In Unternehmen werden gemeinsam gelebte Werte zunehmend als wesentlicher Faktor unternehmerischen Erfolgs gepriesen. Unsere von der Wertekommission geförderte Studie von 347 Führungskräften insbesondere aus dem mittleren Management zeigt jedoch, dass das nur unter bestimmten Bedingungen so ist.1 Eine besondere Rolle spielt dabei die Eigenmotivation der Führungskräfte (Abschnitt 1), die nur dann entstehen kann, wenn man ihnen eine gewissen Eigenverantwortung zugesteht und sie nicht in ein zu enges Regel- oder Kennzahlenkorsett zwängt (Abschnitt 2). Dabei muss die Eigenverantwortung der Führungskräfte nicht der gemeinsamen Wertebasis entgegenstehen, sondern kann letztere sogar noch fördern (Abschnitt 3). Das bedeutet nicht, dass die Unternehmensleitung ihre Kontrollbefugnis komplett aufgeben muss (Abschnitt 4), aber sie muss sie neu interpretieren und anders als früher leben (Abschnitt 5).
1. Eigenmotivation von Führungskräften als Basis des Erfolgs
Unternehmen können den gestiegenen Anforderungen eines durch Globalisierung und Digitalisierung immer komplexer werdenden Umfeldes nur gerecht werden, wenn ihre Führungskräfte sich engagiert, vorausschauend, eigenverantwortlich, kooperativ und verantwortungsvoll einbringen. Nur so können sie beispielsweise gemeinsam nachhaltig neues Wissen als Grundlage für innovative Produkte und Prozesse entwickeln. Da Unternehmen beziehungsweise deren Führungskräfte diese Aktivitäten nicht “top-down” erzwingen können, bleibt ihnen nur, dabei auf die Eigenmotivation der Mitarbeiter zu setzen. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von der intrinsischen Motivation, die in der Tätigkeit selbst begründet liegt und nicht – wie die extrinsische Motivation – durch externe Anreize, wie zum Beispiel Gehalt und Status, entsteht.
2. Förderung der Eigenmotivation von Führungskräften durch Eigenverantwortung
Wie die einschlägigen Arbeiten der Motivationsforscher Deci und Ryan zeigen, entsteht Eigenmotivation in Form intrinsischer Motivation vor allem dann, wenn Führungskräfte im Rahmen ihrer Fähigkeiten selbstbestimmt arbeiten können. Auf diese Weise fühlen sie sich am ehesten wertgeschätzt. Dem Streben nach eigenverantwortlichem Arbeiten werden jedoch weder hierarchisch angelegte Steuerung in Form von Weisungen oder Regeln noch die aktuell weit verbreitete Ergebnissteuerung durch Kennzahlen gerecht. Beide führen – gewollt oder ungewollt – in der Regel automatisch dazu, dass sich die Mitarbeiter kontrolliert fühlen. Anders ist dies bei der Selbststeuerung, bei der nicht nur die Aufgabenerfüllung, sondern auch die Kontrolle der Ergebnisse in der eigenen Verantwortung der betroffenen Führungskräfte liegt.
3. Die Rolle gemeinsamer Werte für die Eigenmotivation von Führungskräften
Damit Selbststeuerung nicht aus dem Ruder läuft, muss das eigenverantwortliche Handeln der Führungskräfte durch gemeinsam im Unternehmen gelebte Werte kanalisiert werden. Letztere werden definiert durch den sogenannten Werte-Fit zwischen Unternehmen und dessen Mitarbeitern. Dieser entsteht zum einen durch Selektionsprozesse, bei denen Personen besonders von denjenigen Unternehmen angezogen werden, ihnen beitreten oder darin verbleiben, bei denen der Fit zu ihren eigenen Werten besonders hoch ist. Neben Selektionsprozessen werden gemeinsame Werte auch durch Sozialisationsprozesse unterstützt. Dabei werden neben Verhaltensweisen und Wissen auch Werte der Unternehmen an die Mitarbeiter vermittelt. Entweder geschieht dies auf direktem Wege, etwa durch Seminare oder auf indirektem Wege, so dass sich neue Mitarbeiter Verhaltensweisen, Gewohnheiten oder Prozesse von den Kollegen aneignen.
Die beschriebenen Selektions- und Sozialisationsprozesse führen langfristig in der Regel zu relativ geringen Unterschieden zwischen den Werten des Unternehmens und den jeweiligen Mitarbeitern beziehungsweise Führungskräften, verglichen mit unternehmensexternen Personen (wie bspw. Kunden). Dennoch können Werte-Diskrepanzen entstehen, da die Unternehmenswerte bei der Selektion unter Umständen noch nicht komplett erfasst werden oder Sozialisationsprozesse verzögert sind. Unter anderem sind die Sozialisationsprozesse auch von verschiedenen individuellen und situativen Faktoren abhängig. Dabei spielt zum Beispiel auch die gesellschaftliche Akzeptanz der vermittelten Werte eine wichtige Rolle.
Unsere Studie zeigt, dass inzwischen in vielen Unternehmen eine Lücke zwischen den Werten der Mitarbeiter und den Werten des Unternehmens klafft. So orientieren sich die in unserer Studie befragten Führungskräfte zunehmend selbst an auf Wertschätzung und persönlicher Entwicklung von Mitarbeitern orientierten Werten, während in deren Unternehmen zunehmend an Effizienz und Produktivität orientierte Werte gelebt werden. Durch diesen Misfit sinken das Commitment der Mitarbeiter und deren Arbeitszufriedenheit.
Wollen Unternehmen Commitment und Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter erhöhen, müssen sie sich über die Bedeutung gemeinsamer Werte klar werden. Neben höherem Commitment und eine gestiegener Arbeitszufriedenheit bewirken diese positiven Gefühle der Mitarbeiter ihrem Unternehmen gegenüber und steigern in der Regel dann auch deren Eigenmotivation. Außerdem führen gemeinsame Werte im Unternehmen dazu, dass sich Führungskräfte eher so verhalten, wie dies Kollegen und Mitarbeiter ebenfalls bevorzugen. Erstere erhalten so verstärkt positive Rückmeldungen, die wiederum deren intrinsische Motivation stärken.
Gemeinsame Werte im Unternehmen ermöglichen aber auch eigenverantwortliches Handeln, ohne die Unternehmensziele zu gefährden, weil die Wertebasis der Mitarbeiter grundlegend übereinstimmt. Die Eigenverantwortung wiederum wirkt positiv auf deren Eigenmotivation wie oben unter 1. erläutert.
4. Moderne Formen der (Selbst-) Steuerung zur Förderung der Eigenverantwortung von Führungskräften
Für die Förderung von Eigenverantwortung muss die Unternehmensleitung nicht ihre Kontrollbefugnis aufgeben, aber neu interpretieren und anders als früher leben. So müssen Führungskräfte akzeptieren, dass sie nicht alles über Weisungen und Regeln oder über Kennzahlen steuern können. Es kommt vielmehr immer auf die jeweilige Situation an: Wenn die Führungskraft über genug Wissen verfügt, wie die Tätigkeit am besten auszuführen ist und diesen Prozess auch kontrollieren und sanktionieren kann, sind Weisungen durchaus sinnvolles Steuerungsinstrument. Fehlt ihr dieses Wissen, wird es schwierig.
Für die Kennzahlensteuerung müssen die durch Kennzahlen zu messenden Ergebnisse tatsächlich messbar, vorab festlegbar bzw. überprüfbar sein. Trifft dies nicht zu – wie beispielsweise bei fast allen wissensintensiven Prozessen – sind auch ausgetüftelte Kennzahlensysteme zum Scheitern verurteilt. Dann ist man auf die eigenverantwortliche Zusammenarbeit mehrerer Experten angewiesen, die sich untereinander abstimmen – ohne dass die Führungskraft den Prozess direkt kontrollieren kann. Vor diesem Hintergrund bekommt Kontrolle eine neue Bedeutung und neue Schwerpunkte. Von besonderer Bedeutung ist beispielsweise das faire Miteinander zwischen den Mitarbeitern, das notfalls auch unter Rückgriff auf Sanktionen durchgesetzt werden muss. Nur in einem solchen Umfeld können gemeinsame Werte entstehen.
Fußnote:
1) Vgl. dazu die Studie der Wertekommission 2014 (https://wertekommission.de/wp-content/uploads/2015/03/Studie-Fuehrungskraeftebefragung-2014.pdf) und Jung, C./Morner, M.: Das Glasperlenspiel der intrinsischen Motivation, in: Zeitschrift für Wirtschaft und Unternehmensethik (zfwu) 2016, Vol. 2, S. 236-258.
Die Autoren
Univ.- Prof. Dr. Michèle Morner
Michèle Morner ist Professorin für Führung, Personal und Entscheidung im öffentlichen Sektor an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. In Witten gründete sie 2010 – gefördert von der Bertelsmann Stiftung – das Reinhard-Mohn-Institut für Unternehmensführung und Corporate Governance, dessen wissenschaftliche Leitung sie bis Ende 2015 innehatte. Daraus entwickelte sie eine Plattform, auf der Experten aus Wissenschaft und Praxis aktuelle Themen der Unternehmensführung und Corporate Governance interdisziplinär bearbeiten und die seit 2016 als unabhängiges Wissenschaftliches Institut für Unternehmensführung und Corporate Governance [wifucg] in Berlin residiert.
Praxiserfahrung sammelte Michèle Morner darüber hinaus als Beraterin im privaten und öffentlichen Sektor sowie von 2000 bis 2003 als geschäftsführende Gesellschafterin des von ihr gegründeten und mit dem Gründungspreis der Hamburger Wirtschaftsbehörde ausgezeichneten Unternehmens Ynnor Systems GmbH. Inzwischen ist sie darüber hinaus in verschiedenen Bei- und Aufsichtsräten (u.a. in der KUKA AG) aktiv und Mitglied im Nominierungsausschuss der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) sowie im Vorstand der vom Bund geförderten Arbeitsgemeinschaft für wirtschaftliche Verwaltung e.V. Außerdem gehört Michèle Morner mehreren internationalen wissenschaftlichen Verbänden an, wie beispielsweise der European Group of Organizational Studies (EGOS) oder der US-amerikanischen Academy of Management (AoM) sowie der European Academy of Management (EURAM). Bei der EURAM war Michèle Morner bis 2012 Officer for External Relations im Executive Committee in Brüssel. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Management, Organisation und Steuerung im privaten und öffentlichen Sektor sowie Public und Private Corporate Governance. 2013 und 2015 wurde sie für den Landeslehrpreis Rheinland-Pfalz nominiert.
Prof. Dr. Ludger Heidbrink
Prof. Dr. Ludger Heidbrink ist Inhaber des Lehrstuhls für Praktische Philosophie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Er ist Direktor des Kiel Center for Philosophy, Politics and Economics (KCPPE), Co-Direktor des Gustav Radbruch Netzwerks für Ethik und Philosophie der Umwelt der CAU, Direktor für Unternehmensethik und Konsumentenethik am Zentrum für Wirtschaftsethik des Deutschen Netzwerks für Wirtschaftsethik (DNWE), Vorstandsmitglied der Wertekommission e.V. für wertebewusste Führung, Mitglied der FAG Wirtschaftsphilosophie und Ethik der Deutschen Gesellschaft für Philosophie, Wissenschaftlicher Beirat des Berliner Forums für Ethik in Wirtschaft und Politik, Mitglied des Ausschusses Wirtschaftswissenschaften und Ethik des Vereins für Socialpolitik. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Verantwortungstheorie, Moralphilosophie, Politischen Philosophie sowie Wirtschaft-, Unternehmens- und Konsumentenethik
heidbrink@philsem.uni-kiel.de