Ein Interview mit Markus Scholz
Man liest immer öfter, dass Unternehmen sich gesellschaftspolitisch positionieren. Handelt es sich hierbei um ein neues Phänomen?
Ja. Zunehmend mehr Unternehmen positionieren sich in gesellschaftspolitischer Hinsicht zum Beispiel zu Themen wie Rassismus, zur Wahrung der Menschenrechte, aber auch in der Pandemie durch die Unterstützung der Impfkampagne und jetzt am prominentesten natürlich zum Krieg in der Ukraine.
Warum positionieren sich Unternehmen zunehmend?
Weil es von Ihnen eingefordert wird. Von Kunden, teilweise aber auch von Investoren im Kontext des Segments der Sustainable oder Ethical Investments. Große Investorinnen und Investoren sowie Pensionsfonds machen Druck, dass Unternehmen sich zu Menschenrechten positionieren und helfen diese zu schützen. Zusätzlich werden Unternehmen von Regierungen durch sogenannte Lieferkettengesetze zunehmend juristisch zu einem stärkeren Engagement verpflichtet. Und natürlich haben sich auch die Rahmenbedingungen verändert. Die voranschreitende Globalisierung führte und führt immer noch dazu, dass Nationalstaaten und deren Institutionen immer weniger Einfluss darauf haben Richtlinien festzusetzen, was Unternehmen dürfen und nicht dürfen und in welchen Leitplanken sie sich bewegen können. Gute Managerinnen und Manager haben erkannt, dass Unternehmen hier eine Verantwortung haben, die, und da schließt sich der Kreis, von der Gesellschaft auch eingefordert wird.
Sie sprechen in Ihrer Arbeit auch von Political Corporate Responsibility. Was kann man darunter verstehen?
Der Begriff Political Corporate Responsibility ist stark geprägt von den Arbeiten der Kollegen Andreas Scherer und Guido Palazzo. Die Kollegen verstehen darunter vor allem eine Verantwortung von Unternehmen sich idealerweise über Multi-Stakeholderprozesse in politische Prozesse einzubringen. Unternehmen sollen beispielsweise dort aktiv werden, wo es Lücken im normativen Rahmenwerk gibt. In der Fischerei und in der Forstwirtschaft gibt es global aktive Unternehmen, aber eine nur lückenhafte globale Regulierung. Wenn Unternehmen dort selbst beginnen, über sogenannte Private Governance Mechanismen, Normen zu schaffen, entweder allein also “Industry only” oder als “Collective Action”, also mit NGOs oder anderen Akteurinnen und Akteuren der Zivilgesellschaft zusammen, ist das auch ein Engagement im Rahmen der politischen Verantwortungsübernahme.
Ich verstehe darüber hinaus auch die Lobbyarbeit als Dimension der politischen Verantwortung von Unternehmen. Lobbying wird häufig als eine Tätigkeit verstanden, um Profite von Unternehmen zu maximieren. Gleichzeitig sehe ich aber auch eine Verantwortung von Unternehmen darauf hinzuwirken, Gesetze oder andere normative Rahmen- und Regelwerke zu ändern, wenn diese nicht für die mitunter disruptiven Innovationen der Unternehmen gemacht worden sind. Das ist übrigens auch im Interesse der Kundinnen und Kunden, Investorinnen und Investoren und der weiteren Gesellschaft. Wenn ein Unternehmen beispielsweise eine gute Medizintechnik oder einen guten Service entwickelt hat, sollten diese Innovationen der Gesellschaft nicht zwingend durch schlechte oder veraltete Gesetze vorenthalten werden. Das bedeutet aber umgekehrt nicht, dass Unternehmen unmoderiert ihre Marktmacht und ihren Einfluss nutzen sollen, um den normativen Rahmen zu verändern. In meinen Arbeiten argumentiere ich, dass Unternehmen eine politische Verantwortung für ein verantwortliches Lobbying tragen.
Eine weitere politische Verantwortung von Unternehmen sehe ich im Schutz der Menschenrechte, wenn die Nationalstaaten oder supranationale Institutionen diesen Schutz nicht leisten können oder wollen. Das bedeutet beispielsweise, dass in China tätige Unternehmen sich mit ihren Möglichkeiten für den Schutz der Menschenrechte einsetzen sollen. Tun sie das nicht, werden Sie unter Umständen zu stillen Komplizen dieser Menschenrechtsverletzungen.
Einen aktuellen Anlass über dieses Thema nachzudenken gibt der russische Angriffskrieg auf die Ukraine: Was ist hier die politische Verantwortung von Unternehmen? Können Unternehmen weiter aktiv in Russland Geschäfte betreiben?
Das wäre auch mein nächster Punkt gewesen: moralische Dilemmata. Unternehmen fällt es schwer zu entscheiden, wie sie auf die Ukrainekrise reagieren sollen. Können Konzepte wie der Business Case for Sustainability oder Shared Value einen normativen Rahmen bieten oder kommen sie an ihre Grenzen?
Ich glaube sie kommen an ihre Grenzen. Der sogenannte Business Case for Sustainability und das entsprechende Konzept des Creating Shared Value, geht ja immer davon aus, dass ein Unternehmen etwas Gutes tun kann für die Gesellschaft oder für die Umwelt und gleichzeitig positive Effekte für das Unternehmen generiert, beispielsweise den Profit erhöht, die Wettbewerbsfähigkeit steigert et cetera. Das funktioniert auch in manchen Fällen gut. Aber der Business Case for Sustainability hat zwei Probleme: Erstens bekommen wir mit dem ausschließlichen Win-Win thinking wahrscheinlich keine notwendige Transformation hin. Das Business Case Thinking hat meines Erachtens häufig das Problem, dass nur innerhalb des bestehenden Geschäftsmodells und mit bestehenden Technologien gedacht wird – aber nicht ausreichend disruptiv.
Das zweite Problem ist die normative Leere des Win-Win Thinkings und das zeigt sich derzeitig vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine. Da gibt es für Unternehmen keinen Business Case mehr, da geht es nur noch darum, bleibe ich in Russland und unterstütze möglicherweise einen Angriffskrieg oder gehe ich raus. Wenn ich gehe, führt das wahrscheinlich zu finanziellen Verlusten für das Unternehmen und Konsequenzen für Dritte, also für die Belegschaft. Und hier gibt uns der Business Case eben keine normativen Handlungsanweisungen. Er sagt uns nicht was in problematischen, ethisch relevanten Situationen zu tun ist, es sei denn, wir ordnen wirklich alles einer Profitlogik unter.
Neben der Wirtschaftsethik gibt es auch andere Handlungsrahmen und sehr praktische Herangehensweisen, wie man sich mit so einem Dilemma auseinandersetzen kann. Ein prominentes Beispiel ist die Purpose Debatte, die einen Handlungsrahmen für Werte und Normen geben soll. Sehen sie darin Potential?
Purpose ist ein weiterer Begriff, unter dem man ganz viel und auch ganz wenig verstehen kann. Managerinnen und Manager und Aufsichtsräte müssen definieren, gegenüber welchen Stakeholderinnen und Stakeholdern ihr Unternehmen welche Verantwortlichkeiten hat. Diese bestehen natürlich gegenüber Investorinnen und Investoren, Arbeitnehmenden in Deutschland, aber auch in Russland. Weitergefasst gibt es auch eine Verantwortung sich durch business as usual nicht zum Komplizen von Kriegstreibenden zu machen.
Hier muss nun priorisiert werden. Was ist wichtiger, meine Verantwortung gegenüber meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Russland, in Deutschland, gegenüber meinen Investorinnen und Investoren, möglicherweise für den Frieden in Europa. In dieser Abwägung spielen rechtliche, betriebswirtschaftliche und eben auch ethische Gründe eine Rolle. Da hilft es, wenn ein Unternehmen vorher Werte definiert hat und sich im Anlassfall auch von ihnen leiten lässt. Wenn Unternehmenswerte richtig ausgearbeitet sind, können sie handlungsweisend sein und in solchen Situationen helfen. Entsprechende unternehmerische Entscheidungen können dann auch besser begründet und kommuniziert werden.
Wenn ein Unternehmen anders handelt als es vorher mit den offiziellen Werten propagiert worden ist, stellen Mitarbeitende oftmals in Frage, ob sie noch zum Unternehmen passen. Riskieren Unternehmen, in Zeiten des “war for talents” Mitarbeitende emotional zu verlieren?
Ich würde sagen im ersten Schritt sind Werte nicht instrumentell. Sie sollen primär einen normativen Rahmen für den Handlungsspielraum eines Unternehmens schaffen. Erst danach haben sie einen zusätzlichen instrumentellen Wert. Wenn ich mich als Managerin oder Manager auf vorher definierte Unternehmenswerte berufen kann, dann ist das auch eine hervorragende Kommunikationsstrategie, extern an Investorinnen und Investoren, Medien, Politikerinnen und Politiker und so weiter, aber natürlich auch nach innen an die Mitarbeitenden. Diese instrumentelle Funktion haben diese Werte auch im sogenannten war for talent, also in der Akquise möglichst hoch qualifizierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Menschen arbeiten gerne für Unternehmen die ökologisch verantwortungsvoll agieren und sich für Menschenrechte einsetzen.
Wenn Unternehmen dann diese Werte verraten und anders handeln als es vorher beispielsweise auf der Website geschrieben oder bei Einstellungsgesprächen propagiert wurde, dann mag das zu Demotivation von Mitarbeitenden und letztlich zum Verlust von Talenten führen. Interessanterweise sehen wir auch einen Effekt, der jetzt an empirischer Evidenz gewinnt. Wenn ein Unternehmen anfängt gegen die eigenen Werte zu handeln, dann werden die Mitarbeitenden auch etwas seltsam. Die Loyalität zum Unternehmen schwindet stark, und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zeigen mitunter verstärkt strafrechtlich relevantes Verhalten.
Damit wollen wir dieses interessante Interview abschließen und bedanken uns ganz herzlich bei Herrn Markus Scholz.
HINWEIS:
Das Interview wurde am 14.04.2022 von Joris-Johann Lenssen, Projektleiter Unternehmensengagement & -verantwortung, ZiviZ gGbmbH im Stifterverband (Kontakt: Joris.Lenssen@stifterverband.de) geführt.
Erstveröffentlichung unter: https://www.unternehmensengagement.de/insights/interview-mit-markus-scholz
Über Prof. Scholz
Prof. Dr. Markus Scholz
Markus Scholz ist ein deutscher Wirtschaftswissenschaftler und Unternehmensethiker. Er lehrt als Professor für Corporate Governance und Business Ethics an der FHWien der WKW. Scholz forscht und publiziert schwerpunktmäßig unter anderem zu politischen Aktivitäten und der Verantwortung von Unternehmen, insbesondere in Bezug auf Menschenrechtsthemen. Er ist Gründer und Leiter des Institute for Business Ethics and Sustainable Strategy (IBES) Wien; Inhaber der Stiftungsprofessur für Corporate Governance & Business Ethics sowie Leiter das Josef Ressel Zentrums für Collective Action und Responsible Partnerships (JR-Zentrum CARe)