WELCHE Rechte werden priorisiert?

Wenn man eine CSR-Managerin oder einen CSR-Manager fragt, ob ihr Unternehmen Menschenrechte schützen und bewahren möchte, so werden sie diese Frage aller Wahrscheinlichkeit nach bejahen.

Spätestens durch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz müssen einige deutsche Unternehmen dies zumindest ab 2023 auch. Jedoch kann in der Praxis aufgrund von limitierten personellen und finanziellen Ressourcen nicht an allen Fronten gleichzeitig gefochten und alle Menschenrechtsverletzungen gleichzeitig bekämpft werden.

Findet daher ungewollt eine Priorisierung dieser Rechte statt, die doch eigentlich jeder Person bedingungslos zustehen sollten?

Zu den Kernelementen, die das Lieferkettengesetz als Teil der Sorgfaltspflichten von Unternehmen beschreibt, gehört “die Einrichtung eines Risikomanagements, um die Risiken von Menschenrechtsverletzungen und Schädigungen der Umwelt zu identifizieren, zu vermeiden oder zu minimieren. Das Gesetz legt dar, welche Präventions- und Abhilfemaßnahmen notwendig sind, verpflichtet zu Beschwerdeverfahren und regelmäßiger Berichterstattung.“[1]

Jedoch wird darin nicht spezifiziert, bei welchem Themenbereich die Unternehmen damit anfangen sollten. Trotz der Gefahren des Whataboutism stellt sich hier die Frage: Welches Menschenrecht ist das Wichtigste? Für welches sollte man sich zuerst einsetzen? In der Reihenfolge ihrer Auflistung?

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte hält in ihrem ersten Artikel fest, dass alle Menschen frei und gleich sind an Würde und Rechten. In Artikel zwei wird zudem die Diskriminierung verboten, “ohne irgendeinen Unterschied, etwa aufgrund rassistischer Zuschreibungen, nach Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand.”[2] Aus diesen Feststellungen ergibt sich jedoch noch kein konkreter Handlungsauftrag, und Unternehmen müssen selbst entscheiden, wo sie mit ihren Maßnahmen ansetzen. In der Textilindustrie scheint man sich hier vor allem auf Arbeitsbedingungen fokussiert zu haben. In der Autoindustrie wird das Augenmerk eher auf Klimafreundlichkeit gerichtet. LGBTIQ+ Rechte werden jeden Juni wieder heiß diskutiert, langfristig setzt sich jedoch noch keine Branche damit auseinander.

Es stellt sich die Frage, ob das Verbot von Diskriminierung auf die in der Menschenrechtserklärung genannten Eigenschaften beschränkt ist oder auch weitere wie z. B. die sexuelle Selbstbestimmung hier mit inbegriffen sind.

 

WANN sind welche Menschenrechte für Unternehmen relevant?

Wenn man eine CSR-Managerin oder einen CSR-Manager fragt, ob ihr Unternehmen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung schützen und bewahren möchte, so werden sie diese Frage aller Wahrscheinlichkeit nach ebenfalls bejahen. Dennoch kann man sich des Anscheins nicht erwehren, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung sei im Pride Month Juni für Unternehmen relevanter als die restlichen 11 Monate des Jahres.

Zwar werden die sexuelle Orientierung oder Gender Identität in der Menschenrechtserklärung aktuell nicht erwähnt. Das Wörtchen “etwa” in der Formulierung der UNO ist hier jedoch der Knackpunkt: Diese vor ca. 80 Jahren festgelegte Liste an Eigenschaften kann ergänzt werden. Und genau dies taten auch 126 Staaten, indem sie die UNO-Erklärung für sexuelle Selbstbestimmung 2008 unterzeichneten.

“Der Erklärung auf UNO-Ebene erwuchs starke Opposition durch eine Gruppe von Regierungen, welche regelmäßig versuchen, UNO-Initiativen zu blockieren, welche Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit sexueller Orientierung und Identität thematisieren. Viele Länder haben sich dieser Deklaration schließlich nicht angeschlossen, neben den meisten afrikanischen Staaten sind darunter auch fast alle mehrheitlich muslimischen Länder.”[3]

Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ist also noch weit entfernt davon, ein weltweit anerkanntes Menschenrecht zu werden. Und gerade deshalb sollten Unternehmen sich dafür einsetzen.

Dieser Einsatz erfordert jedoch mehr als alljährliche regenbogenfarbene Profilbilder auf Social Media Accounts.

 

WO sind welche Rechte für Unternehmen relevant?

BMW geriet letztes Jahr in die Kritik, da sie alle ihre Social Media Profilbilder mit Pride Flagge schmückten – außer in homophoben Ländern wie Russland oder Saudi-Arabien.[4] Sehr authentisch. Aber vielleicht trotzdem die richtige Entscheidung?

Einmal angenommen, Unternehmen wie BMW wären tatsächlich an den Rechten der LGBTIQ+ Community interessiert, müssten sie sich dann nicht gerade in diesen Ländern dafür einsetzen? Dafür müssten sie sich jedoch über die Gesetze des Landes hinwegsetzen und würden somit gegen die Basis der Unternehmensethik verstoßen. Und wie legitim ist das politische Engagement von Unternehmen überhaupt? Um bei unserem Beispiel zu bleiben: Die russischen BürgerInnen haben BMW in keiner Weise legitimiert, ihr politisches System zu beeinflussen. Ob BMW die russischen Gesetze beeinflussen sollte, ist daher fraglich.

Unterm Strich kann man also festhalten: Unternehmen priorisieren ständig, für welche Rechte sie sich einsetzen. Und damit gleichzeitig, über welche sie erst mal hinwegsehen. In manchen Situationen kann dies gute Gründe haben, wie den Konflikt mit nationalen Gesetzen. In anderen ist es eine Frage der Ressourcenallokation: Wie viel Budget bekommt die CSR Abteilung? Wie viel Personal? Und welche (Menschen-) Rechte sind eigentlich gerade “im Trend”?

 

Fussnoten

[1] https://www.csr-in-deutschland.de/DE/Wirtschaft-Menschenrechte/Gesetz-ueber-die-unternehmerischen-Sorgfaltspflichten-in-Lieferketten/gesetz-ueber-die-unternehmerischen-sorgfaltspflichten-in-lieferketten.html

[2] https://www.amnesty.de/alle-30-artikel-der-allgemeinen-erklaerung-der-menschenrechte

[3] https://www.humanrights.ch/de/ipf/archiv/international/nachrichten/uno-erklaerung-sexuelle-selbstbestimmung

[4]https://www.queer.de/detail.php?article_id=39105

 

Die Autorin

Hanna Antony

Hanna Antony ist seit April 2021 in der Geschäftsstelle des Deutschen Netzwerk Wirtschaftsethik – EBEN Deutschland e.V. (DNWE) als Werkstudentin tätig.

Seit 2020 studiert sie Psychologie an der Universität Konstanz. Seit März 2022 ist sie Vorsitzende des Landesverbandes der Partei Volt Baden-Württemberg, wo sie sich vor allem den Themen Gleichberechtigung, Mediation und Kommunikation widmet.

 

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