomie in eine vormoderne, antiökonomische Schublade, um vermeintlich „gutgesinnte“ Unternehmer für sich zu gewinnen und vermeintlich „schlechte“ Unternehmen zu maßregeln! Aber diese Beurteilung von Motiven durch Dritte ergibt einer freien Gesellschaft keinen Sinn und führt schlimmstenfalls sogar zu Verhältnissen, die ganz sicher viele Unterstützer der Gemeinwohlökonomie nicht wollen.

Angesichts der weitreichend antimodernen Vorschläge der Gemeinwohlökonomie sind daher umso drängender die neuesten Erkenntnisse des Nachhaltigwwen Managements und der Corporate Social ResponsibilityForschung auch für den Mittelstand fruchtbar zu machen. Der Deutsche Nachhaltigkeitskodex (deutscher-nachhaltigkeitskodex.de) übersetzt wichtige Eckpunkte eines Nachhaltigen Unternehmertums in konkrete Indikatoren und Maßnahmen und hilft so Nachhaltigkeit in das Unternehmen zu integrieren. Anders als zum Beispiel die Global Reporting Initiative ist dieser mittelstandsorientierte Kodex auch für kleine und mittlere Unternehmen leicht anwendbar. Weitere Unternehmensansätze, die der wachsenden CSR-Literatur (Schneider/Schmidpeter 2015) zu entnehmen sind, zielen darauf ab, die ökonomischen, sozialen und ökologischen Herausforderungen in alle Geschäftsfelder umfassend zu integrieren, um neue unternehmerische Lösungswege aufzuzeigen. Unternehmer erkennen dabei, dass es in ihrem ureigenen Interesse liegt, ihre Produkte und Märkte in Richtung Nachhaltigkeit und gesellschaftlichen Mehrwert zu entwickeln. Nur so können sie die eigene unternehmerische Wertschöpfung den neuen gesellschaftlichen Herausforderungen anpassen und wettbewerbsfähig bleiben.

Es ist daher notwendig, das generelle unternehmerische Wissen (z.B. Finanz, HR, PR, Marketing etc.) mit Nachhaltigkeit sowie den aktuellen gesellschaftlichen Fragestellungen konsequent zu verbinden. Dafür benötigen wir nicht mehr Gemeinwohlökonomie, sondern ein weitreichendes ökonomischen Wissen, ein integratives Nachhaltigkeitsverständnis sowie mehr unternehmerische Kreativität in unserer Gesellschaft. Denn, nur wenn Unternehmen in ihrem gesamten Handeln und in allen Bereichen nachhaltig agieren, können sie im verstärkten globalen Wettbewerb um die besten unternehmerischen Lösungen bestehen und wettbewerbsfähig bleiben. Die systemische Verknüpfung des Nachhaltigkeitsprinzips mit dem in Deutschland breiten vorhandenen Managementwissen ist daher der gewinnbringende Lösungsansatz, um gesellschaftlichen Mehrwert und unternehmerischen Erfolg konstruktiv zu verbinden. Nicht die Gemeinwohlökonomie, sondern mehr unternehmerischer und betriebswirtschaftlicher Sachverstand sind Bedingung für mehr Unternehmertum und Gemeinwohl! Ganz im Sinne der sozialen Marktwirtschaft!

Literatur:

Schneider, Andreas – Schmidpeter, René (Hg.) (2015): Corporate Social Responsibility, 2. Auflage

Der Autor

Prof. Dr. René Schmidpeter

hat den Dr. Jürgen Meyer Stiftungslehrstuhl für internationale Wirtschaftsethik und CSR an der Cologne Business School (CBS) inne. Seit über 15 Jahren arbeitet und forscht er im Bereich gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen. Er ist Gastlektor an renommierten Hochschulen im In- und Ausland (Harvard, Nanjing, Perth) und Herausgeber der innovativen Management-Reihe CSR bei Springer Gabler.
rene.schmidpeter@gmx.de

>> Lesen Sie auch den ersten Teil: Die Gemeinwohlbilanz: Hilfe bei der Nachhaltigkeitsstrategie für kleine Unternehmen

 

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