Die Debatte um die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen – kurz CSR – ist nicht neu, befindet sich jedoch seit geraumer Zeit im Wandel. Der Ukraine-Krieg hat eine Frage in den Fokus gerückt, die auch außerhalb dieses Konfliktes relevant ist: Wie verhalten sich Unternehmen in Kriegszeiten? Und aus wirtschaftsethischer Sicht vor allem die Frage: Wie sollen oder sollten sich Unternehmen in politischen Fragen verhalten? Kurz: Wie beschreiben wir die Corporate Political Responsibility? Zu diesem Thema haben wir 5 Fragen an … Dr. Martin von Broock

 

(1) Wo beginnt für Sie “politisches Engagement von Unternehmen” und an welche Beispiele denken Sie?

Dr. Martin von Broock: Typischerweise engagieren sich Unternehmen auf zwei Ebenen im politischen Kontext: Sie bringen sich mit konkreten Forderungen sowie fachlichen Impulsen in die politische Gesetzgebung ein. Das läuft unter den Überschriften Lobbying sowie Advocacy und betrifft die Ebene der Spielregeln. Und sie nehmen über Initiativen und Positionen Einfluss auf gesellschaftspolitische Debatten. Hierfür etabliert sich verstärkt der Begriff des Corporate Activism, der auf der Ebene des Spielverständnisses ansetzt. Allerdings werden zunehmend auch konkrete Handlungen auf dem Spielfeld politisch gedeutet. So kann beispielsweise die Art und Weise, wie ein Unternehmen das Thema Diversity in seiner Kommunikation (nicht) umsetzt, schnell zum “Politikum” werden. Auch mit solchen zugeschriebenen politischen Haltungen müssen Unternehmen verstärkt umgehen.

 

(2) Wie ist es aus Ihrer Sicht um die Legitimität des politischen Engagements von Unternehmen bestellt? Was ist angemessen und was nicht?

Dr. Martin von Broock: Im demokratischen Willensbildungsprozess sollen Unternehmen – ebenso wie andere Organisationen – ihre Interessen vertreten können. Dafür gibt es klare Spielregeln, die hierzulande zuletzt mit dem Lobbyregister weiter konkretisiert wurden. Daneben zeigen unsere und andere Studien: Auch die Bürger*innen halten unternehmerische Sachkompetenz im politischen Entscheidungsprozess prinzipiell für notwendig. Sie zweifeln aber daran, dass Unternehmen legale Lobby-Spielräume verantwortlich nutzen. Daher greift es zu kurz, bei der Angemessenheit von Lobbying allein auf den Rechtsrahmen verweisen. Unternehmen sollten im Interesse der eigenen Handlungsspielräume auch eigene Orientierungen für angemessenes Lobbying anbieten: An welchen Prinzipien orientieren sie ihr politisches Engagement? Welchen Aufwand ist ihnen das wert? Wie schlagen sich die Prinzipien konkret in der Lobbypraxis nieder? Und wie beurteilen das Dritte? Das sind legitime Fragen. Es wäre unangemessen, sie zurückzuweisen.

 

(3) Welche Grenzen hat politisches Engagement von Unternehmen und wann kann es auch gefährlich und schädlich sein?

Dr. Martin von Broock: Während sich Lobbying auf einen klaren Rechtsrahmen beziehen kann, erweist sich Corporate Activism aus verschiedenen Gründen als Gratwanderung: Unternehmen sind auf vielfältige Kooperationen angewiesen, um am Markt bestehen zu können. Sie sind keine Gesinnungsorganisationen, sondern müssen nach innen Meinungsvielfalt und Diskurse zulassen. Und: Sie müssen unterschiedliche kulturelle Traditionen und Wertvorstellungen respektieren. Diese Voraussetzungen begrenzen die unternehmerischen Möglichkeiten, in gesellschaftspolitischen Debatten “harte Kante” zu zeigen. Dennoch wäre es falsch, Unternehmen deshalb gänzlich das Mandat für gesellschaftspolitische Debatten abzusprechen. Denn wenn solche Debatten unternehmerische Existenzgrundlagen – etwa im Zuge von Verschwörungserzählungen – in Frage stellen, kann auch ein Unterlassen den langfristigen Unternehmenserfolg gefährden. Zumal kontroverse Themen über Kantinen und Werkbänke immer auch in die Unternehmen hineingetragen werden. Bezieht das Management dann nicht Position, wird dies mitunter als stillschweigende Duldung interpretiert. Unternehmen können mit anderen Worten nicht “nicht” Haltung zeigen.

 

(4) Welche internen Strukturen (Corporate Governance) und welche Expertise benötigen Unternehmen, um gute politische Entscheidungen zu treffen?

Dr. Martin von Broock: Politische Unternehmensverantwortung gerät vor allem im Zuge der ESG-Debatte in den Blickpunkt. Investoren hinterfragen zunehmend: Treiben Unternehmen mit ihrem Lobbying den selbst bekundeten nachhaltigen Wandel voran? Oder hintertreiben sie im Verborgenen strukturelle Veränderungen und verstärken damit gesellschaftliche Risiken? Für Unternehmen folgt daraus: Es reicht nicht aus, beim politischen Engagement formal compliant zu sein. Auch, wenn dies im Zuge dynamischer Regulierungen bereits an sich voraussetzungsreich ist. Stakeholder fordern außerdem mehr nachweisbare Konsistenz (oder Integrität) von Geschäftsstrategie, Kommunikation und politischem Engagement. Konkret gerät dabei etwa die Übereinstimmung von eigenen Aktivitäten und der Mitwirkung in Verbänden in den Blickpunkt. Für die unternehmerische Binnenorganisation folgt daraus: Notwendig ist mehr Kooperation zwischen den Disziplinen und weniger Silodenken. Dafür müssen Kapazitäten bereitgestellt, vor allem aber auch Anreizsysteme angepasst werden.

 

(5) Worin sehen Sie Chancen und für welche Themen wünschen Sie sich mehr politisches Engagement von Unternehmen?

Dr. Martin von Broock: Vielleicht ist dies eine Chance der gegenwärtigen Krisen: Sie erhöht den Druck auf Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, den politischen Wettstreit konstruktiver auszutragen. Denn zusammen stellen Klima, Corona und Krieg unsere freiheitliche Ordnung auf die vielleicht härteste Bewährungsprobe. Es geht also für alle Akteure um das Risiko von Lose-Lose. Denn: Ohne stabiles Spielfeld keine Krisenbewältigung. Insofern würde ich mir wünschen, dass Unternehmen neben der notwendigen Vertretung ihrer partikularen Interessen verstärkt auch in den Erhalt der gemeinsamen Ordnung investieren. Angesichts wachsender gesellschaftlicher Spaltungen entwickelt sich hier die Frage der sozialen Nachhaltigkeit zum kritischen Megathema: Wie sichern wir Teilhabe in der Transformation und balancieren Zumutungen und Erträge fair aus? Umso besser, dass sich viele Unternehmen, Verbände und Organisationen bereits auf den Weg machen.

 

Corporate Political Responsibility – 5 Fragen an… ist eine Interviewreihe des DNWE. Sie zeichnet sich besonders durch die Pluralität unserer Expert_innen aus. Die gesamte Reihe veröffentlichen wir fortlaufend im Dossier.

 

 

 

 

 

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