Eine globale Pandemie stellt Unternehmen sowie die Gesamtwirtschaft momentan vor ungeahnte Herausforderungen und erschwert sowohl das Tagesgeschäft als auch eine strategische Planung. Uns interessiert dabei die folgende Fragestellung: Wie verändert sich in diesen Zeiten der Unsicherheit die Bedeutung von Verantwortung und CSR in Unternehmen? Zu diesem Thema haben wir “5 Fragen an…” Christoph Quarch gestellt.
(1) Beginnen wir mit Ihrem professionellen Hintergrund. Was machen Sie zurzeit beruflich, wo engagieren Sie sich und inwiefern haben Sie einen Bezug zur Wirtschaftsethik? Wie ist Ihre Institution von der Pandemie betroffen?
Christoph Quarch: Als freischaffender Philosoph bin ich von den Folgen der Covid-19-Pandemie massiv betroffen. Dabei bin ich breit aufgestellt: Mein Business umfasst neben der Beratungstätigkeit für Unternehmen diverse Vortrags- und Lehraufträgen, Philosophische Reisen mit der ZEIT und Autorentätigkeiten. Bis auf letztere musste ich alle meine Geschäftszweige in den letzten Monaten stark reduzieren. Meine Umsatzeinbußen lagen zwischenzeitlich bei knapp 90 Prozent. Bei meiner Arbeit mit Unternehmen geht es fast durchweg um wirtschaftsethische Themen: Werte, Tugenden und Sinnperspektiven für Unternehmen.
(2) Weiter geht es mit einer Evaluation der Corona-Krise: Ist diese Krise Ihrer Meinung nach eine Krise wie jede andere oder was ist das Neue an ihr?
Christoph Quarch: Die Corona-Krise ist beispiellos. Erstens, weil sie global um sich greift und es niemanden gibt, den sie nicht beträfe; zweitens, weil sie Maßnahmen erzwingt, die genau dasjenige verbieten und einschränken, was Menschen in Zeiten wie diesen für ihre und die gesellschaftliche Resilienz am dringendsten bräuchten: Menschliche Nähe, geistige und emotionale Nahrung durch Kunst und Kultur, Entlastung von der medialen Hysterie durch gemeinsames Spiel und Sport; drittens, weil es wohl die erste gravierende Pandemie ist, bei deren Bewältigung die Religion als sinnstiftende Institution abgedankt hat. Auch die Folge von alledem ist neu: ein geistiges Vakuum, in das alle möglichen Verschwörungstheoretiker und Esoteriker eindringen, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt erodieren statt zu stärken. Früher gingen Gesellschaften gestärkt aus Krisen hervor. Diese droht sie zu zerreißen.
(3) Nun interessiert uns, inwiefern Sie den Umgang und die Lastenverteilung der Pandemie- Herausforderung als gerecht empfinden. Inwiefern beurteilen Sie die Lastenverteilung zwischen verschiedenen Akteuren a) aus gesamtgesellschaftlicher / gesamtökonomischer Sicht und b) aus Ihrer aktuellen beruflichen / ehrenamtlichen Sicht als angemessen und fair verteilt?
Christoph Quarch: Die Lasten sind erstens ungleich und zweitens schlecht verteilt. Alle Wirtschaftszweige, die es mit einer toten oder sterilen Materie zu tun haben wie die Finanz- oder die Digitalwirtschaft machen fette Gewinne; alle die es mit dem physischen Menschen zu tun haben, sind schwer belastet; alle, die es mit Geist und Kultur haben, müssen ums Überleben kämpfen. Um einer fundamentalen Krise konstruktiv begegnen zu können, braucht es an erster Stelle Geist und Kultur, an zweiter Stelle physische Versorgung und an dritter Stelle virtuelle Güter wie Daten. Aber es kommt noch dicker: Begünstigt wird die Vergangenheit, belastet wird die Zukunft: Am wenigsten Sorgen machen müssen sich Pensionäre und Rentner. Am meisten belastet werden diejenigen, die deren Renten durch ihre (Kurz-)Arbeit finanzieren und dabei auch noch Kinder aufziehen – die ihrerseits (obwohl am wenigsten von Covid betroffen) um ihre Kindheit betrogen werden und ein Leben lang die nun gemachten Schulden werden abarbeiten müssen. Keine gute Aufstellung, um gestärkt aus der Krise zu kommen.
(4) Weiter geht es mit einer Grundsatzfrage: Denken Sie, dass die Corona-Krise einen Anstoß zur Diskussion einer grundsätzlichen Neukonzeption der Art, wie wir zukünftig wirtschaften möchten, darstellt?
Christoph Quarch: Unbedingt, nur wird diese Diskussion nicht geführt. Eigentlich müsste die Pandemie zu der von mir schon lange geforderten Disruption unseres ökonomischen Mindsets führen, mindesten aber dazu, dass wir einige entscheidende Weichenstellungen vornehmen. Das Grunddogma des Neoliberalismus – die gesellschaftliche Steuerungskompetenz des Marktes – ist gründlich entzaubert. Mit einer freien Marktwirtschaft lässt sich keine Pandemie bekämpfen. Lange hatten wir nicht so viel Staat wie jetzt. Und das ist gut so. Auch der Mythos der Globalisierung ist verblasst. Neben der Erkenntnis, dass Deregulierung um jeden Preis falsch ist, steht die Erkenntnis, dass wir die Wirtschaft dringend entglobalisieren und regionalisieren müssen. Vor allem für Europa bedeutet das: Wir müssen ein autarker Wirtschaftsraum werden, gerne unter Einbeziehung von Russland und vollkommen unabhängig von China. Beide Erkenntnisse sind deshalb so wichtig, weil sie die Richtung für die eigentliche Herausforderung des 21. Jahrhunderts weisen: den Klimawandel. Nur ein geeintes, autarkes und nicht-neoliberalistisches Europa wird uns in die Lage versetzten, damit klar zu kommen.
(5) Nun zur letzten Frage: Sehen Sie die Postwachstumsökonomie als eine Antwort auf die Corona- Krise oder vertrauen Sie auf die Vision eines ökologischen Wachstums als Weg aus der Krise?
Christoph Quarch: Wir müssen Ökonomie grundsätzlich neu denken – noch grundsätzlicher denn als Postwachstumsökonomie. So müssen wir uns als erster lösen von der Leitmetapher der neuzeitlichen Ökonomie: der Maschine. Wir denken die Wirtschaft im Ganzen und unsere Unternehmen im Einzelnen nach Maßgabe technischer Apparaturen, deren Sinn darin besteht, eine gegebene Ressource durch optimierte Prozesse möglichst effizient, funktional und produktiv auszubeuten, um einen maximalen Ertrag zu wirtschaften. Dieses Denken ist fatal, weil Maschinen linear und nicht zyklisch funktionieren: Sie generieren nicht-nachhaltiges Wachstum – und zerstören damit die Ressourcen, von denen sie leben. Ich votiere dafür, als Leitmetapher die Maschine durch den Garten zu ersetzen: einen Ort des zyklischen, regenerierbaren Wachstums – nicht nur materiellen, quantitativen Wachstums, sondern vor allem eines qualitativen Wachstums an Geist, Kultur und Lebendigkeit. Es ist an der Zeit zu begreifen, dass Unternehmen allem voran Kulturräume und Lebensräume für Menschen sind – und dass eine Ökonomie nur dann tragfähig ist, wenn sie am menschlichen und natürlichen Leben Maß nimmt.