Jüngst ließen die Minister für Arbeit und Soziales und für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung verlauten, man wolle sich über die Eckpunkte für ein Lieferkettengesetz verständigen. Dieses Gesetz solle sicherstellen, dass deutsche Unternehmen für die Einhaltung der Menschenrechte in der Lieferkette sorgen. Dass die Minister einen guten Zweck verfolgen, steht außer Frage. Aber über den Zeitpunkt und die Art und Weise dieses Vorgehens darf und muß man sich wundern, konterkariert diese Ankündigung doch das nach dem Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte mit viel Aufwand und Geld ins Werk gesetzte Procedere.

Der im Dezember 2016 von der Bundesregierung verabschiedete, in einem Multi-Stakeholder-Prozess entwickelte Nationale Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) formuliert die “Erwartungen” der Bundesregierung an die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht der Unternehmen. Entsprechend den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sieht er eine weitere Ausgestaltung der staatlichen Schutzpflicht, der unternehmerischen Sorgfaltspflicht und des Rechtsschutzes vor. Diese drei Säulen sind als kommunizierende Röhren gedacht, die in eine internationale Strategie der Bundesregierung eingebettet sein sollen mit dem Ziel, international zu einem gemeinsamen Verständnis von Sorgfaltspflicht und nachhaltigem Lieferkettenmanagement zu kommen und dadurch ein globales Level-Playing-Field zu schaffen. Hinsichtlich der zweiten Säule, der unternehmerischen Sorgfaltspflicht, soll ab 2018 in einem jährlichen Monitoring die Umsetzung überprüft werden. Ziel ist es, dass mindestens 50 % aller in Deutschland ansässigen Unternehmen mit über 500 Beschäftigten bis 2020 die im NAP beschriebenen Elemente menschenrechtlicher Sorgfalt in ihre Unternehmensprozesse integriert haben. Sofern dieses Ziel nicht erreicht wird, “wird die Bundesregierung weitergehende Schritte bis hin zu gesetzlichen Maßnahmen prüfen”.

Mit großem Aufwand wurde ein ausführlicher Fragebogen entwickelt, der die NAP-Vorgaben spezifiziert und deren Umsetzung abfragt. Der Streit um die richtige Spezifizierung wirft die Frage auf, inwieweit das im NAP formulierte Normprogramm überhaupt konkret genug war, dass Unternehmen wirklich wissen, was sie im Rahmen der Umsetzung zu tun haben. Unabhängig davon ist die Beantwortung des Fragebogens mit erheblichem Aufwand verbunden. Bereits anläßlich einer Konferenz im Frühjahr 2019 hatte Minister Müller überraschend mitgeteilt, dass man bereits einen Gesetzentwurf in der Schublade habe, der dann “geleakt” wurde. Nun kommt Ende 2019 die Ankündigung eines Eckpunktepapiers für ein Lieferkettengesetz. Das Monitoring läuft noch.

Sind für die Bundesregierung ihre eigenen NAP-Vorgaben Schall und Rauch? Kreiert sie dadurch nicht eine sich selbst erfüllende Prophezeihung, dass die 50 % nicht erreicht werden, weil kein Unternehmen mit Sinn und Verstand bei dieser Sachlage noch den Aufwand des Monitorings betreibt, wenn ein Gesetz sowieso kommt? Gibt es noch so etwas wie Vertrauensschutz in ein vorgegebenes und im Multi-Stakeholder-Prozess abgestimmtes Verfahren – oder ist der “gute Zweck” (zunehmend) Generalausnahme von rechtsstaatlichen Grundsätzen? Ist dem guten Zweck – zum jetzigen Zeitpunkt – wirklich am Besten mit einem deutschen Lieferkettengesetz gedient?

Der NAP verfolgte ausdrücklich und aus gutem Grund einen anderen, systemischen Ansatz, der nicht nur alle drei Säulen der UN-Leitprinzipien aufeinander abgestimmt weiterentwickeln will, sondern gerade die für transnationale Lieferketten wichtige Zielsetzung herausstreicht, dass die Bundesregierung zu einem international gemeinsamen Verständnis unternehmerischer Sorgfaltspflicht und nachhaltigen Lieferkettenmanagements kommen will, um ein globales Level-Playing-Field zu schaffen. Dieser umfassende und systemische Ansatz, der die menschenrechtliche Steuerung transnationaler Lieferketten in ihrer Komplexität annimmt, hat nichts an Bedeutung verloren, im Gegenteil.

HINWEIS: Der Beitrag wurde zuerst veröffentlicht in F.A.Z. Einspruch! am 20.1.2020

 

Die Autorin

Dr. Birgit Spiesshofer

Dr. Birgit Spiesshofer M.C.J. (NYU) ist Rechtsanwältin bei der internationalen Kanzlei Dentons und Privatdozentin an der Universität Bremen. Sie berät, forscht, publiziert und lehrt im Bereich Internationales Wirtschaftsrecht und Unternehmensethik, Compliance, Nachhaltigkeit und CSR. Sie ist u.a. Autorin des Grundlagenwerks „Unternehmerische Verantwortung. Zur Entstehung einer globalen Wirtschaftsordnung“ (engl Ausgabe.: “Responsible Enterprise”). Sie ist Vorsitzende des Ausschusses “Compliance und CSR“ des Deutschen Anwaltverein und war Chair u.a. der CSR-Committees der International Bar Association und des Council of Bars and Law Societies of Europe. Sie ist u.a. Mitglied von gaemogroup – Corporate Responsibility International und der CSR and Anti-Corruption Commission sowie der Energy and Environment Commission der International Chamber of Commerce. Von 1995 bis 2010 war sie Partnerin der Kanzlei Hengeler Mueller.

 

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