Wieso ist eine sogenannte leistungsorientierte Vergütung sowohl schädlich für den unternehmerischen Erfolg, als auch menschlich unfair?
In der unternehmerischen Praxis findet eine wie auch immer gestaltete variable Vergütung nach wie vor noch auf breiter Basis statt. Vor allem große Unternehmen neigen zu einer derart gestalteten Entlohnung. Dies ist möglicherweise eine Folge der überbordenden Bürokratie in Konzernen geschuldet, welche auf Kontrolle angewiesen ist. Denn eine Vergütung, welche für das Individuum variabel gestaltet ist, lässt sich leichter kontrollieren und bietet vor allem die Möglichkeit, Geld vorzuenthalten. Dabei ist seit vielen Jahren breiter wissenschaftlicher Konsens: Diese Praxis variabler Vergütung ist erstens lediglich vermeintlich an individuelle Leistung gekoppelt, jedoch zweitens nicht im Sinne von nachhaltigem unternehmerischen Erfolg. Drittens ist dies eine unfaire Art der Entlohnung und verstößt gegen die organisationale Fairness auf allen drei Ebenen: distributive Fairness (faire Verteilung), prozedurale Fairness (faire Verfahren) und interaktive Fairness (faire soziale Interaktion). Leider hat diese Erkenntnis ihren Weg noch nicht in alle Unternehmen gefunden. In diesem Beitrag soll nun einerseits ein kurzer Überblick über den Stand der Forschung gegeben werden und andererseits zu einer faktenbasierten Diskussion in der unternehmerischen Praxis angeregt werden, die doch allzu häufig postfaktisch geführt wird. Zu einer Organisations- und Führungskultur, welche sowohl die wissenschaftlichen Erkenntnisse in Bezug auf menschliche Motivation, als auch das Menschenbild einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft berücksichtigt, ist ein tatsächlich praktiziertes, faires Vergütungssystem. In diesem Artikel wird nun zu Anfang begründet, wieso eine variable Vergütung unfair ist. Dies steht im Widerspruch zu dem irreführenden Wording in Bezug auf Systeme variabler Vergütung. Diese werden häufig irreführend auch als »leistungsorientierte« Vergütung, »leistungsbezogene« Bezahlung, variable »Leistungsentlohnung« oder »pay for performance« bezeichnet, so als stünden diese Formen der Entlohnung in kausalem Zusammenhang mit individueller Leistung. Es wird sich nun schnell erschließen, dass die Erkenntnisse in Bezug auf intrinsische Motivation, organisationale Gerechtigkeit und die Werte einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft strukturell vor allem von großen Unternehmen ignoriert werden. Systeme variabler Vergütung dienen in diesem Artikel als Gegenbeispiel für eine faire, also fixe sowie transparente Vergütung. Denn fixe Vergütung ist eine der wichtigsten Grundlagen von organisationaler Fairness und nachhaltigem, unternehmerischen Erfolg.
Ziel einer Organisation sollte es sein, dass es den dort tätigen Menschen ermöglicht wird, sowohl im Sinne der Organisation, als auch in ihrem eigenen Sinne tätig zu sein. Beide Sinnwelten sollten sich überschneiden. Das heißt, dass Mitarbeiter*innen sich beispielsweise auf ihre individuelle Tätigkeit oder die Kund*innen konzentrieren und diese Tätigkeit auch individuell als sinnstiftend bewerten. Hierbei gilt es, den Menschen zu ermöglichen, ihre intrinsische Motivation in allen drei Säulen (Autonomie, Weiterbildung und Sinnstiftung) zu erhalten und diese darüber hinaus auch zu fördern. Entscheidend ist die vorher getroffene Annahme in Bezug auf die tatsächliche Motivation der Mitarbeiter*innen. Diese kann auf Basis eines negativen und faktisch unbegründeten Menschenbildes getroffen werden: Die These vornehmlich des Taylorismus, dass die Arbeitskraft grundsätzlich tendenziell zurückgehalten würde und über externe Leistungsanreize erst gefördert werden müsse, ist überholt und trifft allenfalls auf Tätigkeiten zu, welche nicht einmal rudimentäre kognitive Herausforderungen stellen (vgl. Ariely 2008, S. 43; Aßländer 2009, 262 ff.; Bennis/Nanus 2007, S. 20; Osterloh/Weibel 2006, S. 167; Pink 2011, S. 28 f., 34 ff., 69 ff.; Volpert 1995, XXIII). Es gilt demzufolge, organisationale Fairness auf Basis eines positiven Menschenbildes wie es etwa aus freiheitlich-demokratischen Grundwerten folgt, zu verwirklichen.
Variable Vergütung vs. Innovation
Ein System von Belohnung und Bestrafung in Unternehmen und Organisationen durch wie auch immer gestaltete Systeme individuell variabler Vergütung, also auch sogenannte Systeme »leistungsbezogener« Bezahlung, sind ungeeignet, um einerseits die Kreativität und Innovation sowie andererseits auch die Leistung der Mitarbeiter*innen zu fördern und steht vor allem dem Menschenbild einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft fern (vgl. Jensen/Murphy 1990, S. 225-264). Selbst die tayloristische, ökonomische Theorie hat verstanden: “Traditionelle Incentive-Systeme reichen einfach nicht aus, um das Beste aus den Mitarbeitern herauszuholen” (Goleman/Boyatzis 2008, S. 38), sondern das Gegenteil ist der Fall: Diese Systeme sorgen für eine deutlich messbare Minderleistung (vgl. Osterloh/Weibel 2006, S. 44). Schließlich geht es auch nicht darum, etwas aus Menschen »herauszuholen«, sondern es gilt das vorhandene Potential und die vorhandene intrinsische Motivation zu fördern. Menschen sollen folglich nicht als objektivierte Ressource, sondern als mündige Individuen angesehen werden. “Auf diesem Hintergrund ist leicht zu verstehen, warum ein Wechsel von fixer zu variabler Entlohnung als ein Signal verstanden wird, dass Pflichterfüllung ohne Extra-Bezahlung gar nicht erwartet wird” (Osterloh/Weibel 2006, S. 198). So wird die anfänglich wirksame intrinsische Motivation der Mitarbeiter*innen unter anderem durch Systeme variabler, angeblich »leistungsbezogener« Vergütung zerstört und durch schlecht wirksame Anreize für extrinsische Motivation ersetzt. Dadurch werden die Menschen auf die Funktion als Produktionsfaktor allein reduziert. Denkt man dies zu Ende, so spricht das den Mitarbeiter*innen die Würde als Mensch ab. Daher ist es sowohl für die Organisation als auch für das einzelne Subjekt schädlich, wenn der Lohn variabel statt marktgerecht und fix, also fair, gestaltet ist (vgl. Frey/Osterloh 2005, S. 96-111; Osterloh/Weibel 2006, S. 198 f.).
Dabei ist zu beachten, dass dem Konzept variabler Vergütungssysteme die Idee zugrunde liegt, dass Menschen durch diese Form der Vergütung motiviert würden, im Sinne des Unternehmens zu handeln. Dieser Idee liegen allerdings einige Denkfehler zugrunde:
- Erstens wurde bereits vielfach aufgezeigt, dass die vorhandene intrinsische Motivation durch extrinsische Motivatoren verdrängt werden kann. Variable Vergütung schadet demzufolge der Motivation, statt diese zu fördern, denn „die Bonus-Praxis in Unternehmen ist die Krankheit, für deren Heilung sie sich hält“ (Sprenger 2007a, S. 93).
- Zweitens wird davon ausgegangen, es sei Aufgabe von Führungskräften oder gar von dem Unternehmen als Organisation, zu motivieren. Dies ist jedoch weder möglich noch notwendig. Folgerichtig kann es auch weder Aufgabe von Führung noch die von Organisationen sein, zu motivieren.
- Drittens reduziert die Sichtweise von Systemen variabler Vergütung den Zweck von Arbeit einzig auf die betriebliche Leistungserstellung und als einziges Motiv zur Arbeit wird der Lohn angesehen (vgl. Aßländer 2009, S. 267).
- Viertens lässt sich, von grundsätzlichen Rahmenbedingungen abgesehen, nur sehr schwer und höchst selten definieren, welche konkreten individuellen Handlungen tatsächlich im Sinne des Unternehmens liegen.
- Fünftens sollte das übergeordnete Ziel im Blick sowohl der Führungskräfte als auch der Mitarbeiter*innen liegen und nicht eine kleinteilige Überwachung von Teilzielen. Den Blick der im Unternehmen tätigen Menschen verschiebt eine variable Vergütung jedoch immer in Richtung der Kriterien, die den variablen Anteil sichern.
Diese Kriterien können allerdings grundsätzlich nicht derart gestaltet werden, dass sie immer das ökonomische oder das unternehmerische Ziel abbilden. Folgerichtig zwingt eine variabel gestaltete Vergütung den Fokus der Mitarbeiter*innen von der eigenen Tätigkeit weg hin zur Vergütung. Übergeordnete oder langfristige unternehmerische Ziele werden so äußerst wirkungsvoll unterminiert. Ebenso erschwert variable Vergütung den Mitarbeiter*innen, flexibel auf veränderte Rahmenbedingungen oder veränderte Ziele zu reagieren. Diese Flexibilität ist aber ein besonders effizienter wie auch effektiver Teil aller Tätigkeiten, welche nicht einfache Routine sind. Schließlich ist schon eine Binsenweisheit, dass sich sowohl die Rahmenbedingungen wie auch die Ziele in einem stetigen Wandel befinden.
Unternehmerisch notwendige Gestaltungsspielräume erfordern Flexibilität und den Fokus auf übergeordnete Ziele sowie eine dementsprechende Führungskultur. Systeme variabler Vergütung dienen nun fast immer auch als ein gern genutztes Führungsinstrument, da es besonders einfach ist. Dabei wird verkannt, dass Systeme variabler Vergütung immer ein grundsätzliches Misstrauen seitens der Führungskräfte signalisieren. Diese negative Signalwirkung äußert sich nicht zuletzt durch die notwendige, engmaschige Kontrolle sowie durch stark direktive Anweisungen. Dies ist das genau gegenteilige Konzept langfristig erfolgreicher Führung und auch einer der Unterschiede zwischen Führung und Verwaltung, also Management. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass je mehr Fragen von Effizienz in den organisationalen Fokus rücken, desto größer ist die Gefahr, dass Vorgaben für Einzelprozesse immer detaillierter werden und Effektivität in den Hintergrund tritt. Dieser zu große Detailreichtum findet sich unter anderem sowohl im »Harzburger Modell« wie auch in vielen Compliance-Richtlinien. Dadurch werden die Mitarbeiter*innen in der eigenen Autonomie eingeschränkt, denn die individuellen Handlungsspielräume schwinden. Bei ökonomischer Zweckrationalität kommt es allerdings darauf an, dass die Autonomie der individuellen Akteur*innen erhalten bleibt und kritisches Hinterfragen ausdrücklich gefördert wird. Effizienz und Effektivität sollten in einem gut balanciertem Verhältnis zueinander stehen.
Das Menschenbild in Systemen variabler Vergütung
Es muss darüber hinaus nun betont werden, dass neben der ökonomischen beziehungsweise unternehmerischen Unvernunft variabler Vergütung die Grundlage dieses Konzepts ein zutiefst negatives Menschenbild ist. Es existiert somit über die organisationale Unvernunft hinaus auch ein gesamtgesellschaftliches Moment der Unvernunft, in Bezug auf Systeme variabler Vergütung. Denn das Menschenbild, auf welches eine freiheitlich-demokratischen Gesellschaft fußt, ist ein grundsätzlich positives und vertrauensvolles. Die Idee variabler Vergütung und somit die Idee der mehr oder weniger ausgeprägten, aber notwendigen Motivierung von Menschen basiert demgegenüber auf einem von Misstrauen geprägten Menschenbild (vgl. Frey/Osterloh 2000, S. 64-69). Auf den Punkt gebracht lässt sich sagen: “Motivierung ist methodisiertes Misstrauen” (Sprenger 2007a, S. 42). Dieses Menschenbild, welches der Idee der Motivierung zugrunde liegt, lässt sich wie folgt zusammenfassen:
- “Menschen sind tendenziell Leistungsverweigerer.
- Menschen sind hierarchisch gestaffelte Bedürfnisbündel.
- Menschen sind Reiz-Reaktions-Maschinen” (Sprenger 2007a, S. 53).
In der Praxis sind eine konsequente Folge dieses stark vereinfachenden und grundsätzlich negativen Menschenbildes die unterschiedlichen Systeme variabler Vergütung. Solche Systeme basieren dabei immer auf dem Verdacht der per se misstrauischen Führungskraft, dass Menschen nur dann ihre volle Leistung einbrächten, wenn andernfalls das Gehalt um die euphemistisch genannte Leistungszulage gekürzt wird. So wird “die misstrauische Führungskraft (…) flugs zur leistungsorientierten umgelogen” (Sprenger 2007a, S. 46). Denn “weil man den Beteiligten fehlenden Antrieb unterstellt, wird mit Leistungsanreizen, scheinbar objektiver Bewertung, internem Wettbewerb und normierter Qualitätssicherung nachgeholfen” (Laudenbach 2016, S. 112). Aus der Perspektive der Führungskräfte, oder besser der Manager*innen, formuliert könnten Aussagen eines solch misstrauischem Management mit einem entsprechend negativem und tayloristischem Menschenbild wie folgt lauten: “Wenn ich nicht die Möglichkeit habe, dir das Geld vorzuenthalten, arbeitest du nicht voll” (Sprenger 2007a, S. 97) oder “Ich glaube du würdest, wenn du frei wählen kannst, das absolute Minimum (leisten)” (Falk 2009). Denn “schließlich, so die Theorie vom homo oeconomicus, wollen alle Menschen ihren persönlichen Nutzen steigern – und das tun Arbeitnehmer eben, indem sie für ihren Lohn so wenig wie möglich arbeiten” (Kröger 2009). Da allerdings bereits diese These vom homo oeconomicus als eine äußerst stark vereinfachende Modellfiktion entlarvt wurde, scheitern Systeme der (vermeintlichen) Motivierung grundsätzlich bei der Förderung echter Motivation. Die Möglichkeit, Vertrauen durch eine wertschätzende und kluge Führung zu schaffen wird verspielt und schlägt in ihr Gegenteil um. Führung wird zu schlichtem Management reduziert. Zu Organisationen, die von der Annahme ausgehen, sie müssten Motivierung umsetzen, lässt sich festhalten:
“Die Motivierung (Bestechen, Belohnen, Bestrafen) ist strukturelles, unterschiedsloses Misstrauen. Diese Systeme bieten gar nicht die Möglichkeit, vertrauenswürdige Mitarbeiter zu entdecken. Sie nötigen die Menschen in den wechselseitigen Betrug, weil die Manipulation der Leistungsbemessungsgrenze über das Gehalt entscheidet” (Sprenger 2007b, S. 45).
Dies kann weder im Sinne der Werte einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft noch eines Unternehmens sein, welches an lang- oder zumindest mittelfristigem Erfolg interessiert ist. Allerdings sind variable Vergütungssysteme besser zu einer überwachenden und misstrauischen Form von Kontrolle geeignet, worin sich wieder das diesem zugrunde liegende Menschenbild spiegelt. Dies mag die Beliebtheit dieser Form der Vergütung erklären: Es ist die Einfachheit, solche Vergütungen zu kontrollieren und die konstruierte Sicherheit, die individuelle Leistung dadurch einfach messbar zu gestalten und entsprechend zu operationalisieren.
Echte Motivation vs. Motivierung
Obgleich in der gängigen unternehmerischen Praxis variable Vergütung häufig Anwendung findet, lässt sich also grundsätzlich feststellen, dass diese Formen der Entlohnung auf unterschiedliche Weise dazu führen, dass die individuelle sowie die allgemeine Leistungsbereitschaft sinkt und die Kooperation leidet (vgl. Grötker 2008, S. 43). Denn für Mitarbeiter*innen in allen Formen von Organisationen gilt:
“Pay for Performance für jede individuell zurechenbare Leistung verdrängt ihre intrinsische Arbeitsmotivation. Dadurch gehen den Unternehmen unverzichtbare Anreize und Leistungen verloren. Die meisten Mitarbeiter lassen sich überdies nicht sinnvoll als Einkommensmaximierer charakterisieren. Viele sind zu einem erheblichen Ausmass an verschiedenen Aspekten ihrer Tätigkeit um ihrer selbst willen interessiert. Neben Mitarbeitern, die vorwiegend arbeiten, um so viel Geld wie möglich zu verdienen, sind andere innerlich mit der Firma verbunden (Loyale), kümmern sich um die Einhaltung von Regeln und Normen (Formalisten) oder suchen ihre Erfüllung in der Arbeit (Selbstbestimmte). Derartige Motivationen gehen für eine Firma verloren, wenn sie alleine, oder auch nur hauptsächlich, auf Pay for Performance setzt” (Frey/Osterloh 2000, S. 67).
Dass sich diese seit den 1940er Jahren immer wieder bewährte wissenschaftliche Erkenntnis der Minderleistung durch variable Vergütung nicht in der Breite wirtschaftlicher und betrieblicher Praxis durchsetzte, ist auch ein Beleg für die Beharrungstendenzen bestehender Denkmuster (vgl. Pink 2011, S. 2 ff. ; Duncker 1945, S. 85 ff.).
Denn eine solche “Verdachtskultur” (Sprenger 2007a, S. 43), also das Misstrauen in die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter*innen (vgl. Sprenger 2007a, S. 40 ff.), zeigt ein enormes Maß an Beharrlichkeit. Vielleicht eben auch durch die Einfachheit der Überwachung und Operationalsierung von per se schlecht individuell zuzuordnenden Leistungen durch Systeme der variablen Vergütung. Nochmals deutlich festgehalten: das grundlegende Misstrauen und die aus diesem folgende Einführung eines variablen sogenannten »Bonus« kann die Leistungsbereitschaft der Belegschaft signifikant verringern (vgl. Osterloh/Weibel 2006, S. 93 ff., 196). Anders ausgedrückt: „Leistungsorientierte Bezahlung kann zum Rückgang von Leistung führen“[i] (Grötker 2008, S. 42) und tut dies nahezu immer, nämlich wenn es sich um Tätigkeiten mit auch nur rudimentärem kognitivem Anspruch handelt[ii] (vgl. Pink 2009: 9’33’’). Für gewöhnlich sind dies Tätigkeiten, die, soweit es möglich ist, aus rein betriebswirtschaftlicher Perspektive im besten Fall automatisiert werden sollten. Allerdings sollten auch Tätigkeiten, die nur ein geringes Maß an geistigen Herausforderungen für die Mitarbeiter*innen bieten nicht mittels eines Systems variabler Vergütung entlohnt werden, da sonst nicht nur die intrinsische Motivation, sondern ebenso benevolentes Verhalten verdrängt wird (vgl. Ariely/Gneezy/Loewenstein/Nazar 2005, S. 1-21 ; Ariely 2008, S. 43 ; Gneezy/Rustichini 2002, S. 791-810; Laudenbach 2016, S. 112 ff. ; Osterloh/Weibel 2006, S. 93 ff., 196; Pink 2009, 9’33’’; Pink 2011: 28 f., 34 ff., 69 ff.).
Dieser Verdrängungseffekt, dass durch höhere Bonuszahlungen die Leistung geringer wird, ist nicht zuletzt für das Unternehmen schädlich. Es ist ein guter Indikator dafür, dass sehr wahrscheinlich eine misstrauische Verdachtskultur vorherrscht. »Leistungsbezogene« Bezahlung ist folglich ein deutliches Indiz einer Misstrauens vollen Unternehmenskultur und ist nicht zuletzt auch für das gesamte Unternehmen, unter Umständen auch für die gesamte Wirtschaft schädlich (vgl. Osterloh/Weibel 2006, S. 93 ff.)[iii]. Denn nicht nur die bislang letzte Banken- und Wirtschaftskrise mit Beginn in 2008 ist ebenfalls
„(…) mit verursacht durch erfolgsorientierte Bezahlung (… denn) ‚Vergütungs- und Anreizsysteme‘, räumte kürzlich der Vorstandschef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, ein, ‚hätten Manager ermutigt, exzessive Risiken einzugehen‘. Die Rede ist von der Bankenkrise – mit verursacht durch erfolgsorientierte Bezahlung. Leider wurde bei diesem System vergessen, neben dem angestrebten steigenden Geschäftsvolumen auch die damit einhergehende Häufung von Risiken zu bilanzieren.“ (Grötker 2008, S. 44, Anführungszeichen im Original).
Des Weiteren kann zum Thema der so genannten leistungsorientierten Bezahlung zweierlei gesagt werden. Erstens: “Ein Unternehmen, das in Prozessen denkt und eigenverantwortliche Mitarbeiter will, erträgt kein Prämienwesen, das die vertikale Struktur feiert” (Werner 2007, S. 143). Denn obwohl Ökonomen lange der inzwischen veralteten Ansicht waren und einige wenige Ökonomen zum Teil immer noch sind, dass sich durch entsprechende Verträge die Leistung an die Bezahlung koppeln lässt[iv], muss zweitens festgestellt werden: “The evidence indicates that cash compensation – including bonuses – has been at best weakly correlated with firms’ industry-adjusted performance” (Bebchuk/Fried 2004, S. 7). Die folgende graphische Entscheidungshilfe führt noch einmal vor Augen, wann variable Vergütung sinnvoll ist und wann nicht.
(eigene Übersetzung aus Pink 2011, S. 69)
Diese Abbildung verdeutlicht, dass ein System von Belohnungen, treffender bezeichnet als ein System potentieller Bestrafungen, wie es die variable Vergütung darstellt, nur in wenigen Ausnahmen zu empfehlen ist. Die Problemstellung, dass Leistung selten individuell zurechenbar ist, wird ebenfalls durch eine faire, also fixe und marktgerechte Vergütung umgangen. Abschließend kann dazu festgestellt werden: “Needless to say, the weak connection between non-equity-based pay and performance is not inevitable” (Bebchuk/Fried 2004, S. 136).
Beharrlichkeit im Irrglauben von Management
Darüber hinaus haben sich noch einige weitere Vorstellungen von vielen Manager*innen als profunder Irrtum erwiesen. So zum Beispiel, dass,
- eine effektive Beziehung zu den Mitarbeiter*innen vor allem auf derartigen Beziehungen fußt, welche zum Erreichen der Organisationsziele beitragen.
- Menschen insbesondere dann am besten und schnellsten Ziele erreichen würden, verhielten sie sich weitestgehend rational.
- die Beziehungen zu den Mitarbeiter*innen am wirkungsvollsten durch (auch sanfte Formen von) Zwang, eine überwachende Kontrolle und angebliche Belohnungen zu beeinflussen sind (vgl. Aßländer 2009, S. 272 ; Argyris 1971, S. 10 f.).
Um diese Irrtümer nachhaltig zu beseitigen, bedarf eine erfolgreiche und menschenwürdige Form der Zusammenarbeit zuerst eines soliden Fundaments. Dieses kann das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland mit den daraus abgeleiteten Werten und dem entsprechenden Menschenbild sein. Auf einer solchen Grundlage kann die notwendige intrinsische Motivation seitens der Führungskräfte und der Organisation stehen, eine nachhaltige organisationale Fairness umzusetzen. Dadurch erst wird die intrinsische Arbeitsmotivation der Mitarbeiter*innen strukturell geschützt.
Vereinzelt findet sich heute der Glaube daran, dass demokratische Organisationsformen sich ohnehin durchsetzen würden, sofern diese die Bedürfnisse der Kund*innen am besten befriedigten. Doch dieser Glaube belegt nur ein naives Vertrauen in den Markt. Darüber hinaus übersieht dieser Glaube die Schwierigkeiten vor die eine langfristig erfolgreiche, also wertschätzende, Führung sich in der von kurzfristigem Erfolgsdenken geprägten Praxis zu behaupten (vgl. Sprenger 2016, S. 32; Thielemann 2010, S. 286 f.). Diese Form des Marktvertrauens verkennt darüber hinaus die Menschenwürde als notwendige Basis insbesondere auch von Wirtschaft. Vor allem die Lehrenden und Forscher*innen in den Wirtschaftswissenschaften sind in besonderer Weise gefordert selbstreflexiv und kritisch vorzugehen. Denn insbesondere viele “Wirtschaftswissenschaftler (…) halten sich an der Illusion fest, ihre Gegenstände seien unveränderlich wie in einer Naturwissenschaft und eben nicht gesellschaftlich geprägt” (Wolf 2011). Dies führt einerseits zu realitätsferner Ausbildung der Studierenden und verkennt andererseits die Realität, dass alle Wirtschaftswissenschaften ein Teil der Sozialwissenschaften sind (vgl. Dueck 2008, S. 242 f.).
Fazit
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Systeme variabler Vergütung in der Vergangenheit in beispielsweise der industriellen Produktion eine probate Lösung darstellten, um Qualität und Quantität zu sichern. Für redundante Routinetätigkeiten, welche keine kognitive Leistung erfordern, kann diese Form der Entlohnung also nützlich sein. Menschliche Arbeit wird jedoch besser und sinnvoller genutzt, wird diese nicht für vergleichsweise einfach zu automatisierende Tätigkeiten herangezogen. Daher ist es nicht überraschend, dass sich eine variable Vergütung in zunehmendem Ausmaß als kontraproduktiv erweist, denn solche Tätigkeiten nehmen immer weiter ab. Die wirtschaftswissenschaftliche Lehre ist in besonderem Maße gefordert die Ausbildung von zum Beispiel Betriebswirt*innen entsprechend auf Basis der Forschungsergebnisse unter anderem der Verhaltensökonomie zu gestalten.
Quellen:
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[i] Dazu vertiefend: “Pay for Performance eignet sich nur für wenige Tätigkeiten und Mitarbeiter. Bei komplexeren Aufgaben innerhalb einer Unternehmung sowie bei Mitarbeitern, die nicht allein am Einkommen interessiert sind, kann sich Pay for Performance als kontraproduktiv erweisen” (Frey/Osterloh 2000, S. 67; Ariely/Gneezy/Loewenstein/Nazar 2005, S. 1-21).
[ii] Ergänzend zum Zusammenhang von Leistung und variabler Vergütung: “We found that as long as the task involved only mechanical skill, bonuses worked as would be expected: the higher the pay, the better the performance. But when we included a task that required even rudimentary cognitive skill, the outcome was the same as in the India study: the offer of a higher bonus led to poorer performance” (Ariely 2008, S. 43).
[iii] Dazu vertiefend: “Die Konditionierung der Beziehung zwischen Mitarbeitern und Firma auf einen Lohn, der sich ausschließlich an leicht erfassbaren individuellen Leistungen orientiert, unterhöhlt die intrinsische Arbeitsmoti(v)ation (sic!). Die intrinsische Motivation entsteht aus der unmittelbaren Freude an der Arbeit selbst. Bei einem markanten ,Verdrängungseffekt‘ kann der übliche monetäre Anreizeffekt des Lohnes überkompensiert werden. In diesem Falle geht die Leistung der Mitarbeiter zurück, wenn Pay for Performance eingeführt wird” (Frey/Osterloh 2000, S. 67, Anführungszeichen im Original).
[iv] Dazu vertiefend: “Economists have long believed that efficient compensation contracts should link pay with performance to provide executives with desirable incentives” (Bebchuk/Fried 2004, S. 19).
Der Autor
Dr. André Latz
wurde in Soziologie promoviert. Er studierte Erziehungswissenschaft, Soziologie und politische Wissenschaften (M.A.). Er hat eine Ausbildung zum systemischen Coach sowie zum Restaurantfachmann (IHK) abgeschlossen und arbeitet seit 2003 als Coach für Persönlichkeitsentwicklung und Führungskompetenz. Der rote Faden seiner Tätigkeit ist sowohl im unternehmerischen als auch im wissenschaftlichen Kontext das Thema Wertschätzung als Basis von Wertschöpfung.