Nachfolgend geben wir ein Interview wieder, das das DNWE Mitglied Prof. Dr. Harald Bolsinger, CSR-News zu seiner Petition beim Europaparlament gegeben hat, die EZB in ihrer Anlagepolitik auf die Grundrechtscharta der EU zu verpflichten. Nach Meinung der Redaktion wirft der Vorgang exemplarisch die gesamte Bandbreite der wirtschaftsethischen Fragestellungen auf und macht deutlich wie wichtig diese Debatte ist.
Die Fragen: Wie ist unsere Rechts- und Gesellschaftsordnung zu gestalten, um ethisches Verhalten zu befördern? Welche Kriterien sind bei der Beurteilung des “ethischen Verhaltens” heranzuziehen? Anhand welcher Entscheidungsregeln soll bei konfligierenden Interessen entschieden werden? Wer ist für eine Regelung der Fragen verantwortlich? Wer ist befugt und in der Lage, die “richtigen” Informationen bereitzustellen? Welche Verantwortung kommt jedem einzelnen Bürger, der Zivilgesellschaft, Politikern, nationalen wie internationalen Institutionen oder den Unternehmen in diesem Prozess zu? sind nur einige davon.
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Korruption, Steuervermeidung, Kinderarbeit und Umweltzerstörung: Legitimiert die währungspolitische Unabhängigkeit der EZB Beihilfe zu Verstößen gegen die Grundrechte? Hier existiert dringender Klärungsbedarf meint der Würzburger Wirtschaftsethiker Harald Bolsinger.
CSR-News: Herr Prof. Bolsinger, wie ging es denn mit Ihrer Petition bezüglich der EZB weiter, über die wir im Mai berichteten?
Bolsinger: Die Petition wurde formal geprüft und dann für würdig befunden, im Petitionsausschuss behandelt zu werden. Die Behandlung der Petition erschien dem Petitionsausschuss derart bedeutend, dass auf der Ausschusswebsite sogar extra darauf hingewiesen wurde: “Petitions on economic and monetary affairs – Debate: 11.10.2017 27-09-2017 – 12:13 PETI Members will debate a series of petitions regarding economic and monetary affairs, in particular the activities and policies of the European Central Bank (ECB). Petitions from Spain, France, and Germany raise the issues of ECB transparency, low-interest rate policy, decision-making procedures, and the compliance of ECB practices with the EU Charter of Fundamental Rights.“ Es hat mich zu dem Zeitpunkt sehr gefreut und mein Vertrauen in die Institutionen unserer Europäischen Union hat weiter zugenommen.
CSR-News: Hat die Aussprache im Ausschuss dann auch die angekündigte Bedeutung gehabt?
Bolsinger: Die Rahmenbedingungen für die Aussprache waren nach meinem Empfinden äußerst schlecht. Die Petition wurde mit währungspolitischen Anliegen zu Niedrigzinspolitik, 500€-Schein-Abschaffung und weiteren Themen vermengt. Für die Tagesordnung wurde unerklärlicherweise meine Petition zusammengefasst mit einer völlig unpassenden weiteren Petition, wie aus der kurzfristig veröffentlichten Tagesordnung sichtbar wird. Nachdem ich selbst an dem Tag in Brüssel nicht anwesend sein konnte und dies dem Ausschuss auch vorher so mitgeteilt hatte, war ein berichtigender Hinweis vor Ort durch mich nicht möglich.
CSR-News: Hatte dies Auswirkungen auf die Einschätzung Ihres Anliegens?
Bolsinger: Die Ausschussvorsitzende Cecilia Wikström (Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa, Schweden) wollte die Petition zusammen mit anderen Petitionen ganz schnell und wie nebenbei schließen. Sie hat dabei vergessen eine Aussprache zu meinem Anliegen anzustrengen, was erst durch Intervention von Notis Marias (Vorstandsmitglied Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer, Griechenland) nachgeholt wurde. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, hier wäre meine Abwesenheit strategisch genutzt worden, um das Anliegen ganz schnell und leise einschlafen zu lassen. Auf der anderen Seite war es schon später als gedacht und die Sitzungsteilnehmer vielleicht auch etwas ermüdet.
CSR-News: Welche Stellungnahme gaben die Vertreter der Europäischen Kommission ab?
Bolsinger: Auch die anwesenden Vertreter der Europäische Kommission hatten durch Nichtreaktion auf das Vergessen meiner Meinung nach den Eindruck erweckt, dass eine undiskutierte Schließung der Petition in ihrem Sinne sein könnte. In der dann nachträglich erfolgten Stellungnahme machten die Vertreter der Europäischen Kommission klar, dass sie durchaus verstanden haben, dass es um die Verhinderung von Grundrechtsverstöße durch das Verhalten EZB geht. Sie vertraten aber in dem Zusammenhang unmissverständlich und mit höchstem Nachdruck die Position, dass diese Thematik Teil der Währungspolitik der EZB sei und die EZB sei unabhängig in der Währungspolitik. Die Europäische Kommission achte die Unabhängigkeit der EZB.
CSR-News: Steht für die Europäische Kommission die EZB also über den Grundrechten und braucht diese nicht zu beachten?
Bolsinger: Ich hatte die Sitzung als Referent eines Wirtschaftsethikforums live im Internetstream verfolgt. Als ich diese Worte in dem Zusammenhang hörte, traute ich meinen Ohren nicht. Mir erschien es so, als ob die währungspolitische Unabhängigkeit die EZB nach dem Verständnis der Europäischen Kommission auch zu Grundrechts- und Menschenrechtsverstößen legitimieren können solle. Ich bin kurzzeitig richtig wütend darüber geworden und hatte für den weiteren Verlauf schon richtig schwarz gesehen.
CSR-News: Dennoch ist die Petition nun weiterhin offen und kann im Internet aktiv unterstützt werden?
Bolsinger: Ja, das ist ermutigend. Denn die Ausschussvorsitzende wollte sofort nach den Aussagen des Vertreters der Europäischen Kommission die Petition erneut schließen. Notis Marias war nach einem langen Sitzungstag aber sehr geistesgegenwärtig und widersprach dem erneut. Er hat darauf verwiesen, dass Zuwiderhandlung gegen die EU-Grundrechtscharta eine zentrale Frage für das Europäische Parlament ist, warum die Petition offenzuhalten sei und zunächst die EZB (Mario Dragi) schriftlich zur Stellungnahme aufzufordern sei. Erst dann hat die Vorsitzende eingelenkt. Sie kündigte an, meine Petition mindestens bis zur Plenarabstimmung offen zu halten und ein Schreiben an die EZB dazu anzustrengen.
CSR-News: Wie geht es nun weiter?
Bolsinger: Die Sitzung hat mir gezeigt, dass es mit einer Petition alleine nicht getan ist. Es gilt nun im Europäischen Parlament und gleichermaßen in der Europäischen Kommission deutlich zu machen, dass auch die EZB sich an die EU-Grundrechtscharta halten muss, denn sonst ist diese das Papier nicht wert, auf die sie niedergeschrieben ist. Der Kern meiner Petition ist ja die simple Frage, ob auch die EZB – wie alle Institutionen Europas – sich an die EU-Grundrechtscharta halten muss und zu dieser Einhaltung Steuerungsmechanismen einzurichten sind. Es ist schon erstaunlich, dass diese Selbstverständlichkeit offenbar noch keine Realität in der EU ist. Es gilt demnach die Petition aktiv zu unterstützen und sämtliche politischen Akteure auf dieses parteienunabhängige Thema aufmerksam zu machen. Hier ist die Politik gefordert, zu handeln.
CSR-News: Welche Auswirkungen soll das von Ihnen geforderte politische Handeln haben?
Bolsinger: Es ist überfällig, die weltweite Finanzbranche zur Berücksichtigung moralischer Mindeststandards in ihrem Finanzierungsgebaren zu bewegen. Vor allem von der Europäischen Zentralbank müssen wir erwarten können, dass zumindest die Werte der europäischen Grundrechtscharta nicht verletzt werden. Sollte die EZB endlich angehalten werden, ihre als Mindestreserve akzeptierten Wertpapiere einer transparenten Ethikprüfung zu unterziehen, könnte dies Folgewirkung für alle Geschäftsbanken europaweit haben. Alle Banken könnten dann angehalten werden, unethische Geschäfte zumindest bei ihren Wertpapieren zur Mindestreserve nachweisbar auszuschließen. Ich meine das ist wesentlich wirkungsvoller, als alle Selbstverpflichtungen und Nachhaltigkeitsbündnisse von Banken zusammen, die aktuell diskutiert werden.
Informationen zur Petition und Unterstützungsmöglichkeit:
http://www.wirtschaftsethik.biz/zentralbank
Die Petitionsausschusssitzung zum selbst ansehen:
http://web.ep.streamovations.be/index.php/event/stream/171011-1430-committee-peti
(Time ca. 17:53:00 ff. bzw. Minute 3:21:00 ff.)
HINWEIS:
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von www.csr-news.net.
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https://www.csr-news.net/news/2017/10/13/ezb-beihilfe-zu-verstoessen-gegen-die-grundrechte-erlaubt/
Lesen Sie auch den Bericht vom 08.05.2017:
“Geldpolitik der EZB – Ethische Aspekte nicht sichtbar”