Die Zukunft der Arbeit befindet sich im Wandel. Menschenzentrierte Führung, Selbststeuerung, Eigenverantwortung, Teilhabe und Flexibilität der Beschäftigten sind einige Prinzipien, die unter dem Begriff “New Work” gefasst werden – ein Begriff, der bereits in den 1970er Jahren vom Sozialphilosophen Frithjof Bergmann geprägt wurde. Uns interessiert die Frage: Ist New Work die “Arbeit an der Zukunft?” Wie verändern sich Organisation und Führung, wenn der Mensch und seine Bedürfnisse in den Vordergrund rücken (sollen). Wer profitiert davon? Und wer nicht? Wo besteht womöglich die Gefahr einer Spaltung in der Arbeitswelt?

Zu diesem Thema haben wir 5 Fragen an… Günter Thoma.

 

“Als jemand, der bei Frithjof Bergmann studiert hat, dem Begründer von ‘New Work’, beziehe ich mich auf das Original (…), das eine sozio-ökonomische und humanistische Dimension hat.”

Günter Thoma

 

(1) Was sind Ihre persönlichen Berührungspunkte mit “New Work” und wie zeigen sich diese in Ihrem Alltag?

Günter Thoma: Als jemand, der bei Frithjof Bergmann studiert hat, dem Begründer von “New Work”, beziehe ich mich auf das Original. Bergmann hat ein vielschichtiges Konzept formuliert zur Gestaltung der Zukunft der Arbeit, das eine sozio-ökonomische und humanistische Dimension hat. Gegenwärtig wird primär der betriebswirtschaftliche Zusammenhang von “New Work” diskutiert und dies auch oft ohne Bezug zum Bergmannschen Ansatz. Mein Anliegen ist es, an das Originalkonzept zu erinnern und aufzuzeigen, welchen Beitrag es leisten kann zu unterschiedlichsten Fragestellungen rund um das Thema Arbeit.

Ich arbeite an den beruflichen Übergängen und gebe Workshops zu “New Work”, beispielsweise für Berater und Coaches, die das Originalkonzept kennenlernen und für ihre Tätigkeit verwenden wollen. Oder für Menschen, die beruflich unzufrieden sind und anders als bisher arbeiten möchten. Selbstverständlich bemühe ich mich, die Elemente von “New Work” nach Bergmann in mein Leben zu integrieren. Denn man ist nicht glaubwürdig, wenn man anderen die Bedeutung von etwas nahebringen will, was man selbst nicht lebt.

 

(2) Wie verändern sich Führung und Organisation, wenn der Mensch und seiner Bedürfnisse in den Vordergrund gestellt werden?

Günter Thoma: Wenn der Mensch und seine Bedürfnisse im Vordergrund stehen bedeutet dies die Individualisierung der Arbeit. Denn jeder Mensch ist anders und hat je seine eigenen Bedürfnisse. Man muss sich klar machen, was daraus folgt: Es wird nicht mehr wie bisher der Mensch an die Arbeitsbedingungen angepasst, sondern diese ergeben sich aus den Bedürfnissen des Menschen. Die Aufgabe von Führungskräften bzw. von Organisationen verändert sich dahingehend, mit dem jeweiligen Mitarbeitenden herauszufinden, was, wo, wann und wie dieser am besten arbeitet. Mitarbeitende erwarten heute längst, dass ihre beruflichen Wünsche und Arbeitsbedingungen gehört werden. Diese Investition rechnet sich: Organisationen, die diesen Weg gehen, können mit mehr individueller Leistung, höherer Identifikation und Zufriedenheit der Belegschaft rechnen. In Zeiten von Fachkräftemangel ist es zugleich eine gute Vorgehensweise Mitarbeitende zu binden. Die Veränderung kann man auch so beschreiben: Die lernende Organisation vollzieht den Schritt zur ermöglichenden Organisation.

Organisationen, die den Menschen und seine Bedürfnisse berücksichtigen, sollten sich zugleich auf ein Work-Life-Balance-Konzept einlassen. Denn mit der Individualisierung der Arbeit geht die weitere Individualisierung des Lebens einher – und beide Dimensionen wollen unter einen Hut gebracht werden.

 

(3) Welche Chancen bietet “New Work”?

Günter Thoma: Auf individueller Ebene bietet das Konzept dem Einzelnen die Chance, seine Handlungsspielräume diesseits und jenseits des Arbeitsmarkts zu erweitern. Anders formuliert: “New Work” dient dem Einzelnen, seine Vorstellungen von Arbeit zu verwirklichen.

Auf betriebswirtschaftlicher Ebene bietet “New Work” die Chance,

  • die Arbeit zeitgemäß zu individualisieren und so eine Win-Win-Situation für Organisation wie Mitarbeitenden herzustellen.
  • Personalabbau zu vermeiden, in dem innovative Arbeitszeitmodelle eingeführt werden können.
  • gesundes Arbeiten zu ermöglichen, indem die negativen Auswirkungen des Beschäftigungssystems auf den Menschen begrenzt werden. Angesichts zunehmender Krankenstände wird das ein immer wichtigeres Thema.

Auf volkswirtschaftlicher Ebene bietet das Konzept die Chance, das Arbeitssystem nachhaltig zu gestalten, angesichts von Problemstellungen wie der sich beschleunigenden Technologisierung der Arbeit und des Fachkräftemangels

.

 

(4) Wo sehen Sie Herausforderung bei der Implementierung und wo stößt “New Work” auch an seine Grenzen?

Günter Thoma: Auf dem Hintergrund meiner langjährigen Erfahrung mit “New Work” und meiner Zusammenarbeit mit Frithjof Bergmann sehe ich eine Herausforderung im Zeitaufwand, den es benötigt, diese Idee umzusetzen. Angesichts von zunehmendem Wettbewerb und häufiger Unterbesetzung haben Organisationen derzeit oft nicht genügend Zeit, sich mit grundlegenden Veränderungen wie “New Work” zu beschäftigen. So konnten die von Bergmann vorgeschlagenen innerbetrieblichen New Work Zentren bisher nicht realisiert werden.

Das Potential von “New Work” ist lange noch nicht ausgeschöpft. Die Grenzen bestehen eher darin, dass dieser Innovation zu oft mit Zweifel, Bedenken, Abwehr und Vorurteilen begegnet wird. “New Work” räumt mit alten Gewohnheiten und Routinen auf. Damit tun sich auch Organisationen schwer. Nehmen wir zum Beispiel der legendär gewordene Vorschlag Bergmanns aus den 1980er Jahren gegenüber der US-Automobilindustrie, statt massiv Stellen abzubauen, Teilzeit einzuführen, so dass die vielen, auch und gerade betriebswirtschaftlichen, Nachteile von Personalabbau vermieden würden. Schon damals wurde dieser Vorschlag skeptisch beäugt und auch heute ist das noch nicht viel anders: Müssen Unternehmen Personal abbauen, so läuft das meistens nach Schema F ab – ob das die beste Lösung ist oder nicht.

 

(5) “New Work als Arbeit an der Zukunft?” – Kann “New Work” einen Beitrag für die Bewältigung unserer globalen Herausforderungen leisten? Und wenn ja, wie?

Günter Thoma: “New Work” ist nicht gleich “New Work”. Der Bergmannsche Ansatz hat den Anspruch, auf mehrere globalen Herausforderungen zu antworten: auf die wachsende sozio-ökonomische Ungleichheit, auf die ökologische Frage, auf die Grenzen von Globalisierung sowie die Grenzen des Wirtschaftswachstums und nicht zuletzt auf die zunehmende Technologisierung der Arbeit.

Um auf letzteren Punkt kurz einzugehen: So erfährt die Technologisierung der Arbeit durch die Digitalisierung einen enormen Schub. Technologische Arbeitskraft kann dauerhaft menschliche Arbeitskraft ersetzen. Es ist damit zu rechnen, dass bei diesem Prozess mehr Jobs abgebaut als neue geschaffen werden. Dadurch nimmt die bereits bestehende globale Beschäftigungslosigkeit weiter zu. “New Work” trägt zur Lösung dieses Problems dadurch bei, dass es zusätzliche Formen von Arbeit vorschlägt, die weltweit implementiert werden können.

Die Bedeutung von Technologie spielt im Konzept “New Work” eine zentrale Rolle. Eines der bekannt gewordenen Zitate von Frtihjof Bergmann lautet: “Die neuen Technologien kommen auf uns zu, gleich einer großen Welle: Rühren wir uns nicht von der Stelle, dann kann sie uns begraben, aber bewegen wir uns mit Geschick, könnte uns diese Welle höher heben als je zuvor.”

 

New Work – Die Arbeit an der Zukunft? 5 Fragen an… ist eine Interviewreihe des DNWE. Sie zeichnet sich besonders durch die Pluralität unserer Expert_innen aus. Die gesamte Reihe veröffentlichen wir fortlaufend im Dossier.

 

Über Günter Thoma

Günter Thoma hat Ökonomie an der privaten Universität Witten/Herdecke und “New Work” am Lehrstuhl von Prof. Dr. Frithjof Bergmann, Universtiy of Ann Arbor, Michigan / USA studiert. Thoma gibt Seminare zu “New Work” für unterschiedliche Zielgruppen und arbeitet an den beruflichen Übergängen – so ist er beispielsweise an Hochschulen tätig zum Übergang Studium:Beruf. Darüber hinaus schreibt er zu Themen rund um “New Work”. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

 

 

 

 

 

 

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