Die Debatte um die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen – kurz CSR – ist nicht neu, befindet sich jedoch seit geraumer Zeit im Wandel. Der Ukraine-Krieg hat eine Frage in den Fokus gerückt, die auch außerhalb dieses Konfliktes relevant ist: Wie verhalten sich Unternehmen in Kriegszeiten? Und aus wirtschaftsethischer Sicht vor allem die Frage: Wie sollen oder sollten sich Unternehmen in politischen Fragen verhalten? Kurz: Wie beschreiben wir die Corporate Political Responsibility? Zu diesem Thema haben wir 5 Fragen an … Nathalie Figge.

 

(1) Wo beginnt für Sie “politisches Engagement von Unternehmen” und an welche Beispiele denken Sie?

Nathalie Figge: Optionen für politisches Engagement von Unternehmen sind vielfältig. Daher sollten zunächst einige inhaltliche Abgrenzungen gezogen werden. Politisches Engagement beginnt für mich schon in Fällen, in denen Unternehmen zu politischen Entscheidungsträgern Kontakt aufnehmen und ein gezielter Informationsaustausch stattfindet.

Politische Akteure sind in den seltensten Fällen entscheidungsneutral, sodass stets ein politisches Interesse vorausgesetzt werden muss. Dieses kann durch einseitig geprägten Informationsvorsprung des unternehmerischen Akteurs zu dessen Vorteil genutzt werden. Meinungsbildung in der Politik ist daher nicht nur ein Faktor für Wählerinnen und Wähler in demokratischen Systemen, sondern auch für politische Akteure.

Die Frage bleibt immer, was unter politischem Engagement verstanden wird. Das hängt zwangsläufig von der Größe des Unternehmens ab: Geht es um mittelständische Betriebe, die auf kommunaler Ebene Verbesserungen anstreben? Oder sind es Global Player, die allein schon aufgrund ihrer Unternehmensgröße stets besonderes politisches Interesse erwecken, da damit auch Steuereinnahmen und Wohlstand zusammenhängen.

Daraus resultiert gerade in Zeiten der Globalisierung ein zunehmender Wettbewerb, der sicher nur weiterhin erfolgreich gesichert werden kann, wenn ein konstruktiver Austausch zwischen Unternehmen und Politik vollzogen wird. 

Denn: Ökonomisches Fachwissen ist existentiell, um fundierte wirtschafts- und finanzpolitische Entscheidungen treffen zu können. Es gibt aber wohl kaum eine Entscheidung, die nicht durch spezifische Interessen von den jeweiligen Interessengruppen geprägt ist. 

Die Ziele definieren den Weg der Entscheidungsfindung: Sind die Ziele gemeinwohlorientiert oder dienen sie zur Stabilisierung von Märkten und Branchen? Sind die Ziele parteipolitisch geprägt und daher für Unternehmen möglicherweise mit Nachteilen verbunden? Gibt die Politik Ziele vor, die zwar wünschenswert sind, aber ohne entsprechende unternehmerische “Flankierung” nicht umsetzbar sind?

Nehmen wir den zunehmenden Wettbewerb im Bereich E-Mobilität: Deutschland einst führend und nahezu unanfechtbar im Bereich der Automobilindustrie, sieht sich zunehmendem Wettbewerbsdruck aus China ausgesetzt. Standortverlagerungen, Stellenabbau und eine unklare Zukunftsperspektive gefährden zunehmend die Automobilindustrie. 

Deutschland zeigt sich, im Gegensatz zu den USA, klassisch restriktiv. Jetzt gilt es, die Weichen für die Zukunftsfähigkeit einer der wichtigsten Branchen zu stellen. Daher muss die Aufforderung an die Politik lauten: Verschafft Unternehmen Gehör und tretet in einen konstruktiven Dialog. Raus aus dem Elfenbeinturm der Politik, in dem parteipolitische Interessen überwiegen.

 

(2) Wie ist es aus Ihrer Sicht um die Legitimität des politischen Engagements von Unternehmen bestellt? Was ist angemessen und was nicht?

Nathalie Figge: Sofern es um die Frage der Legitimität geht, sollte zunächst das “best case” Szenario einer optimalen Interaktion aus Verantwortungsträgern der Politik und unternehmerischen Akteuren betrachtet werden. Sofern wir in diesem Szenario eine vollumfängliche Information beider Akteure über notwendige Handlungsoptionen voraussetzen können, wäre eine Einflussnahme der Unternehmen im Rahmen der Gesetzte zwar legitim, aber nicht notwendig. Da aber grundsätzlich gilt, dass beide Akteure über jeweilige Ziele des Anderen nicht optimal informiert sind, kann dies zu Ineffizienzen führen. Die “optimale Wirtschafts- und Finanzpolitik” im Sinne der Unternehmen würde dann aber möglicherweise auch gegen Interessen der Gesellschaft stehen. Das steht im Widerspruch zu möglichen politischen Interessen, deren parteipolitische Ziele, je nach Partei, oft nicht in Einklang mit unternehmerischen Notwendigkeiten stehen. 

Daher bewerte ich die Legitimität als gegeben, allerdings gilt es scharfe Kriterien zu definieren, in deren Rahmen sich “Engagement” bewegt, um nicht in “Einflussnahme” zu enden. 

Eigentlich sind wir sogar verpflichtet einen dritten und vierten Akteur, die Gesellschaft und die Frage nach Moral in ökonomischen Entscheidungsprozessen, in unsere Betrachtung einzubeziehen. Denn nur dann, wenn politische und unternehmerische Entscheidungen auch moralischen und gemeinwohlorientierten Kriterien standhalten können, sind Interaktionen zwischen Politik und Wirtschaft auch zu rechtfertigen. 

Was zählt überhaupt dazu? Finanzielle Zuwendungen, markt- und branchenspezifische Informationen, Lobbyismus, Positionierung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem politischen Umfeld u.v.m. 

Grundsätzlich müssen wir an dieser Stelle dieselben Kriterien anwenden: Erstens die Frage nach der Rechtssicherheit als oberster Grundsatz jeglichen Handelns. Zweitens die Frage nach der Zweckmäßig- und Verhältnismäßigkeit: Dienen finanzielle Zuwendungen auch sozialen Zwecken wie Bildung, Standortsicherung oder sozialem Engagement?

 

(3) Welche Grenzen hat politisches Engagement von Unternehmen und wann kann es auch gefährlich und schädlich sein?

Nathalie Figge: Eine ineffiziente und einseitige Informationsteilhabe ist der Hauptrisikofaktor, wenn es um die Bewertung von politischem Engagement von Unternehmen geht.

Unternehmen als Akteure auf Märkten müssen im Gegensatz zu politischen Akteuren und Entscheidungsträgern stets individuelle Interessen verfolgen, um am Markt dauerhaft wirtschaftlich erfolgreich agieren zu können.

Eine begrenzte Einflussnahme hat für mich folgende drei Grenzbereiche: Erstens die Frage nach Recht und Gesetz. Zweitens die Frage, ob die Einflussnahme auch mit den Gemeinwohlinteressen in Einklang zu bringen sind. Drittens die Frage nach Moral.

Politisches Engagement muss also immer auch eine Abwägung zwischen Nutzen, Rechtssicherheit, Zweckmäßigkeit, gesellschaftlichen Interessen, Moral und Gerechtigkeit darstellen. Ein weit gefasstes Spannungsfeld.

Ich mache es an folgendem Beispiel deutlich: Während der Corona-Pandemie wurden in erheblichem Maße staatliche Mittel zur Stabilisierung von Märkten bereitgestellt. Unternehmen unter ein ganzes “Heer” von Rettungsschirmen gestellt.

Noch Monate vor der Pandemie hätte jeder Ökonom eine solche Förderstruktur als höchst fragwürdige Destabilisierung von marktwirtschaftlichen Systemen betrachtet. Nicht umsonst stehen Beihilfen unter strikter Kontrolle und erfordern hohe Kriterien der Bereitstellung.

Die Sicherung von Arbeitsplätzen, Wohlstand und damit auch eine Eingrenzung von möglichen Kosten (hohe Zahlen an Arbeitslosen, entsprechende Transferleistungen usw.) machen die Rechnung wieder “rentabel” und sichern damit auch die ökonomische Zukunft des Landes. Eine starke Einflussnahme auf politische Entscheidungsträger ist daher nur nachzuvollziehen und kann dienlich sein, oft unberücksichtigten Branchen eine Stimme zu verleihen. Ich würde es sogar mit dem Prinzip eines Betriebsrates vergleichen, der spezifische Interessen vertritt.

Gleichzeitig, um nun wieder zur Kernfrage zurückzukommen, sind die Forderungen der Unternehmen nahezu grenzenlos. Keine Branche wird sich mit den gebotenen Staatshilfen zufriedengeben, sofern die politische Diskussion in vollem Gang ist. Jede Branche versucht noch weitere Leistungen durch “politisches Engagement” im Sinne von Informationsfluss zu politischen Entscheidungsträgern zu nutzen, die Bedeutung der eigenen Branche in den Vordergrund zu stellen und gleichzeitig politische Entscheidungsträger auch stets auf ihre Aufgaben als Mandatsträger aufmerksam zu machen.

Hier besteht das grundsätzliche Risiko, staatliche Hilfsleistungen über das notwendige, effiziente und gesamtgesellschaftlich vertretbare Maß hinaus zu gewähren.

Daher gilt bei allen Akteuren stets das Prinzip der Neutralität: Politische Entscheidungsträger können auf den Sachverstand und das Fachwissen der Ministerien und Landesbehörden zurückgreifen. Unternehmen sollten im Gegenzug politische Kommunikation einem neutralen Organ, Stichwort Verwaltungsrat, überstellen, der in einem gewissen Maß an Neutralität, Transparenz und einer spezifischen Verantwortung gegenüber rechtlichen Vorgaben diese Funktion übernimmt.

Denn Grenzen zwischen erforderlichem, rechtmäßigem und zulässigem politischem Engagement und möglicher Korruption können nahezu fließend sein. Ist eine finanzielle Zuwendung zwar von einem Gesellschaftszweck begründet und liegt sie auch im gesamtgesellschaftlichen Interesse, weil sie zu einer möglichen Sicherung von Arbeitsplätzen, einer Standortgarantie oder zu Steigerungen des Unternehmenswerts beitragen, kann das Unternehmen damit aber dennoch auch ein unlauteres Ziel verfolgen. Bewegt sich das Unternehmen bereits im Bereich der Korruption? Sofort fallen uns Spenden und andere unentgeltliche Zuwendungen ein, die sich für das jeweilige Unternehmen objektiv gesehen zwar höchst profitabel auswirken, die aber gesetzeswidrig sind, oder zumindest aber den Verdacht erwecken, dass mittels der Zuwendungen Unternehmen ihre Macht missbrauchen.

 

(4) Welche internen Strukturen (Corporate Governance) und welche Expertise benötigen Unternehmen, um gute politische Entscheidungen zu treffen?

Nathalie Figge: Gehen wir davon aus, dass politisches Engagement von Unternehmen nicht nur zulässig ist, sondern auch einen Nutzen für das Gemeinwohl bringen kann, sofern es sich in den Schranken des Gesetzes bewegt, so muss umgehend die Frage nach dem “wie” und “wer” gestellt werden.

Fakt ist, dass Menschen, i.S. von unternehmerischen Akteuren, in den meisten Fällen ihren eigenen Nutzen maximieren möchten. In der Ökonomie werden allerdings mittlerweile konstruktive Debatten geführt, die zeigen, dass der Wunsch nach einer gemeinwohlorientieren Ökonomie, nach Werten und Ethik immer mehr Einzug in das Handeln der Unternehmen hält.

Allerdings sind Entscheidungsträger in den Unternehmen immer nur solange Entscheidungsträger, solange der unternehmerische Erfolg besteht. Es besteht also immer die dringliche Notwendigkeit, grundsätzlich Eigennutz vor einem gesamtgesellschaftlichen Interesse vorzuziehen.

Die Kriterien würde ich wie folgt beschreiben: Es müssen transparente Strukturen in den Unternehmen geschaffen werden, die fachlich qualifizierte Mitarbeiter befähigen, in rechtlich sicherem Rahmen politisches Engagement zu forcieren. Zu den Qualifikationen würde ich die entsprechenden juristischen Qualifikationen zählen, aber auch Erfahrung in der entsprechenden Netzwerkarbeit. Keine einseitige “Belagerung” unternehmensnaher Parteien, sondern konstruktiver Austausch auf Augenhöhe. Das Ganze sollte als Abteilung/Team umgesetzt werden, damit auch ein Mindestmaß an Neutralität und diverser Meinungsbildung das Fundament der Strategie bildet. Jährliche Berichte, Reportings dienen der Absicherung, Transparenz und schaffen Vertrauen.

 

(5) Worin sehen Sie Chancen und für welche Themen wünschen Sie sich mehr politisches Engagement von Unternehmen?

Nathalie Figge: Die große Stärke von unternehmerischem Engagement in der Politik ist das hohe Maß an ökonomischem Wissen, Erfahrung über die Funktionsweise von Märkten und die finanziellen Mittel, Entscheidungen der Politik flankieren zu können. Gerade multinationale Konzerne agieren global, können einen Beitrag leisten, die drängendsten Fragen unserer Zeit proaktiv anzugehen.

An dieser Stelle würde ich zugleich als Ökonomin und Theologin argumentieren: Ökonomisches Handeln muss moralischen Kriterien standhalten können, um nachhaltigen Nutzen zu schaffen und damit nicht nur den eigenen Shareholdern gerecht werden zu können, sondern mit Werten und Vertrauen Nachhaltigkeit zu schaffen und die Grundlage für konstruktive Zusammenarbeit und Zusammenhalt zu den Stakeholdern zu generieren.

Die “Macht” der Unternehmen würde ich gerne gleichsetzen mit der Verpflichtung, diese auch sinnstiftend, gemeinwohlorientiert und für soziale Aspekte einzusetzen.

Es mögen die großen Werte sein, die ich als Ziele für gute politische Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Politik benenne. Aber genau diese Ziele müssen vermehrt ins Bewusstsein gerückt werden, um die unternehmerische Mikroebene zu verlassen und sich gemeinsam mit anderen Unternehmen an den großen Fragen nach Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und ethischen Handelns zu beteiligen.

 

Corporate Political Responsibility – 5 Fragen an… ist eine Interviewreihe des DNWE. Sie zeichnet sich besonders durch die Pluralität unserer Expert_innen aus. Die gesamte Reihe veröffentlichen wir fortlaufend im Dossier.

 

Über Nathalie Figge, CFE

Nathalie Figge hat Betriebs- und Volkswirtschaftslehre an der Ruhr-Universität Bochum sowie katholische Theologie und Philosophie an mehreren Fakultäten in der Schweiz studiert. Berufliche Erfahrung hat sie im In- und Ausland als Unternehmensberaterin gesammelt, selbst mehrere Start-ups gegründet und ist aktuell im Wirtschaftsministerium des Landes Baden-Württemberg tätig.

Ihr Engagement gilt insbesondere der Wirtschafts- und Unternehmensethik. Sie arbeitet ehrenamtlich für mehrere Institute, Think Tanks und Forschungseinrichtungen die sich mit Fragen der Ethik beschäftigen. Sie ist Mitglied der renommierten Görres-Gesellschaft und engagiert sich beim An-Institut der Stiftung Weltethos an der Universität Tübingen. Für mehrere theologische Verbände ist sie zudem als Expertin für Fragen der Wirtschaftsethik tätig.

 

 

 

 

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