Die Zukunft der Arbeit befindet sich im Wandel. Menschenzentrierte Führung, Selbststeuerung, Eigenverantwortung, Teilhabe und Flexibilität der Beschäftigten sind einige Prinzipien, die unter dem Begriff “New Work” gefasst werden – ein Begriff, der bereits in den 1970er Jahren vom Sozialphilosophen Frithjof Bergmann geprägt wurde. Uns interessiert die Frage: Ist New Work die “Arbeit an der Zukunft?” Wie verändern sich Organisation und Führung, wenn der Mensch und seine Bedürfnisse in den Vordergrund rücken (sollen). Wer profitiert davon? Und wer nicht? Wo besteht womöglich die Gefahr einer Spaltung in der Arbeitswelt?

Zu diesem Thema haben wir 5 Fragen an … Daniel Karczinski, Geschäftsführer Big Shift Lab in Küsnacht (CH), Berater für Organisationsentwicklung und Nachhaltigkeit, www.bigshiftlab.ch, d.karczinski@bigshiftlab.ch

 

“New Work und Nachhaltigkeitsmanagement überschneiden sich in ihrem Kernanliegen: Langfristiges Wohlergehen für Individuen, Organisationen und Gesellschaft.”

Daniel Karczinski

 

(1) Was sind Ihre persönlichen Berührungspunkte mit “New Work” und wie zeigen sich diese in Ihrem Alltag?

Daniel Karczinski: Als Berater für Change Management und Nachhaltigkeit sowie für Organisationsentwicklung im Allgemeinen, habe ich eine enge Verbindung zu den Prinzipien von New Work. In meinem Alltag sollte sich New Work durch eine Kultur der Flexibilität, des Vertrauens und der Eigenverantwortung manifestieren. Ich arbeite mit Organisationen zusammen, um Strukturen zu schaffen, die idealerweise nicht nur Effizienz und Ergebnisse steigern, sondern auch das Wohlbefinden und die persönliche Entwicklung der Mitarbeiter fördern.

Was mir an dem Denkansatz New Work so gut gefällt: New Work fördert die Idee, dass Arbeit nicht nur ein Mittel zum Zweck ist, sondern eine Tätigkeit, die zur persönlichen Entfaltung und zum gesellschaftlichen Wohl beitragen kann. Als Changeberater und Experte für Nachhaltigkeit sehe ich großes Potenzial in der New-Work-Bewegung, um die Arbeitswelt im Einklang mit ökologischen und sozialen Prinzipien zu gestalten. Man muss sich ja nur umschauen: Burn-Out und Überlastung sind an der Tagesordnung, meist mündet das über kurz oder lang in einer toxischen Unternehmenskultur. Das hat wiederum drastische Auswirkungen auf die Arbeitgebermarke – ein Problem, mit dem sich Unternehmen leider oft viel zu spät auseinander setzen.

Nachhaltigkeit und Change Management sind zentrale Aspekte von New Work, da sie die Grundlage für eine zukunftsfähige und resiliente Organisation bilden. New Work und Nachhaltigkeitsmanagement überschneiden sich in ihrem Kernanliegen, langfristiges Wohlergehen für Individuen, Organisationen und die Gesellschaft zu schaffen.

 

(2) Wie verändern sich Führung und Organisation, wenn der Mensch und seiner Bedürfnisse in den Vordergrund gestellt werden?

Daniel Karczinski: Wenn es um Führung und Organisation geht, erlebe ich meist eine tiefgreifende Veränderung, sobald der Mensch und seine Bedürfnisse (glaubwürdig und auf Dauer) in den Mittelpunkt gestellt werden. Das hehre Ziel: Führungskräfte entwickeln sich zu Coaches und Mentoren, die Entscheidungsmacht wird dezentralisiert und Mitarbeiter erhalten mehr Autonomie und Mitspracherecht. Das kann sehr kräftezehrend sein und ein langfristiger Prozess, der nachgehalten werden will. Wenn es aber gut läuft, führt dies zu einer höheren Mitarbeiterzufriedenheit, zu mehr Kreativität und letztendlich zu einer resilienteren Organisation.

In meiner Arbeit als Changeberater und Nachhaltigkeitsexperte sehe ich, dass nachhaltige Praktiken und New Work-Prinzipien Hand in Hand gehen. Nachhaltigkeitsmanagement fokussiert darauf, ökologische, soziale und ökonomische Aspekte in Einklang zu bringen. New Work hingegen betont die Bedeutung von sinnstiftender Arbeit, die Autonomie der Mitarbeiter und die Flexibilität in Arbeitsprozessen. Beide Ansätze sind aus meiner Sicht komplementär. Aber sie verlangen eben ein Umdenken in der Art und Weise, wie wir denken, arbeiten und organisieren.

Spannend finde ich den Gedanken, durch die Schaffung von Arbeitsumgebungen die psychische und physische Gesundheit der Mitarbeiter unterstützen. Dieser Gedanke hilft auch beim Wandel zu mehr Nachhaltigkeit im Unternehmen. Nudging, also das Anstoßen oder “Stupsen” von Menschen zu bestimmten Verhaltensweisen, kann eine effektive Rolle bei der Gestaltung der Arbeitsumgebung im Sinne von New Work sein. Es geht darum, das Umfeld so zu gestalten, dass es subtile Hinweise gibt, die das Verhalten der Mitarbeiter in eine positive Richtung lenken – aber ohne dabei restriktiv zu wirken oder die Wahlfreiheit einzuschränken. Zum Beispiel können Recyclingstationen sichtbar und zugänglich gemacht werden, um Recycling zu erleichtern, oder man kann eine Standardvorgabe für den doppelseitigen Druck eingeführen um den Papierverbrauch zu reduzieren.

 

(3) Welche Chancen bietet “New Work”?

Daniel Karczinski: Die Chancen von New Work liegen vor allem in der gesteigerten Anpassungsfähigkeit von Organisationen an die sich schnell verändernden Marktbedingungen (die im übrigen auch durch Nachhaltigkeit getrieben werden). Durch die Förderung von Agilität, lebenslangem Lernen und einer ausgeprägten Feedbackkultur können Unternehmen schneller auf Veränderungen reagieren und Innovationen vorantreiben. Die Themen in der Nachhaltigkeit sind äußerst vielfältig und komplex geworden, so dass sich ausgeprägte New Work-Kulturen ganz bestimmt leichter damit tun.

Die Integration von Nachhaltigkeit in den Alltag einer Organisation bedeutet oft, Change Management-Prozesse zu initiieren. Dies umfasst die Umstellung auf umweltfreundliche Ressourcen, die Implementierung ethischer Geschäftspraktiken und die Förderung von gesellschaftlichem Engagement. Aus meiner Sicht unterstützt New Work diese Transformation, indem es flexible Arbeitsmodelle und eine Kultur der Offenheit und Innovation fördert, die für die Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen notwendig sind. Ohne diese Offenheit hat Nachhaltigkeit im Unternehmen meines Erachtens wenig Chancen.

 

(4) Wo sehen Sie Herausforderung bei der Implementierung und wo stößt “New Work” auch an seine Grenzen?

Daniel Karczinski: Die Herausforderungen bei der Implementierung von New Work liegen oft in der Überwindung traditioneller Denkweisen und festgefahrener Strukturen. Widerstand gegen Veränderungen, eine Kultur des Misstrauens und die Angst vor Kontrollverlust sind Hindernisse. Zudem wird es kritisch, wenn das Prinzip ohne klare Richtung oder Unterstützung implementiert wird. Ohne ein normatives Framework (also Werte, Vision, Mission o.ä.), das eine Richtung vorgibt, ist es schwierig, mit New Work erfolgreich zu sein.

New Work ist vielschichtig. Einerseits müssen Unternehmen heutzutage bereit sein, in die notwendige Infrastruktur zu investieren und digitale sowie nachhaltige Kompetenzen zu stärken. Andererseits müssen sie parallel einen kulturellen Wandel vollziehen, der von allen Ebenen der Organisation getragen wird. New Work kann da keine Wunder vollbringen. Es ist idealerweise ein bewusster und gewollter Prozess, der konsequent verfolgt wird.

New Work stößt zudem an seine Grenzen, wenn es als reines Lippenbekenntnis eingesetzt wird, ohne tatsächliche Veränderungen in den Arbeitsweisen und der Unternehmenskultur herbeizuführen. Das gilt übrigens auch eins zu eins für die Implementierung von Nachhaltigkeit.

 

(5) “New Work als Arbeit an der Zukunft?” – Kann “New Work” einen Beitrag für die Bewältigung unserer globalen Herausforderungen leisten? Und wenn ja, wie?

Daniel Karczinski: New Work als Arbeit an der Zukunft zu begreifen, impliziert, dass wir heute die Grundlagen für die Arbeitswelt von morgen legen. Es geht darum, resiliente und anpassungsfähige Organisationen zu schaffen, die bereit sind, sich den Herausforderungen der Zukunft zu stellen: ich denke da an unvorhersehbare Veränderungen in der Gesellschaft, politische Umwälzungen oder Kriege – oder auch technologische Durchbrüche oder wirtschaftliche Krisen.

New Work als Arbeit an der Zukunft zu betrachten macht aus meiner Sicht Sinn. Durch die Förderung von Nachhaltigkeit, Diversität und Inklusion innerhalb der Arbeitswelt können wir nicht nur die Arbeitswelt, sondern auch die Gesellschaft positiv beeinflussen. New Work bietet uns an, Arbeit so zu gestalten, dass sie den Bedürfnissen der Menschen dient und gleichzeitig einen (wenn auch hier und da bescheidenen) Beitrag zur Lösung globaler Probleme leisten kann.

 

New Work – Die Arbeit an der Zukunft? 5 Fragen an… ist eine Interviewreihe des DNWE. Sie zeichnet sich besonders durch die Pluralität unserer Expert_innen aus. Die gesamte Reihe veröffentlichen wir fortlaufend im Dossier.

 

Über Daniel Karczinski

Mit über 20 Jahren Erfahrung in Brand Identity und Change ist Daniel Karczinski heute mit Big Shift Lab als Berater für Transformation und Organisationsentwicklung tätig. Er hat umfassende Ausbildungen in entwicklungsorientiertem Management, Leadership, Coaching und Change-Beratung absolviert, unter anderem an der HSG in St. Gallen. Seit Mitte 2022 leitete er mehr als 15 Peer-to-Peer- Roundtables zu den Themen Nachhaltigkeit und Change. Mit am Tisch sitzen Unternehmensvertreter und -vertreterinnen, u. a. von Clariant, Die Schweizerische Post, Emmi, Hugo Boss, LBBW, Ritter Sport, STIHL, Swisscom, Vitra, Zurich Versicherung.

 

 

 

 

 

 

 

 

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