Die Debatte um die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen – kurz CSR – ist nicht neu, befindet sich jedoch seit geraumer Zeit im Wandel. Der Ukraine-Krieg hat eine Frage in den Fokus gerückt, die auch außerhalb dieses Konfliktes relevant ist: Wie verhalten sich Unternehmen in Kriegszeiten? Und aus wirtschaftsethischer Sicht vor allem die Frage: Wie sollen oder sollten sich Unternehmen in politischen Fragen verhalten? Kurz: Wie beschreiben wir die Corporate Political Responsibility? Zu diesem Thema haben wir 5 Fragen an … Dr. Lina Seitzl MdB.
(1) Wo beginnt für Sie “politisches Engagement von Unternehmen” und an welche Beispiele denken Sie?
Dr. Lina Seitzl: Politisches Engagement von Unternehmen kann auf vielfältige Weise geschehen. Vom Kleinunternehmer, der sich mit seinem politischen Anliegen an die lokale Abgeordnete wendet, bis hin zur großen und organisierten Lobbygruppe versuchen Unternehmen aus fast allen Branchen, immer wieder politische Entscheidungsprozesse zu beeinflussen.
Politisches Engagement ist es meiner Meinung nach aber auch, wenn ein Unternehmen eine bewusste Gewissensentscheidung zugunsten unserer Gesellschaft trifft, die den eigenen ökonomischen Interessen zuwiderläuft. Das kann von Spenden für gemeinnützige Zwecke bis zu der Entscheidung, sich aus einem lukrativen Markt zurückzuziehen, reichen. In jedem Fall kann ein Unternehmen damit ein politisches Zeichen setzen. Als Umweltpolitikerin und Sozialdemokratin finde ich es besonders erwähnenswert, wenn ein Unternehmen sich für klimafreundlicheres Wirtschaften entscheidet und soziale Verantwortung übernimmt, auch wenn ihm dadurch finanzielle Einbußen entstehen. Die Unternehmen übernehmen damit eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Da aktuell immer mehr Unternehmen aufzeigen, dass sozial-ökologisch verantwortliches Handeln auch finanziell für das Unternehmen profitabel sein kann, entwickeln viele Unternehmen eine Corporate Social Responsibility (CSR) -Strategie. In einigen Fällen steckt dahinter aber kein echtes politisches und gesamtgesellschaftliches Engagement, sondern viel mehr die Hoffnung, mit einem oberflächlich aufgebauten sozial-ökologischen Image mehr Gewinne zu erwirtschaften. Wir sprechen dann vom sogenannten Greenwashing.
(2) Wie ist es aus Ihrer Sicht um die Legitimität des politischen Engagements von Unternehmen bestellt? Was ist angemessen und was nicht?
Dr. Lina Seitzl: Damit die Öffentlichkeit die Ziele eines Unternehmens kennt, sollte politisches Engagement von Unternehmen grundsätzlich mit größtmöglicher Transparenz stattfinden. Sobald ein Unternehmen sich bewusst in eine politische Sphäre begibt, muss es sich einer besonderen Verantwortung bewusst sein. Dabei setze ich voraus, dass alle politischen Aktivitäten eines Unternehmens sich im Bereich des Legalen bewegen. Außerdem ist selbstverständlich wünschenswert, dass sich die politischen Ziele und Anliegen eines Unternehmens am Gemeinwohl orientieren. Wenn sich alle Unternehmen nur für diejenigen politischen Anliegen stark machen, die ihnen selbst nutzen, haben wir nichts gewonnen. Die Gesellschaft muss immer als Ganzes gedacht werden – auch seitens der Unternehmen. Besonders angemessen ist politisches Engagement in Bereichen, wo Unternehmen nützliche Innovationen geschaffen haben und gezielt einsetzen. Selbst bei allem vorbildlichen Engagement von Unternehmen darf nicht vergessen werden, dass es die staatlichen Institutionen sind, die als übergeordnete Instanz die Maßstäbe setzen.
(3) Welche Grenzen hat politisches Engagement von Unternehmen und wann kann es auch gefährlich und schädlich sein?
Dr. Lina Seitzl: Zunächst ist selbsterklärend, dass politisches Engagement von Unternehmen der Gesellschaft massiv schadet, wenn es extremistische Ziele verfolgt oder auf anderem Wege den gesellschaftlichen Frieden gefährdet. Außerdem wird es dort verwerflich und auch rechtlich relevant, wenn politische Einflussnahme gegen Gegenleistungen erbracht wird. Damit Korruption vermieden und aufgedeckt werden kann, ist daher Transparenz bei politischem Engagement sehr wichtig. In der letzten Legislaturperiode wurden mit der Einführung des Lobbyregisters deshalb die parlamentarischen Transparenzregeln verschärft. Was wir leider in Deutschland nicht haben, ist der sogenannte “exekutive Fußabdruck”. Vereinfacht gesagt legt das Lobbyregister offen, wer Einfluss nimmt. Der “exekutive Fußabdruck” hingegen zeigt, auf welche Art und Weise Einfluss genommen wurde.
Gesamtgesellschaftlichen Schaden richten in meinen Augen auch Unternehmen an, die aus unternehmerischen Anreizen Greenwashing betreiben. Verbraucherinnen und Verbraucher halten die Unternehmen für vermeintlich politisch engagiert und wollen dieses Anliegen unterstützen. Nur wenn für alle Verbraucherinnen und Verbraucher transparent und ohne großen Aufwand deutlich wird, wer wirklich gemeinwohlorientiert handelt, können sozial-ökologisch handelnde Unternehmen auch gezielt von den Kundinnen und Kunden nach diesem Kriterium ausgewählt werden.
(4) Welche internen Strukturen (Corporate Governance) und welche Expertise benötigen Unternehmen, um gute politische Entscheidungen zu treffen?
Dr. Lina Seitzl: Um gute politische Entscheidungen zu treffen und Ihre Interessen einbringen zu können, müssen Unternehmen wissen, an wen Sie sich wenden können. Als Politikerin habe ich – insbesondere in meinem Wahlkreis Konstanz – immer ein offenes Ohr für die Anliegen der Unternehmen. Denn auch wir als Politikerinnen und Politiker haben natürlich ein großes Interesse daran, dass die Wirtschaft vor Ort funktioniert. Sie ist für die Arbeitsplätze und den Wohlstand unseres Landes wichtig. Deswegen gehen wir auch selbst häufig auf Unternehmen zu, um zu erfahren, mit welchen Herausforderungen die Unternehmen derzeit konfrontiert sind und um gegebenenfalls Lösungen für vermeidbare Probleme zu finden.
Für die SPD-Bundestagsfraktion steht zum Beispiel die sozial-ökologische Transformation unserer Wirtschaft als eine der wichtigsten Herausforderungen unserer Zeit im Fokus. Um auf unsere Abgeordneten mit Wünschen, Hinweisen, Problemen oder Anregungen zuzugehen, brauchen Unternehmen also keine große strategische politische Abteilung. Ihre Anliegen werden von uns gehört, sobald sie auf uns zukommen. Natürlich erhält das Statement einer bundesweit organisierten Branchenvertretung grundsätzlich eine größere Aufmerksamkeit, auch medial. Aber auch ein konstruktiver Vorschlag oder ein Hinweis eines einzelnen Unternehmers kann unter Umständen seinen Weg in den politischen Entscheidungsprozess finden. Das hängt natürlich auch immer vom Anliegen, der Relevanz und den konkreten Umständen ab.
(5) Worin sehen Sie Chancen und für welche Themen wünschen Sie sich mehr politisches Engagement von Unternehmen?
Dr. Lina Seitzl: Die Idee der Gemeinwohlökonomie hat in den letzten Jahren erhöhte Aufmerksamkeit erhalten. Damit sollen Nachhaltigkeit, regionale Wertschöpfung und attraktive Arbeitsplätze miteinander vereint werden. Damit leisten Unternehmen einen wertvollen Beitrag zur Gestaltung der Arbeit von morgen. Denn die derzeit rasend schnelle Entwicklung von künstlicher Intelligenz ist eine Medaille mit zwei Seiten: Einerseits kann sie uns einige Aufgaben abnehmen, was unser Leben erleichtert. Andererseits sind dadurch zahlreiche Arbeitsplätze bedroht, weil deren Aufgaben von KI-Technologien teilweise oder sogar vollständig übernommen werden könnten. Insofern werden Unternehmen in den nächsten Jahren eine massive gesamtgesellschaftliche Verantwortung tragen, was die Transformation betrifft, damit Arbeitsplätze durch Neugestaltung erhalten bleiben.
Generell halte ich gemeinwohlorientiertes Handeln von Unternehmen für sehr sinnvoll und wünsche mir viel mehr davon. Die Politik ist dabei auch gefragt, Anreizstrukturen für solches Handeln zu setzen. Es darf dabei aber keine Dynamik geben, bei der die eine gegen die andere Seite arbeitet. Nur mit einem konstruktiven Miteinander können Politik und Wirtschaft die richtigen Weichen für die Zukunft stellen.
Über Dr. Lina Seitzl MdB
Lina Seitzl (*1989) sitzt seit 2021 für die SPD im Deutschen Bundestag. Nach dem Studium der Politik- und Verwaltungswissenschaft in Konstanz nahm sie 2015 eine Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität St. Gallen in der Schweiz an. Als Hochschuldozentin lehrte sie dort Politikwissenschaft und promovierte kurz vor ihrer Wahl in den Bundestag. Sie ist verheiratet, sitzt seit 2019 im Kreistag von Konstanz und ist Mitglied im Landesvorstand der SPD Baden-Württemberg. Ihre politischen Schwerpunkte sind Umwelt- und Bildungspolitik, womit sie sich bereits in ihrer akademischen Karriere intensiv befasst hat.