Das Deutsche Netzwerk Wirtschaftsethik (DNWE) wurde 1993 gegründet – lange bevor Begriffe wie Corporate Social Responsibility geprägt wurden. Wir sprachen mit dem Vorstandsvorsitzenden Professor Dr. Stephan Grüninger über das Netzwerk und den Preis für Unternehmensethik, den es alle zwei Jahre vergibt.

 

Herr Professor Grüninger, was ist das DNWE?

Das Deutsche Netzwerk Wirtschaftsethik wurde 1993 gegründet. Damals gab es noch keine breite Debatte über das, was wir heute unter Unternehmensethik verstehen. Das Ziel des DNWE war und ist, einen Austausch über ethisch konnotierte Themen zwischen Wirtschaft und Forschern aus Bereichen wie Ökonomie, Philosophie, Psychologie und Jura zu fördern, ebenso mit Vertretern von Verbänden und Kirchen. Wenn das Thema unternehmerische Verantwortung heute gesamtgesellschaftlich und hoch spezialisiert diskutiert wird, hat unsere Institution daran hoffentlich einen Anteil. Und unsere Arbeit ist relevanter denn je: Weil wir breit und interdisziplinär aufgestellt sind, können wir helfen, das große Bild nicht aus dem Auge zu verlieren.

 

Liegen Ihnen bestimmte Themen besonders am Herzen?

Ein Schwerpunkt liegt sicherlich auf den klassischen Business Ethics, also dem Grundsatz, dass ein Unternehmen nicht die Gesellschaft schädigen darf. Vom ersten Tag an hat uns dieses Thema begleitet. Dabei hat uns die Veröffentlichung der US Sentencing Guidelines for Organisations im Jahr 1991 inspiriert. Damals wurde für die USA geregelt, dass nicht nur handelnde Individuen, sondern auch Unternehmen bestraft werden können. Gleichzeitig wurde gefordert, dass Unternehmen eine Selbstkontrolle für ethisches und rechtskonformes Handeln einführen. Heute nennen wir das Compliance.

 

Aber Unternehmensethik ist längst mehr als Compliance, oder?

Ja, natürlich. Klimawandel, Nachhaltigkeit, Menschenrechte – die Liste der Themen, die wir im Netzwerk diskutieren, ist lang. Und vieles besprechen wir nicht erst seit gestern. Das hören manche Wirtschaftsverbände nicht gern, aber manchmal ist es geboten, dass der Gesetzgeber einen Rahmen schafft, damit es nicht bei moralischen Appellen bleibt.

 

So wie aktuell beim Lieferkettengesetz?

Das stimmt. Das Lieferkettengesetz definiert ethische Anforderungen, sogenannte Sorgfaltspflichten, gegen die man eigentlich nichts einwenden kann, denn es fordert im Grunde nichts, was nicht geleistet werden kann. Auch wenn das immer wieder behauptet wird: Es verlangt von Unternehmen lediglich das Bemühen um eine Kontrolle der Lieferkette. Bei den direkten Lieferanten, mit denen man vertragliche Beziehungen unterhält, sind die Anforderungen zurecht höher als in vorgelagerten Wertschöpfungsstufen. Vielen geht das Gesetz im Übrigen nicht weit genug. Dem widerspreche ich. Es kann von Unternehmen nicht gefordert werden, was nicht geleistet werden kann. Das ist im Übrigen auch ein ethischer Grundsatz.

 

In anderen Bereichen tut sich der Staat noch schwer. Etwa, wenn es um Umweltzerstörung oder die Abnutzung von Infrastruktur geht – Stichwort “externe Kosten”…

Fragen externer Effekte sind in hohem Maße ethisch aufgeladen. Man muss sich allerdings bewusst machen, auf welcher Handlungsebene man solche Probleme lösen kann. Es darf nicht dazu kommen, dass ein Staat einen Missstand, den er beheben muss, ausschließlich an Unternehmen delegiert. Wir reden hier also nicht nur über Unternehmensethik, sondern ebenso über Ordnungsethik als Rahmengeber und wesentliches Element der Wirtschaftsethik. Ein gutes Beispiel dafür, wie man externe Kosten – schrittweise – internalisiert und auf den Verursacher verlagert, ist etwa die eingeführte Bepreisung von CO2. Sie ist auch, wenn Sie so wollen, ethisch geboten.

 

Wird der Managerjob durch wirtschaftsethische Fragen anspruchsvoller?

Auf jeden Fall. Wir erleben gerade eine Entwicklung von der Compliance hin zu einer Managementverantwortung für viele ethische Themen, von denen Compliance nur eines darstellt. Bei größeren Unternehmen und Konzernen gehört das Thema Verantwortung zum Tagesgeschäft. Hinzu kommt: Viele ethische Normen sind inzwischen rechtsverbindlich. Noch bis 1998 konnte man in Deutschland Bestechungsgelder im Ausland als “nützliche Aufwendungen” von der Steuer absetzen. Das hat sich dank einer entsprechenden OECD-Konvention geändert. Ebenso rechtsverbindlich sind beispielsweise Grenzwerte für Emissionen. Gleichfalls relevant wie die Compliance-Perspektive ist aber auch die strategische Perspektive der Nachhaltigkeit, also nachhaltige Geschäftsmodelle. Das machen Unternehmen ja nicht, um einen Standard zu erfüllen, sondern um langfristig erfolgreich zu sein.

 

Handeln mittelständische Unternehmen moralischer als Konzerne?

Sicherlich gibt es einen Unternehmertypus im Mittelstand, der regional verwurzelt ist, in gemeinnützige Zwecke investiert und sich in Vereinen und sozialen Einrichtungen engagiert. Das ist lobenswert, aber wir dürfen über die Gewinnverwendung nicht die Gewinnentstehung aus dem Auge verlieren. Und ob der Mittelstand, der inzwischen häufig international tätig ist, in puncto Korruptionsprävention, Menschenrechte und Umweltschutz per se besser ist als multinational operierende Konzerne, wage ich zu bezweifeln.

 

Zu Ihrem Netzwerk gehören viele Konzerne. Welche Rolle übernehmen sie im DNWE?

Um das zu beantworten, will ich noch einmal kurz unsere Struktur erläutern: Es gibt den eingetragenen Verein, das DNWE. Es bringt seine Mitglieder – Unternehmen, Konzerne, kirchliche und wissenschaftliche Einrichtungen – zu öffentlichen Debatten zusammen, etwa im Rahmen unserer Jahrestagung. Und neben dem DNWE gibt es das Zentrum für Wirtschaftsethik, eine Tochtergesellschaft des Vereins, die unter anderem zwei Foren betreibt: das Forum “Compliance and Integrity” und das Forum “Compliance Mittelstand”. Auch hier sind Unternehmen Mitglieder. Sie bringen sich ein, lernen von- und diskutieren miteinander. Mitglieder in den Foren sind aber nicht automatisch Mitglieder des Vereins und umgekehrt.

 

Seit mehr als 20 Jahren vergibt das DNWE den Preis für Unternehmensethik. Warum wurde er eingeführt?

Mit diesem Preis zeichnen wir Unternehmensinitiativen aus, die an Standards wie dem UN Global Compact, den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, den Sustainable Development Goals oder den OECD- Leitsätze für multinationale Unternehmen ausgerichtet sind. Das machen wir nicht zuletzt, um einen Anreiz für andere Unternehmen zu setzen, sich ebenfalls vorbildhaft zu verhalten. Es geht dabei um eine vorbildliche Initiative, nicht um “das ethische Unternehmen”. Das ist uns wichtig.

 

Können Sie ein Beispiel nennen?

Den ersten Preis haben wir im Jahr 2000 an die Otto Group vergeben, weil sie sich frühzeitig für die Einführung sozialer Mindeststandards entlang der Wertschöpfungskette eingesetzt hat. Sie gründete sogar eine Beratungsfirma, die Lieferanten bei der Umsetzung unterstützen sollte. Auch die Novartis AG zählte bereits zu unseren Preisträgern, weil sie die zehn Prinzipien des Global Compact in ihre Unternehmenskultur eingebettet hat. Und der Hersteller von Outdoor-Bekleidung Vaude wurde für die erfolgreiche Integration hoher ökologischer, sozialer und wirtschaftlicher Standards in seine Geschäftsprozesse ausgezeichnet. Unsere letzte und aktuelle Preisträgerin ist die Vereinigung MaxTex, die die Auszeichnung für ihre Vorbildfunktion bei der Umsetzung sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit entlang der textilen Wertschöpfungskette erhielt.

 

Wie ermitteln Sie die Gewinner?

Man kann sich nicht für die Teilnahme bewerben, wie man das von anderen Wirtschaftspreisen kennt. Eine Preisjury aus namhaften Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft sucht nach Initiativen im Sinne der vorhin genannten Standards und nimmt zum Zwecke eines umfassenden Audits Kontakt mit der jeweiligen Firma auf. Ein wichtiges Kriterium für die Preiswürdigkeit ist dabei die Prozesshaftigkeit: Es darf keine Initiative sein, die nach ihrem Abschluss wirkungslos verpufft. Sie muss das Unternehmen oder auch Branchenpartner dauerhaft in Richtung stärkerer Nachhaltigkeit und ethischer Verantwortung verändern.

 

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Unternehmensethik?

Dass wir unser Handeln bei ethisch aufgeladenen Themen regelmäßig einem Faktencheck unterziehen, statt dem Trend zu folgen. Wenn wir beispielsweise über nachhaltige Mobilitätskonzepte oder Städte diskutieren – und diese Diskussion müssen wir führen – müssen wir gelegentlich einen Schritt zurück machen und uns fragen, ob wir wirklich im Sinne der Gesellschaft handeln. Gesellschaftlicher Diskurs ist das stetige Ringen um Wahrheit und nicht das Hinterhecheln einmal gesetzter Trends.

 

Was ist Ihnen wichtig, wenn Sie mit Studierenden und Managern über Unternehmensethik sprechen?

Nicht im Theoretischen zu verweilen. Die Unterscheidung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik im Sinne Max Webers, der Kategorische Imperativ von Immanuel Kant, die Gerechtigkeitsprinzipien von John Rawls oder die Diskursethik von Jürgen Habermas: Das alles ist wichtiges Grundlagenwissen. Aber letztlich ist Ethik die Frage nach dem richtigen Handeln. Deshalb kommt es mir noch mehr darauf an, die ethische Entscheidungsfindung anhand von konfliktgeladenen Situationen und Dilemmata mit den Teilnehmern zu diskutieren und zu trainieren. Damit man lernt, ethische Probleme als solche zu erkennen und zu lösen. Mit dem Räsonieren darf es nicht enden.

 

Herr Professor Grüninger, herzlichen Dank für dieses Interview!

 

HINWEIS:
Das Interview ist erschienen in: bdvb aktuell Nr. 154 “Ethik in der Wirtschaft”
Die Ausgabe steht unter dem folgenden Link zum Abruf und Download zur Verfügung:
https://www.bdvb.de/medien/bdvb-aktuell-154/

 

Über den Interviewpartner

Prof. Dr. Stephan Grüninger

Prof. Dr. Stephan Grüninger ist seit 2009 Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Managerial Economics an der Hochschule Konstanz – Technik, Wirtschaft und Gestaltung sowie Wissenschaftlicher Direktor des Konstanz Institut für Corporate Governance (KICG), Vorstandsvorsitzender des Deutschen Netzwerks Wirtschaftsethik (dnwe) und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Deutschen Instituts für Compliance (DICO). Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Corporate Compliance und Integrity Management, Wirtschaftsethik und Corporate Social Responsibility (CSR) sowie Vertrauens- und Risikomanagement. Er ist Mitherausgeber des Standardwerks “Handbuch Compliance-Management”.

 

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