Eine kritische Betrachtung für Perspektiven auf New Leadership

 

Abstract 

In Zeiten von Corona und Digitalisierung stellt sich immer dringender die Frage: Wie soll die Arbeit und die Führung von Arbeitenden in Zukunft aussehen? Dabei gewinnt das alte Konzept des Servant Leaders erneut an Bedeutung, da ihm eine stark motivationsförderliche Wirkung zugeschrieben wird. Auch das Thema neue Arbeit rückt in den Fokus, da nun Menschen Dank Digitalisierung mehr darüber bestimmen können, wann, wo und wie sie arbeiten. Ich werde zeigen, dass Servant Leadership nicht einfach als 1:1 Konzept für New Leadership übernommen werden kann, da es aus Sicht der Neuen Arbeit zu sehr auf personelle Aspekte verengt und eine Neuorganisation von Arbeit außen vorlässt; es drängt sogar Führungskräften einen potenziell schädlichen Märtyrer-Impetus auf.

Stattdessen entwickle ich ein Konzept von Neuer Führung, welches mit gesundem Pragmatismus die Entwicklung zu moderner Arbeitsorganisation und adäquater Führung ermöglichen soll.

  

1. Die Notwendigkeit eines anderen “Führungs”-Verständnisses im Sinne von New Work vor dem Hintergrund einer VUCA-Welt

Seit Beginn der Corona-Pandemie im Jahr 2020 bedarf die Beschreibung der aktuellen Zeit unter dem Akronym VUCA[1] keiner großen Erklärung mehr. Die Einschränkungen im sozialen Wandel haben nicht nur einen Digitalisierungsschub in deutschen Unternehmen ausgelöst, sie zeigen auch, dass neben dem technischen Wandel der Zusammenarbeit auch eine kulturelle Veränderung in der neuen Arbeitswelt nötig ist. Je komplexer die Arbeitswelt, desto mehr ist das einzelne Individuum gefordert das Wirken verschiedener Zusammenhänge zu erfassen und dazu gemeinsam mit anderen betrieblichen Herausforderungen aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Modernes Management bedeutet immer auch ein Stück weit Management der Komplexität eines hochdynamischen Marktumfelds in vielen Branchen.

Es bedarf dabei nicht nur neuer Formen der technisch vermittelten Kooperation in Unternehmen, sondern auch eines neuen Werteverständnisses von Führung im Zuge dieser Entwicklung. Diese muss es schaffen Perspektiven verschiedener Fachexperten einzubinden und Strategien zu entwickeln, die dieser Komplexität Rechnung tragen und gemeinsam die Kunst vernetzten Denkens (Vester 2003) zu meistern. Meine leitende Grundannahme hier lautet:

Ein neues Verständnis für Führung bedarf einer dialogischen Grundauffassung, da die Komplexität einer (digitalen) Arbeitswelt die Sicherheit bestehender Führungsprozesse auf Basis von eher autonomen Einzelentscheidungen unterkomplex werden lässt. Damit ist auch ein Wertewandel in der Personalführung verbunden, der diesem Rechnung trägt. Hierzu gibt es einige Konzepte, welche im Zuge dieser neuen Arbeit ein anderes Werteverständnis proklamieren und kritisch zu beleuchten sind.

Neben der Frage wie diese neue Art von Führungsverständnis in komplexen Zeiten der Digitalisierung aussehen soll, wurde auch die Neue-Arbeitsbewegung durch die Corona-Pandemie beheizt. Diese geht zurück auf den 2021 verstorbenen Frithjof Bergmann, der sich bereits im Zuge der technischen Entwicklungen der 70er und 80er Jahre mit Perspektiven einer neuen Arbeitskultur beschäftigte. Ähnlich zum Digitalisierungsschub heute stellte er im Kontext der Automatisierung von Arbeit bereits die Frage: Was ist die Arbeit, die Menschen wirklich wollen? (vgl. Bergmann 2020: 121ff.).

Ich spreche bewusst hier im Kontext von Neuer Arbeit und Digitalisierung als zwei unterschiedliche, aber wahlverwandte Konzepte. Denn so geht mit dem Wandel der Technik hin zu noch mehr Automatisierung und Digitalisierung eine gesellschaftliche Grundtendenz weiter, welcher sich auch Bergmann im Zuge der Industrialisierung der US-amerikanischen Automobilindustrie gewidmet hatte, so beschreibt neue Arbeit aber mehr als das Nutzen neuer Technik. Neue Arbeit widmet sich dabei deutlich mehr den moralischen und gesellschaftlichen Aspekten und Konsequenzen, welche mit der Digitalisierung einhergehen. So ist etwa die Technik zum mobilen Arbeiten weit vor der Pandemie in vielen Berufen verfügbar gewesen, die tatsächliche Handhabung aber erst durch die veränderten Rahmenbedingungen fokussiert worden.

Im Bereich der Personalführung stellt sich nun auch konsequent hier die Frage, wie in einer solch dynamischen und unsicheren Welt nicht nur unter Aspekten der Digitalisierung Führung stattfinden kann beziehungsweise vielmehr soll, denn Digitalisierung allein kennt keine Ethik.

Hier führen seit geraumer Zeit viele Personalentwickler das Konzept des Servant Leadership als probates Mittel an, sogar Kurse werden angeboten. Servant Leadership wird im Bereich der Führung als das Konzept benannt, welche agile Transformation in jener komplexen VUCA-Welt ermöglicht und den Umgang mit digitalen Herausforderungen handhabbar macht.[2]

Servant Leadership wird dadurch immer mehr in den Kanon von New Work gerückt. Mit meiner Arbeit will ich zunächst zeigen, was dieses von Robert Greenleaf stammende philosophische Konzept bedeutet. Dazu beziehe ich mich kurz auf den deutlich älteren Diskurs einer dienenden Führung und zeige wie dieser aktuelle Führungstheorien beeinflusst. Dabei will ich begründen, dass dieses Konzept als Kind seiner Zeit ein sehr personell-kulturell fokussiertes Denken und Handeln beinhaltet. Dieses ist zwar ein guter Boden und bietet Anknüpfungspunkte für ein Führungsverständnis Neuer Arbeit, führt aber konsequent zu Ende gedacht zu einem Märtyrer-Impetus für Führungskräfte sowie zu unechtem Dialog zwischen Führungskraft und Mitarbeitern – und nicht wirklich zu einer neuen Arbeitskultur. So will ich in Kapitel Zwei erläutern, dass sich Neue Arbeit nach Bergmann und Frederic Laloux vor allem den kulturell-strukturellen Aspekt zuwendet und das Konzept des Servant Leaderships damit konsequent dialogisch zu Ende denkt.

Im dritten Kapitel zeige ich im Fazit, dass Neue Arbeit das Konzept des Servant Leadership zwar konsequent zu Ende denkt, durch die Gewichtung der strukturellen Kulturaspekte, ihm aber auch wiederum der Pragmatismus des Servant Leaderships Ansatzes fehlt. Hier will ich abrunden durch die Skizzierung eins synthetischen Konzepts aus den personellen und strukturellen Aspekten von Servant Leadership und New Work.

 

1.1. Der Diskurs um Servant Leadership in der Geschichte: Von Jesus bis Friedrich dem Großen

Das Narrativ eines “dienenden Führers” beschreibt Robert Greenleaf 1970 als Führungsprinzip, bei der die Führungskraft sicherstellt, dass “[…] other people’s highest priority needs are bering served.” (Greenleaf 1977: 83).

Dabei muss ich festhalten, dass dieses Konzept von Greenleaf selbst als philosophische Basis gedacht ist, welche erst durch andere Forscher konkretisiert und ausgebaut wurde. Inspiriert durch einen Text von Hermann Hesse überträgt er dessen Gedanken auf seine Manager-Welt und stellt dabei als Zeitanalyse fest, dass Anführerschaft sich nicht mehr allein auf reine Positionsmacht berufen kann. Betrachtet man den allgemeinen Mangel an Arbeitskräften in einigen Bereichen und die abnehmende Bindung an Unternehmen, so kann Greenleafs Analyse wohl auch heute noch recht gegeben werden. So lautet eine bekannte Weisheit heute noch: Mitarbeiter kommen wegen des Jobs, bleiben wegen der Aufgabe und gehen wegen des Chefs. Auch die Gallup-Umfrage (vgl. Nink 2018) zeigt eine sinkende Zufriedenheit im Job und Bindung an den Arbeitgeber, welche laut anderen Studien Tepper 2011 (in Nerdinger Psychologie: 99f) vor allem durch toxisches Führungsverhalten verstärkt wird. Diesem stellt Robert Greenleaf das Konzept der dienenden Führung entgegen. Eine Führungskraft soll den Mitarbeitern helfen ihre Bedürfnisse zu erfüllen und das Team zusammenhalten, auch wenn er diese Idee nur intuitiv-philosophisch und nicht logisch begründet. Auch weiß er darum, dass für viele Menschen eher ein innerer Widerspruch zwischen Führer und Diener besteht.

Dabei ist das symbiotische Denken von Führen und Dienen als Diskurs deutlich älter als die Gedankenskizze Greenleafs.

So sind in der christlichen Religion diverse Aussagen und Handlungen über Jesus von Nazareth überliefert, die in ähnliche Stoßrichtung gingen. So wird überliefert:

“Und er setzte sich und rief die Zwölf (Anm. d. Autors: Seine 12 Gefolgsleute / Jünger), und er sagte zu ihnen: Wenn jemand der Erste sein will, dann soll er der Letzte von allen und der Diener aller sein.” (Mk 9,35).

 

Hier werden deutlich Führung und Dienen miteinander verbunden. Auch im aufgeklärten Absolutismus findet sich der Diskurs des dienenden Führens markant in der Selbstbeschreibung Friedrichs des Großen als “erster Diener des Staates” wieder. Dieser verbindet im politischen Bereich die “Ehre seines Standes” mit der sorgfältigen Leitung der Staatsgeschäfte (Friedrich der Große 1752: Z13ff.) Während das Staatswesen der USA schon früh zur Demokratie keimte, verbleibt aber auch heute noch die streng hierarchische Ordnung als pyramidalen Organisation gängige Praxis diesseits und jenseits des Atlantiks. So ist Greenleaf weniger ein originelles Konzept zu verdanken, vielmehr die Wiederbelebung und Transition eines alten Diskurses in den wirtschaftlichen Bereich von Unternehmen. Boris Kaehler und Markus Krost bemerken hier auch, dass dies christliche Rollenerwartung sich stark in der Konzeption des Servant Leaderships widerspiegelt, da auch Greenleaf selbst als US-amerikanischer Manager seiner Zeit stark durch das Christentum geprägt wurde (vgl. Kaehler/Krost 2010: 55).

 

1.2.1 Das Konzept nach Robert Greenleaf – Die Umkehrung der hierarchischen Pyramide als Führungsprinzip

Wie aber denkt nun Greenleaf Servant Leadership im Kontext von Unternehmensorganisation? So ist es Ziel der Unternehmensorganisation im allgemeinen betriebliche Abläufe zu organisieren und soziale Steuerung von Produktion zu ermöglichen. So war die Unternehmenskultur nach dem zweiten Weltkrieg vor allem durch streng hierarchische Führung geprägt, in der gut ausgebildete Führungskräfte ihren Mitarbeitern klare Ansagen und Richtungsvorgaben machten, wie die Bedürfnisse des Unternehmens und nicht ihre eigenen zu erfüllen seien (vgl. Kaehler/Krist 2010: 54). Greenleaf brach mit dieser allgemeinen Vorstellung im Konzept des Servant Leaders aber nicht nur eine neue Organisationsform. Vielmehr bezog er sich auf die personelle Einstellung der Führungskräfte:

“It begins with the natural feeling that one wants to serve, to serve first. Then conscious choice brings one to aspire to lead.” (Greenleaf 1977: 83)

 

Führungskräfte sind aus seiner Warte heraus inspirierende Anführer, die ihre Mitarbeiter nicht nur mit Funktionen versorgen, sondern diese an ihren Träumen teilhaben lassen. Darüber hinaus nehmen Sie die Leute mit:

“A leader initiates, provides the ideas and the structure, and takes the risk of failure along with the chance of success.” (Greenleaf 1977: 83).

 

Das Konzept des Servant Leaders beschreibt also personelle Aspekte einer neuen Unternehmenskultur, schlägt aber keine strukturellen Veränderungen in Organisationen vor. Kulturveränderung im Sinne einer neuen Arbeitskultur ist also immer Personalentwicklung von Führungskräften hin zu einer Einstellung, die einem Atlas der griechischen Mythologie gleicht: So sollen sie das ganze Unternehmen auf ihren Schultern tragen, das Risiko wie die Chance auf Erfolg.

 

1.2.2 Die konkrete Messung von Servant Leadership in der Forschung und der aktuelle Diskurse Entwicklungen von transaktionaler zu transformationaler Führung – Geistige Mutterschaft?

In der konkreten Ausformung und Messung dieses Verhaltens ist das populärste und einflussreichste das von Spears (vgl. Pirchet et al 2014), der als Leiter des von Greenleaf gegründeten Zentrums für Servant Leadership zehn relevante Eigenschaften beziehungsweise Verhaltensweisen ausmacht. Dazu gehören Zuhören, Empathie, Unterstützung, Achtsamkeit, Überzeugungskraft über Argumente statt Machtpositionen, Vorrausschauendes Denken, Gemeinschaft bilden, Entwicklung von Menschen fördern, etc. Dirk van Direndonck (2011) synthetisiert diesen und viele andere Ansätze zu einem Rahmenmodell, aber auch dieses bleibt trotz konkreter Ausformulierung eher unter den Eigenschaftsorientierten- und Beziehungsorientierten Führungsmodellen verhaftet.

Vergleicht man das umgesetzte Konzept mit anderen Führungstheorien, so wird eine geistige Verwandtschaft sichtbar. Im Kontext des Full-Leadership-Range-Modells kann sich das Konzept des Servant Leaderships deutlich von den eher klassischen transkationalen Führungstheorien absetzen, welche eher von Zweckrationalität im Verhältnis Führungskraft-Mitarbeite geprägt sind (Kraus / Kreitenweiss 2020: 29). Aus einer dialogischen Perspektive herrscht hier deutliche Wahlverwandtschaft zu transformationalen Führung, welche beim “Führen die Transformation bzw. Entfaltung des Mitarbeitenden in den Fokus” stellt. (Ebd.: 29).

Sowohl für die Operationalisierungen des Servant Leaderships als auch für die Konzepte der transformationalen Führung lassen sich diverse positive Effekte finden, auf die ich aber aufgrund des konzeptionellen Zuschnittes dieser Arbeit nicht weiter eingehen will. Es lässt sich zunächst konstatieren, dass Servant Leadership als philosophisch-anthropologisches Grundmodell auch in der Führungsforschung weitere Kreise gezogen hat. Das Greenleafsche Konzept kann durchaus als bewusstes oder unbewusstes Basiskonzept für andere moderne Führungstheorien gelten. Trotz dieser diversen positiven Befunde will ich im nächsten Schritt darlegen, dass Servant Leadership dennoch kein ausreichendes Verständnis für ein Verständnis von New Leadership aus dem Blickwinkel der New Work Bewegung bietet. Die hier von Greenleaf vorgeschlagene Konzeption leidet aus Sicht der neuen Arbeit an einer personellen Verengung. Im nächsten Kapitel werde ich den Kernelemente der neuen Arbeit auf Basis von Frithjof Bergmann und Frederic Laloux herausarbeiten. So werden die konzeptionellen Unterschiede zwischen personeller und struktureller Gewichtung deutlich. Abgerundet wird dies durch eine Kritik des Servant Leaderships aus Sicht der neuen Arbeit.

 

2. Neue Arbeit, neues Führungsverständnis 

2.1 Das Konzept Neuer Arbeit bei Frithjof Bergmann – “Arbeit, die wir wirklich wollen” – Führung, die wir wirklich brauchen?

Der Name und die grundlegenden Gedanken einer Philosophie neuer Arbeit gehen direkt auf dem Philosophen Frithjof Bergmann zurück. Dabei war jener nicht nur Theoretiker, sondern versucht seine Ideen auch über Zentren neuer Arbeit experimentell umzusetzen. Anstoß für seine theoretische und praktische Arbeit war die Erkenntnis, dass die zunehmende Industrialisierung und Automatisierung – retrospektiv betrachtet wohl auch die Digitalisierung – zunehmend menschliche Arbeit übernehmen wird. Sein Ziel war es den Blick dafür zu erweitern, dass auch Arbeit außerhalb der klassischen Sphären der Lohnarbeit stattfindet.

“Das allen Projekten gemeinsame Element ist es, dass sie keinen Versuch darstellen, Arbeitsplätze zu dehnen oder umzustrukturieren, sondern dass sie sich bemühen der unendlichen Menge latenter Arbeit, die außerhalb der Umzäunungen des Zoos Lohnarbeit brachliegt, eine Form zu geben und sie durch organisatorische Unterstützung fördert.” (Bergmann 2020: 116).

 

Das grundlegende Mantra dieser Bewegung war es Arbeit zu fördern, “die wir wirklich, wirklich wollen.” (Bergmann 2020: 118).

Dabei muss beachtet werden, dass Bergmann zwar ein sozialutopisches Zielbild entwarf, dabei aber kein grundsätzlicher Gegner der kapitalistischen Lohnarbeit ist. Dies liegt vor allem in der Erfahrung begründet, dass er selbst den ökonomischen und sozialen Zusammenfall der sozialistischen Staaten erlebt hat (Vgl. Bergmann 2020: 123).

Als Grundbausteine nennt er Selbstbestimmung der Arbeit, (vgl. Bergmann 2020: 116) und Ganzheitlichkeit (vgl. Ebd.). Das Arbeitsleben in seinem weiteren Sinne soll also vermehrt nicht nur der funktionellen Erfüllung dienen, sondern auch persönliche Entwicklung des Einzelnen auf Basis der eigenen Talente fördern (vgl. Bergmann 2020: 134).

Diese verschiedenen Formen der Arbeit – die Lohnarbeit und die neue Arbeit – stehen bei Bergmann aber noch getrennt voneinander. So schlägt er etwa eine 50:50 Beschäftigung vor in Form einer sechsmonatigen Lohnarbeit in Betrieben und einer sechsmonatigen Neuen Arbeit in anderen Organisationsformen, die aber dennoch nicht als Gegensatz unbezahlt sein soll, die aber andere Formen der Bezahlung und Organisation bedarf (vgl. Bergmann 2020: 119). Flankiert wird dieses Arbeitsleben durch hoch-technisierten Eigenanbau von Nahrungsmitteln und Energie. Eine Untersuchung inwieweit die Ideen der neuen Arbeit mit aktuellen Diskursen in der Regionalisierung und Kreislaufwirtschaft im Kontext der Nachhaltigkeitsdebatte zusammenhängen wäre ein eigener Forschungspunkt, den ich an dieser Stelle aussparen will. Viel relevanter für die Frage nach einer neuen Führung ist zunächst der Grundgedanke Bergmanns, dass “[…] der Punkt, an dem man ansetzen müsse, logischerweise die Struktur und Organisation der Arbeit sei.” (Bergmann 2020: 126). Bergmann selbst fokussiert sich in seinem Werk eher auf gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge und Entwürfe, so dass eine Antwort auf die Frage nach der Betrachtung von Servant Leadership und Impulsen für ein neues Verständnis von New Leadership nicht besprochen wird. Bedeutend sind hierfür zunächst die genannten Prinzipien der Selbstorganisation, des ganzheitlichen Ansatzes, der Talent und Sinn der Mitarbeiter fördern will. Allerdings bleiben die Sphären dieser selbstbestimmten Arbeit und der geführten traditionellen Arbeit weiterhin getrennt. Bevor ich also zu einer Kritik des personell fokussierten Servant Leadership-Ansatzes komme, will ich noch das Konzept neuer Arbeitsformen nach Frederic Laloux anführen und als Material für die kritische Einordnung von Greenleafs Ideen nutzen.

 

2.2 Die Zerschlagung der hierarchischen Pyramide hin zur Netzwerkorganisation – Servant Leadership als Organisationsprinzip statt Führungsprinzip bei Frederic Laloux – Selbstorganisation, Sinn und Ganzheit als Prinzipien eines neuen “Führungs-“Verständnisses

Während es bei Bergmann vermehrt um den Aspekt von mehr selbstbestimmter Arbeit ging, so untersucht Frederic Laloux in seiner Studie “Reinventing Organizations” Firmen, welche ihren Mitarbeitern mehr Selbstbestimmung in der traditionellen betrieblich organisierten Lohnarbeit verschaffen. Auch wenn Laloux meiner Einschätzung diverse Elemente und Prinzipien der neuen Arbeit im Sinne Bergmanns aufgreift, stellt dies den fundamentalen Unterschied dar. Arbeit und die Organisation von Arbeit findet in der empirisch fundierten Konzeption von Laloux als neue Transformation der herkömmlichen Arbeit statt. So spielen ähnliche Themen wie die Bezahlung bei Bergmann eine Rolle, die Veränderung der Arbeit an sich aber wird zum zentralen Punkt. Laloux macht bei dem von ihm untersuchten Organisationen drei grundlegende Prinzipien aus, die seiner Einschätzung nach, ein neues Paradigma von Organisation und Management darstellen: Ganzheit, Evolutionärer Sinn und Selbstführung (vgl. dazu Laloux 2015: 54ff).

Ähnlich wie bei Frithjof Bergmann sollen Mitarbeiter einer Organisation sich nicht nur in den Rahmen von Stellen- und Funktionsvorgaben entfalten.

Auch wenn sowohl Greenleaf als auch Bergmann bereits davon sprechen, dass Führung helfen soll, die Bedürfnisse der Mitarbeiter zu entfalten, und Bergmann eine neue Form von Arbeit neben der klassischen betrieblichen Lohnarbeit etablieren will, geht hier Laloux deutlich weiter in der Darstellung moderner “evolutionärer” (Laloux 2015: 43ff.) Arbeitsorganisation.

Während Robert Greenleaf die hierarchische Pyramide als Organisationsform noch unverändert stehen ließ, so wurde diese bei Frithjof Bergmann zu Gunsten kleinerer individueller Projekte abgetragen. Bei Laloux müsste man konsequent von einer Zerschlagung der pyramidenhaften Organisationsform sprechen.

Er stellt in seinem Werk dar, dass in diesen evolutionären Organisationen das Prinzip der Selbstführung waltet, durch welches die Organisation wie natürliche Systeme sich besser auf ihre Umwelt anpassen können (vgl. Laloux 2015: 54). Die Mitarbeiter einer Organisation brauchen also keine herkömmlichen Führungskräfte mehr, weil die Strukturen und Prozesse der Organisation es ihnen erlauben sich selbst in ihrer Arbeit zu verwirklichen. Sinn in der Arbeit wird somit zum dritten Prinzip. Organisationsmitglieder finden die Entfaltung ihrer persönlichen Fähigkeiten nicht außerhalb der Arbeit, sondern bringen dies in die Arbeit mit ein.

Sie werden dazu “[…] eingeladen, zuzuhören und zu verstehen, was die Organisation werden will und welchem Sinn sie dienen möchte.” (Laloux 2015: 55).

 

Bereits in der Formulierung des Zitats wird der Bezug zum Servant Leadership deutlich. Dennoch geht dieses Verständnis deutlich weiter und grenzt sich durch einen kulturell-strukturellen Fokus noch deutlicher von der postmodernen Organisationsform mit Positionsmacht ab beziehungsweise kritisiert diese:

“Postmoderne pluralistische Organisationen versuchen auf das Problem der Machtungleichheit mit Empowerment zu reagieren, wobei Entscheidungen in der Pyramide nach unten verlagert werden. Dadurch erreichen sie oft eine weitaus bessere Arbeitseinstellung der Mitarbeiter. Aber Empowerment bedeutet, dass jemand an der Spitze so weise oder großzügig ist, dass er oder sie etwas von der eigenen Macht abgibt. Aber was wäre, wenn Macht kein Nullsummenspiel wäre? Wie wäre es, wenn wir in Organisationen Strukturen und Praktiken schaffen würden, in denen kein Empowerment notwendig ist, weil sie so gestaltet sind, dass alle Macht haben und niemand machtlos ist?” (Laloux 2015: 60).

 

Damit spricht Laloux indirekt das Problem des Konzepts des Servant Leaderships an: Der Fortschritt einer Organisation hängt allein vom Faktor Mensch ab. New Leadership im Sinne Greenleafs ist nur Personalentwicklung, während die Etablierung eines neuen Führungsverständnisses mit Laloux Hand in Hand mit Organisationsentwicklung einhergeht.

Wie kann man sich nun das Abtragen der Pyramide vorstellen? Am Beispiel seiner Untersuchungsobjekte beschreibt Laloux diverse Faktoren, die dafür sorgen, dass aus dem starren Hierarchiegebilde eine VUCA-gerechte agile Organisationsform wird. Dies fängt an bei der Reduzierung von Unterstützungsfunktionen. Führung im Sinne Laloux zeichnet sich also mehr durch Unterstützung aus und Förderung der Organisationsmitglieder hin zur Selbstführung. So können alle Organisationsmitglieder vermehrt in den Produktionsprozess einbezogen werden (vgl. Laloux 2015: 74) und erfahren ganz im Sinne Bergmanns Sinn und Zweck ihrer Tätigkeit. Des Weiteren werden viele Ressourcen durch Reduzierung unnötiger Meetings und Kontrollen genutzt. Die freie Zeit wird unter anderem für vermehrte Betätigung in persönlichen oder überbetrieblichen Projekten investiert, welche neue Ideen und Innovation fördern (vgl. Laloux 2015: 90). Die persönlichen Fähigkeiten werden stärker gewichtet als starre Stellenbeschreibungen, um Anpassungsmöglichkeiten zu garantieren (vgl. ebd. 91f). Integrative Beratungs- und Entscheidungsprozesse, Konfliktlösungsarten und transparente Kommunikation werden von den Führungs-Coaches ermöglicht und unterstützt (vgl. Ebd. 99ff).

Summa Summarum heißt das für ein neues Verständnis von Führung im Sinne von Laloux: Führungskräfte stehen nicht mehr an der Spitze der Pyramide. Sie fördern und unterstützen Selbstführung im Unternehmen. Sie sind nicht mehr die ersten Diener der Firma, sondern unterstützende Einheiten, die die Spielregeln gelungener Zusammenarbeit aufrechterhalten. Die daraus resultierende Organisationsform wird heute weitgehend als Netzwerkorganisation bezeichnet. Das heißt eine Organisation besteht aus vielen sich selbstführenden Einheiten. Führungskräfte sind nicht nur demütige Coaches und Knotenpunkte jener, sondern auch strukturell nicht ermächtigt über diese einzelnen Einheiten zu bestimmen (vgl. dazu ausführlich Göbel 2019: 382ff.). Im Gegensatz zu Jesus von Nazareth oder Friedrich den Großen gibt es keine religiösen oder politischen Legitimierungen von Macht mehr. Man kann eher von einer Demokratisierung von Unternehmensführung reden.

 

2.3 Zwischenfazit: Kritische Anfragen an das Konzept Servant Leadership aus Sicht der Neuen Arbeit – von „falscher Freiheit“ und „Märtyrer-Impetus“ der Führungskräfte

Wie aber kann man aus Sicht der neuen Arbeit das Konzept des Servant Leaderships betrachten?

Grundsätzlich kann die Idee von Robert Greenleaf als transitives Stadium von New Work aus der Perspektive der neuen Arbeitskultur-Bewegung betrachtet werden. Greenleafs Idee fokussiert als Kind ihrer Zeit vor allem die kulturell-personelle Ebene von Führung und kann dadurch bereits diverse empirisch messbare Erfolge im Kontext gelingender Führung vorweisen. Allerdings denkt die Idee der neuen Arbeit hier Greenleaf konsequent weiter und fokussiert neben den personellen Aspekten einer neuen Arbeitskultur auch die Notwendigkeit struktureller Veränderungen. Dabei baut Frederic Laloux mit seinen Analysen über neue Prinzipien der Arbeit in Unternehmen stark auf dem geistigen Vater Frithjof Bergmann auf, geht aber noch deutlich weiter als jener.

Lässt man also New Work über das Konzept des Servant Leadership urteilen, so kann jenes nicht 1:1 als New Leadership-Verständnis übernommen werden. Zum einem aufgrund der bereits angesprochen kulturell-personellen Verengung des Greenleafschen Ansatzes. Eine Förderung von Mitarbeitern durch das Gnadentum eines Servant Leaders ist nicht das Verständnis von Selbstbestimmtheit, wie Sie Bergmann und Laloux fordern.

Das Verhalten des Servant Leaders hat, wie ich gezeigt habe, durchaus hohe Anschlussfähigkeit für die Vorstellung neuer selbstbestimmter Arbeit, da es unabhängig von Machtstrukturen zur Begegnung auf Augenhöhe einlädt. Dennoch handelt es sich aus Sicht von New Work hierbei um einen falschen Freiheitsbegriff der Organisationsmitglieder, da der Traum, der Sinn der Führungskraft bei Greenleaf, immer noch Vorgabe und Ausrichtung aller Teammitglieder bleibt. Hier will Bergmann die Arbeit, die jeder einzelne wirklich will, beziehungsweise Laloux die Einbindung in den Sinn und die Ausrichtung des Unternehmens (vgl. Laloux 2015: 193ff). Ein echter Dialog auf Augenhöhe zwischen Mitgliedern der Organisation wird zwar ermöglicht, wird aber potenziell von Machtstrukturen immer überschattet und der Erfolgsfall wird abhängig von der Verinnerlichung der einzelnen Person.

Ein zweiter Kritikpunkt am Konzept des Servant Leaderships geht mit einem grundlegenden Missverständnis über New Work einher. Neue Arbeit heißt nicht, dass Macht keine Rolle mehr spielt, sie denkt nur konsequent Robert Greenleaf zu Ende, wenn dieser davon spricht, dass die Machtposition allein kein ausreichendes Begründungskriterium mehr ist. Neue Arbeit will aber strukturell Macht so verteilen, dass sie eben anders verteilt wird. Entscheidungsmacht soll nicht per se bei der Führungskraft liegen, sondern auch denen grundlegend möglich sein, die auch wollen und können bezogen auf den situativen Kontext der Entscheidung. Damit sollen Führungskräfte nicht etwa entthront werden, sondern die Entscheidungsfähigkeit der Organisation in einer komplexen Umwelt erhöht werden. Sollten Führungskräfte vertieft im Idealbild eines Servant Leaders verhaftet sein, so wohnt diesem auch ein Märtyrer-Impetus inne, durch den sie sich in komplexen Situationen eine übermäßige Entscheidungslast aufbürden. Wie ich eingangs angeführt habe, brauchen komplexe Situationen die dialogische Begegnung verschiedener Fachexperten, welche zusammen entscheidungskompetent sind[3], beziehungsweise im Negativfalle sie zum Sündenbock machen. Auch unabhängig von komplexen Situationen kann die übermäßige wahrgenommene Verantwortung für alle Mitarbeiter, deren Wohlbefinden, aber auch deren Arbeitsergebnis (eventuell gegenüber dem wiederum eigenen Vorgesetzten) zu negativen Konsequenzen für sich selbst führen.

Laut dem Führungskräfte-Radar 2020 empfinden 74,4% der Führungskräfte ihre Tätigkeit als Belastung und sind selbst im Engagement ihrer Führungsarbeit abhängig von Strukturen.

Auch hier würde die Bewegung zur neuen Arbeit kritisch ansetzen und hinterfragen. Die Umverteilung von Macht ist eben nicht einfach Empowerment von einzelnen oder allen Mitarbeitern, sondern auch Entlastung und Befreiung von der Vorstellung, dass New Leadership im Martyrium für die eigene Firma besteht.

 

3. Servant Leadership und Neue Arbeit – Neue Arbeit als konsequentes zu Ende Denken oder Träumerei des Servant Leadership Konzepts?

3.1 Servant Leadership und Neue Arbeit: Situativer Pragmatismus versus ambitionierter Idealismus

Wie ist nun das Verhältnis von Servant Leadership und neuer Arbeit im Hinblick auf ein neues Führungsverständnis? Das Konzept der Servant Leadership bietet meiner Einschätzung nach einem fruchtbaren Boden, um im Sinne von New Work Unternehmen durch die Mitarbeiter selbstgeführter und damit auch ökonomisch-organisatorisch agiler zu gestalten. Allerdings gewichtet es vor allem die personellen Aspekte einer kulturellen Transformation. Hier denken die Konzepte neuer Arbeit Servant Leadership konsequent zu Ende und sind mit der Beschreibung kulturell-struktureller Merkmale auch deutlich umfassender in der Betrachtungsweise.

Allerdings muss sich auch die neue Arbeit aus der Perspektive des Servant Leaderships kritische Anfragen gefallen lassen. So mag zwar die personelle Verengung auf hierarchisch eingegliederte Führungskräfte die Stabilität solcher Vorhaben stark von Einzelnen abhängig machen, allerdings bietet es so auch konkrete und mächtige Hebelpunkte, um überhaupt eine kulturelle Veränderung in Gang zu setzen. Komplexere soziale Strukturen zu verändern und dauerhaft zu gestalten ist nicht nur auf sozialer Ebene deutlich herausfordernder. So gibt es immer noch keine rechtlich bindenden Regelungen für verteilte Macht in Organisationen. Im Gegenteil. Im Bankenbereich sind laut KWG und den Mindestanforderungen an das Risikomanagement bestimmte Positionen zu schaffen. Diese sind gesetzlich vorgeschrieben und brauchen eines konkreten Verantwortlichen. Die Gefahr einer Verantwortungsdiffusion wird vom Gesetzgeber so über klare juristische Regelungen eingeengt, damit aber auch schnell die Freiheit anderer Organisationsformen beschnitten. Auch die Anforderungen an Selbstführung sowie das Finden von Sinn in der eigenen Arbeit für das Unternehmen ist ein hoher Anspruch, der eine hohe Mitarbeiterreife bezüglich des Kompetenz- und Motivationsniveaus voraussetzt. Während also das Konzept des Servant Leadership mit einem gewissen aktuellen Pragmatismus aufwarten kann, lässt sich dem Konzept der neuen Arbeit schnell ambitionierter Idealismus vorwerfen. Dies wird auch zur Gretchenfrage für das Verständnis eines New Leadership.

 

3.2 New Leadership – Können, Wollen und Dürfen: Ein synthetisches Konzept aus Servant Leadership und New Work

New Leadership braucht also als vollständiges Konzept sowohl die kulturell-personellen Elemente des Servant Leadership-Ansatzes, muss aber auch um den Beisatz “New” zu verdienen auch kulturell-strukturelle Elemente beinhalten. Oder einfacher gesagt: Nicht nur Motivation und Kompetenz sind ausschlaggebend, sondern auch der strukturelle Freiheitsgrad, den jeder Mitarbeiter hat. Dabei muss ein New Leadership auch der Herausforderung Rechnung tragen, dass die Geisteshaltung eines selbstbestimmten Arbeitens im Sinne Bergmanns und Lalouxs nicht das ideal aller Menschen ist. Frithjof Bergmann selbst bezeichnet dies als “Armut der Begierde”:

“Wenn man Menschen ganz spontan fragt, was sie wirklich und wahrhaftig möchten, dann halten die allermeisten den Atem an, schauen betroffen drein und zucken die Schultern. Nicht nur Arbeiter, sondern die meisten von uns können diese Frage nicht beantworten. Dies ist in der Tat so verbreitet, dass wir uns in den Gruppen für Neue Arbeit daran gewöhnt haben, dieser häufigen menschlichen Schwäche einen Namen zu geben; wir nennen sie die Armut der Begierde (Bergmann 2020: 134).”

 

Auch die verschiedenen Werthaltungen diverser Milieus, zum Beispiel dem hedonistischen Milieu, werden wohl nicht alle auf Arbeit verwirklicht werden, sondern richten sich auf Freizeit als eigenständiger Wert, welcher Arbeit als Mittel zum Zweck zur Freizeit betrachtet.[4] Der hohe Anspruch von sinnvoller Tätigkeit ist dabei kein neuer (vgl. Suzman 2021), sondern menschlich tief verankert, dabei aber soweit wie Laloux zu gehen und den Sinn in die betriebliche Lohnarbeit zu integrieren, taugt wohl schwer als höchste Maxime für alle Arbeitnehmer.

Folglich muss New Leadership es als Ziel haben den einzelnen zwar Selbstführung als Ziel zu setzen, aber auch Reifepunkte auf diesem Weg bieten.

Um dieser kulturell-personell verengten Sichtweise einer Servant Leadership Anthropologie zu entkommen, will ich die Achsen von Motivation und Kompetenz um das strukturelle Element des “Dürfen” erweitern. Das heißt im Sinne der neuen Arbeit darf es nicht nur entscheidend sein Mitarbeiter zu Coachen. Ihnen muss echte Beteiligung bei entsprechender Fähigkeit dialogisch angeboten werden, welche dann auch bei entsprechender Kompetenz strukturell verankert wird – insofern der Mitarbeiter es will. Das heißt folglich, dass der Mitarbeiter Entscheidungskompetenzen zugesprochen bekommt, es also zum echten Dialog zwischen Führungskraft und Mitarbeiter kommt. Dabei halte ich folgende Grundprinzipien für relevant

  • Echter Verdienst: Entscheidungen müssen auf Basis von Kompetenz getroffen werden, daher sollte es Abstufungen von Freiheitsgraden geben, um die sich Mitarbeiter durch ihre Leistung verdient machen können
  • Echte Freiwilligkeit: Da nicht jeder Mitarbeiter Mitsprache zum Ziel hat, darf es keinen Zwang zur Entwicklung in diese Richtung geben. Auch ist nicht in jedem Bereich ein gleiches Maß an Freiheit und Beteiligung möglich, wenn etwa rechtliche Rahmenbedingungen klare Vorgaben machen.
  • Echte Mitsprache: Wird Mitarbeitern Entscheidungsmacht zugesprochen, so darf diese nicht von Führungskräften wieder einfach einkassiert werden. Entscheidungsfindungsprozesse müssen echte Mitsprache ermöglichen (Beispiele hierzu liefern Techniken aus der Soziokratie, Loop Approach, etc.)
  • Echte Verantwortung: Das heißt auch negative Konsequenzen dürfen am Ende nicht wieder auf die formale Führungskraft abgeladen werden. Dies würde dem Mitarbeiter die Chance zu lernen nehmen, aber auch die formalen Führungskräfte zu einem Einmischen nötigen.

 

Um diese Prinzipien umsetzen zu können will ich zu guter Letzt einige Impulse setzen:

  • Entwicklungspläne formalisieren und gewonnene Kompetenz offiziell verankern: Das heißt die erarbeiteten Freiheitsgrade müssen in der Organisation verankert werden. Hierzu bieten sich individuelle Entwicklungspläne an.
  • Damit diese Entwicklungspläne das Einbringen von Kompetenzen – also Arbeit, die man wirklich will und kann – möglich machen, dürfen diese nicht nur nach starren Stellenprofilen entwickelt werden, sondern thematisch auf die Ressourcen aufbauen, die miteingebracht werden. Jemanden mit mangelnden literarischen Fähigkeiten beispielsweise die Erstellung von Berichten und PR-Auftritten vollkommen frei zu übergeben, wird sonst nicht als Freiheitsgewinn wahrgenommen, sondern als Verdammung zur Freiheit. Dazu bieten sich deutlich besser Rollenbasiertes Arbeiten an, wie es verschiedene Ansätze aus den agilen Rahmenwerken wie Scrum, The Loop Approach etc. anbieten
  • Auf Basis der Rollen und der damit verbundenen Themen bietet es sich an bereichsübergreifende Entscheidungsgremien zu schaffen. So können bei komplexen Herausforderungen Entscheidungen von einer größeren oder anderen Anzahl von Personen getroffen werden, die nicht qua Position in Entscheidungszwang sind, sondern aufgrund von Motivation und Kompetenz entscheiden wollen und können.

 

Ein kleines Beispiel bietet hier Netflix. Reed Hastings, der CEO, stellt in dem zusammen mit der Wissenschaftlerin Erin Meyer herausgegebenen Bericht über die Netflix-Unternehmenskultur solch ein strukturiertes Konzept vor, welches in dem Bereich angewandt wird, wo sinnvoll möglich. Dabei geht es darum für die richtig motivierten und kompetenten Mitarbeiter schnell erste Freiräume zu schaffen und diese immer mehr auszubauen. Diese werden animiert eigenständige Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen. Abgerundet wird dies durch maximale Transparenz in die Geschäftsvorgänge (vgl. Hastings, Reed / Meyer, Erin 2020).

Allerdings muss man hier anmerken, dass dieses System den kulturell-personellen Aspekt der Personalentwicklung wiederum vollkommen außer Acht lässt, da Netflix nur motivierte und kompetente Mitarbeiter einzustellen versucht bzw. diese dann wieder gehen lässt – Personalentwicklung mit vorhandenen Talenten spielt nur eine untergeordnete Rolle.

Ein eher angepasster Vorschlag auf Abstufungen wären nicht pauschale Freiheitsstrukturen für Mitarbeiter wie bei Netflix oder Holacrazy (vgl. Robertson 2016), sondern diese abzustimmen, auf die Reife des Mitarbeiters bezogen, auf die konkrete Aufgabe oder den allgemeinen Fachbereich. Dies macht natürlich Führungsaufgabe zu einer Coachingaufgabe, welche die dialogische Begegnung auf Augenhöhe braucht, um zu funktionieren.

 

 

 

Auch hier wird ebenso wie bei dem Netflix-Konzept deutlich, warum das Konzept des Servant Leadership nicht ganz das Verständnis von New Leadership abbildet, aber New Leadership auch nicht ohne den Servant Leader vollkommen zu denken ist. Die Übergabe von Macht an andere, die Erweiterung und Transformation hin zu einer dialogischeren Organisationsform ist letztendlich auch eher Zielbild als Bestandsaufnahme. Damit solch eine Transformation dauerhaft gelingen kann braucht es auch strukturelle Verankerungen, aber Organisationen bestehen eben auch aus Menschen, die solche Strukturen als Vision verfolgen und erschaffen beziehungsweise andere auf diesen Weg hin mitnehmen. Oder mit Worten Robert Greenleafs:

“Much more than a dreamer is required to bring it to reality; but the dream must be there first.”

 

Literaturverzeichnis

Bergmann, Frithjof (2020): Neue Arbeit, neue Kultur. Arbor Verlag: Freiburg im Breisgau.

Greenleaf, Robert (1977): The Servant as Leader. In: Walther Zimmerli et al (Hrsg.): Corporate Ethics and Corporate Governance. Springer Verlag: Berlin u.a.

Bertelsmann Stiftung (2020): Führungskräfte-Radar. Führungsmüde? Deutschlands. Führungskräfte (ver-)zweifeln an ihrer Rolle. Abgerufen unter https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/fuehrungsmuede-deutschlands-fuehrungskraefte-ver-zweifeln-an-ihrer-rolle (31.12.2021).

Capgemni (2021), zitiert nach https://www.capgemini.com/de-de/2021/01/agile-befaehigung-servant-leadership/

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Fussnoten

[1] Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity

[2] https://www.capgemini.com/de-de/2021/01/agile-befaehigung-servant-leadership/ & https://digitaleneuordnung.de/blog/servant-leadership/ (zuletzt aufgerufen am 31.12.2021)

[3] Vgl. https://www.forum-wirtschaftsethik.de/agilitaet-und-nachhaltigkeit-synergieeffekte-zweier-megatrends-in-der-krise/ (letzter Zugriff am 31.12.2021)

[4] https://www.sinus-institut.de/sinus-milieus/sinus-milieus-deutschland (zuletzt aufgerufen am 31.12.2021)

 

Der Autor

Sebastian Weißgerber

Sebastian Weißgerber ist Geschäftsführer des International Centre for Ethics in Finance (ICEF), Mitarbeiter an der KU Eichstätt-Ingolstadt und Referent für Personalentwicklung und Ausbildung bei der Sparkassenakademie Bayern. Nach einer Ausbildung zum Bankkaufmann und dem Studium der Soziologie, Philosophie und des Bildungsmanagements (B.A./M.A.) hat er zum Thema “Christian Finance? – kulturelle Werteversprechen und Geschäftsmodell von Kirchenbanken auf dem Markt für ethisch-nachhaltige Finanzen” promoviert.

 

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