Die Zukunft der Arbeit befindet sich im Wandel. Menschenzentrierte Führung, Selbststeuerung, Eigenverantwortung, Teilhabe und Flexibilität der Beschäftigten sind einige Prinzipien, die unter dem Begriff “New Work” gefasst werden – ein Begriff, der bereits in den 1970er Jahren vom Sozialphilosophen Frithjof Bergmann geprägt wurde. Uns interessiert die Frage: Ist New Work die “Arbeit an der Zukunft?” Wie verändern sich Organisation und Führung, wenn der Mensch und seine Bedürfnisse in den Vordergrund rücken (sollen). Wer profitiert davon? Und wer nicht? Wo besteht womöglich die Gefahr einer Spaltung in der Arbeitswelt?

Zu diesem Thema haben wir 5 Fragen an … Prof. Dr. Klaus Kornwachs – Prof. em. für Technikphilosophie der BTU Cottbus und Honorarprofessor der Universität Ulm

 

(1) Was sind Ihre persönlichen Berührungspunkte mit “New Work” und wie zeigen sich diese in Ihrem Alltag?

Prof. Dr. Klaus Kornwachs: Mit den inhaltlichen wie organisatorischen Veränderungen der Arbeit durch neue technische Möglichkeiten, aber auch durch eine veränderte Haltung zur Arbeit in der Gesellschaft, wurde ich Anfang der 80er Jahre konfrontiert, als der “Siegeszug” des Computers durch Fabriken und Büros begann. Wie begleiteten diesen Prozess als Berater und Systemtheoretiker bei der Fraunhofer-Gesellschaft und wir stellten schnell fest, dass sich Ablauf- und damit auch (hierarchische) Aufbaustrukturen in den Betrieben veränderten. Arbeitsinhalte mussten umdefiniert werden und so manche ökologische Nische der Ineffektivität wurde aufgedeckt.

Was jedoch viel wichtiger war – es wurde klar, dass die Programmierung der Computer, deren Einsatz definierte Arbeitsschritte unterstützten oder gar ersetzen sollten, auf einem Modell der Arbeitsarbeitsabläufe und des Betriebes aufbaute. Dieses Modell war den Programmieren und denen, die die Vorgaben machten, zum Teil nicht gänzlich bewusst und das Formale des Programmierens suggerierte Objektivität. Da ging manches schief, und es dauerte eine Zeit, bis die “Drachensaat EDV”, wie man es nannte, akzeptiert war.

Später ging es dann um Bildschirmarbeit, Telearbeit, Humanisierung des Arbeitslebens, Computerunterstütztes Konstruieren und Fertigen (CAD und CIM) und die Verflachung der Hierarchien durch Lean Management. Erst dann tauchte das Wort Flexibilisierung der Arbeitszeit auf. Schließlich kam das Internet dazu und die neuen Konzepte, die man mit Industrie 4.0 bezeichnet. Kurzum: Diese Schlagworte, von “Systematisch Rationalisieren” bis zur “Disruption durch KI” waren natürlich auch innerbetriebliche Kampfbegriffe, die Akzeptanz für die jeweiligen Veränderungsschübe schaffen sollten. Im Rückblick stellte sich dann heraus, dass die Veränderungen seit den 80er Jahren immens waren, die aber, wenn man sie ständig verfolgte, auch vergleichsweise kontinuierlich abliefen.

Während dieser Zeit habe ich die Veränderungen in der Arbeitswelt beobachten können und die manchmal lästigen Veränderungen, aber auch die Möglichkeiten, die das Internet z. B. für die Lehre bietet kennen, benutzen und schätzen gelernt. Das gilt auch für die Telearbeit, aus der dann das Home Office wurde.

In der philosophischen Debatte wurden die Veränderungen relativ spät aufgegriffen – erst Anfang der 90er Jahren begann der Begriff und die Rolle der Arbeit aufgrund der massiven Veränderungen in der Arbeitswelt wieder interessant zu werden..

 

(2) Wie verändern sich Führung und Organisation, wenn der Mensch und seiner Bedürfnisse in den Vordergrund gestellt werden?

Prof. Dr. Klaus Kornwachs: Das sollten sie hoffentlich doch wohl immer. Die Diskussion kommt in der Regel dann auf, wenn sich durch den Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel, die beide wohl zu unterscheiden sind, die Machtverhältnisse verschieben. Sowohl die tariflich gebundenen Arbeitnehmer als auch die Auftragnehmer bei werkvertraglichen Verhältnissen können dann eher Forderungen stellen als bei einem Arbeitsmarkt mit hoher Sockelarbeitslosigkeit.

Wenn Forderungen wie nach Work-Life Balance, Sabbaticals, Home Office, Teilzeit, Elternzeit etc., aber auch nach Sinnstiftung der Arbeit, Kollegialität und Solidarität, Identifikation mit Arbeitsinhalten und -ergebnissen und der Wunsch nach Arbeitszufriedenheit Berücksichtigung finden sollen, dann muss die Organisation flexibler, die Hierarchie flacher und die Führung inhaltsorientierter werden als früher. Dazu gehört auch, dass sich der Anteil am Arbeitsmarkt von klassischen Arbeitsverhältnissen, die meist tariflich abgesichert sind, hin zu Auftragsverhältnissen mit Werkvertrag verschiebt, was nochmals zu unterschiedlichen Interessen von Auftragnehmern und Arbeitnehmern einerseits und Auftraggebern und Arbeitgebern andererseits führt.

Flexiblere Organisation mit zeitlich veränderlichem modularen Gruppenaufbau und geteilten, aber auch wechselnden Verantwortlichkeiten erfordern einen höheren Planungsaufwand. Der Beschäftitge ist nicht mehr nur der Ausführende, sondern der “Dirigent” der Prozesse. Dies ist jedoch mittlerweile dank der verfügbaren, z. T. lernenden Algorithmen und der rasant verbilligten verfügbaren Rechenleistung eigentlich kein Problem mehr. Es geht vielmehr um die Modelle der Arbeitsprozesse und den Gestaltungswillen, wie man sie optimieren möchte.

Man kann durchaus von einer Wechselwirkung sprechen: Weil die planungstechnischen Möglichkeiten z. B. von Industrie 4.0 verfügbar sind, kann man die oben genannten Forderungen eher erheben und und besser erfüllen, und weil diese Forderungen schon vor der technischen Realisierung erhoben wurden, weil sie dem Zeitgeist entsprachen, gab es auch einen Gestaltungsdruck auf die Technik. Man kann dies beispielhaft an der Entwicklung des Equipments für das Home Office sehen, das im Prinzip schon bestand, aber dann durch die Corona Krise beschleunigt wurde.

 

(3) Welche Chancen bietet “New Work”?

Prof. Dr. Klaus Kornwachs: Die Chancen liegen kurz angerissen bei folgenden zu erwartenden Veränderungen:

  • Erhöhte Transparenz der Arbeitsprozesse und damit einen Beitrag zur Sinnstiftung durch Arbeit
  • Wegfall von bloßer Routine und belastender wie langweiliger Tätigkeit
  • Weitere Erhöhung dispositiver Anteile für den Einzelnen im Arbeitsprozess
  • Flexibilisierung der Arbeitsteiligkeit selbst: D.h. die Frage, wer macht was, kann schneller verhandelt werden
  • Verschiebung der Tätigkeit von der reinen Prozesskontrolle zur Prozessgestaltung, damit aber auch höhere Verantwortung und Gefahr der Überforderung
  • Bessere Integration der Berufs- und Beschäftigungsplanung in die eigene Biographie

 

(4) Wo sehen Sie Herausforderung bei der Implementierung und wo stößt “New Work” auch an seine Grenzen?

Prof. Dr. Klaus Kornwachs: New Work hat schon zu starken Verschiebungen der Qualifikationsanforderungen geführt und wird noch weiter führen. Dies ist Chance und Risiko zugleich, weil neue, interessante Jobs entstehen, aber alte verloren gehen. Diejenigen, die Jobs verlieren, werden die neuen Jobs nicht mehr antreten können, weil sie entweder nicht rasch genug nachqualifiziert werden können oder noch nicht genügend neue Jobs dann schon zur Verfügung stehen. Die Implementierung wird also, wie bei anderen technologieinduzierten Veränderungen in Produktion und Dienstleistung, zu Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt führen. Ob dies zu einem Anstieg der Sockelarbeitslosigkeit führen wird, wie man es früher beobachten konnte, wird die Zukunft erweisen.

Die Herausforderung wird sein, für nicht ausreichend qualifizierbare Menschen entweder entsprechende Jobs zu schaffen oder mittels KI gestützter Technologie solche Schnittstellen zwischen Mensch und Arbeitsprozess zu schaffen, sodass geeignete Aufgaben von solchen Menschen auch bewältigt werden können.

New Work wird aller Voraussicht nach nicht zu einem bedingungslosen Grundeinkommen führen, weil zum einen nicht ausgemacht ist, dass die neuen technischen Möglichkeiten der KI auf breiter ökonomischer Basis eine Produktivitätssteigerung verursachen, womit man dieses Grundeinkommen finanzieren könnte.

Eine Grenze von New Work wird die demographische Entwicklung sein. Die Industrieländer überaltern, dadurch wird die Produktivität sinken. Es müsste also mehr und länger als weniger und kürzer gearbeitet werden. Ob die Technologie diese Produktivitätslücke ausgleichen kann, ist nicht gewiss, da die Migrationsdynamik in die Industrieländer schwer abgeschätzt werden kann. Hier liegen wohl die Grenzen – es gibt immer noch viel zu tun.

 

(5) “New Work als Arbeit an der Zukunft?” – Kann “New Work” einen Beitrag für die Bewältigung unserer globalen Herausforderungen leisten? Und wenn ja, wie?

Prof. Dr. Klaus Kornwachs: Man könnte annehmen, dass durch New Work der Ressourcenverbrauch geringer wird, indem z. B. die arbeitsbedingte Mobilität verringert wird, oder indem mehr Menschen verantwortungsvoll Arbeitsprozesse nach ökologischen Gesichtspunkten optimieren.

Man könnte auch annehmen, dass sich neue Solidarisierungsformen ausbilden, die transnational auch die Interessen von Werkvertragsnehmern, Crowdworkern und Freelancern, deren Anteil am globalen Arbeitsmarkt ja zunimmt, vertreten können.

Man könnte auch annehmen, dass Formen von New Work die Beteiligten politisch wacher machen und so die Politik in Richtung auf Friedenserhaltung, Umweltschonung und Erreichen von Klimaschutzzielen beeinflusst.

Dies sind Annahmen, bei denen man weder über deren Eintretenswahrscheinlichkeit noch über deren Realisierung spekulieren kann. Leider hängen die globalen Herausforderungen wie Kriege, Armut, Migration, Hungersnöte, Folgen der Klimaveränderung und langfristig das Wachstum der Weltbevölkerung in erster Linie von der Gestaltung der weltwirtschaftlichen Prozesse ab. Diese liegt in der Hand internationaler Akteure, die invariant von Formen der New Work agieren. Denn die Fragen der Gestaltung von New Work auf der Mikroebene sind nicht auf die globale Ebene skalierbar.

 

New Work – Die Arbeit an der Zukunft? 5 Fragen an… ist eine Interviewreihe des DNWE. Sie zeichnet sich besonders durch die Pluralität unserer Expert_innen aus. Die gesamte Reihe veröffentlichen wir fortlaufend im Dossier.

 

Über Prof. Dr. Klaus Kornwachs

Klaus Kornwachs (geb. 1947), studierte Physik, Mathematik und Philosophie in Tübingen, Freiburg, Kaiserslautern und Amherst (Mass., USA). Bis1992 am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation, Stuttgart, 1991 Forschungspreis der Alcatel SEL-Stiftung für Technische Kommunikation. Von 1992-2011 Lehrstuhl für Technikphilosophie an der BTU Cottbus. Gastprofessuren und Fellowships in Wien, Budapest, Stuttgart, Dalian und Stellenbosch, ordentliches Mitglied der Deutschen Akademie für Technikwissenschaften (acatech), seit 1990 Honorarprofessor der Universität Ulm, seit 2013 Honorary Professor am Intelligent Urbanization Co-Creation Center an der Tongji University, Shanghai. Klaus Kornwachs ist Herausgeber und Autor zahlreicher Fachbücher und Veröffentlichungen (www.kornwachs.de).

 

 

 

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