Die Zukunft der Arbeit befindet sich im Wandel. Menschenzentrierte Führung, Selbststeuerung, Eigenverantwortung, Teilhabe und Flexibilität der Beschäftigten sind einige Prinzipien, die unter dem Begriff “New Work” gefasst werden – ein Begriff, der bereits in den 1970er Jahren vom Sozialphilosophen Frithjof Bergmann geprägt wurde. Uns interessiert die Frage: Ist New Work die “Arbeit an der Zukunft?” Wie verändern sich Organisation und Führung, wenn der Mensch und seine Bedürfnisse in den Vordergrund rücken (sollen). Wer profitiert davon? Und wer nicht? Wo besteht womöglich die Gefahr einer Spaltung in der Arbeitswelt?
Zu diesem Thema haben wir 5 Fragen an … Samir Ayoub, Geschäftsführender Gesellschafter der designfunktion Gruppe
“New Work ist nichts, was verordnet werden kann. New Work muss authentisch vorgelebt werden und das über alle Hierarchieebenen hinweg.”
Samir Ayoub
(1) Was sind Ihre persönlichen Berührungspunkte mit “New Work” und wie zeigen sich diese in Ihrem Alltag?
Samir Ayoub: Jeder Mensch braucht einen Grund, weshalb er morgens aufsteht. Mein Grund heißt “New Work”. Ich bin überzeugt, dass New Work bereits jetzt jeden Aspekt unseres Lebens und Arbeitens fundamental verändert und genau diese Veränderung möchte ich gestalten – mit meinem Team bei designfunktion und in immer mehr Unternehmen, die den Weg in eine menschenzentrierte Arbeitswelt gehen wollen.
Ein zentrales Element dabei ist die Wirkung des Raumes. Denn wie wir arbeiten, wie produktiv wir dabei sind und wie wir uns dabei fühlen, hängt ganz entscheidend von der Gestaltung und Einrichtung der Räume ab, in denen wir uns befinden. Erst wenn wir diese Wirkung erkennen, steuern und optimal nutzen, entsteht das New Office, ohne das New Work nur eine schöne Phrase bleibt. Meine Erfahrungen, wie das gelingen kann, habe ich in meinem Buch “Mach’s menschlich: Was Arbeitgeber attraktiv macht – 40 Thesen zur Arbeitswelt von morgen” beschrieben. Sie sehen: New Work ist so etwas wie meine Obsession, die mich jeden Tag aufs Neue antreibt.
(2) Wie verändern sich Führung und Organisation, wenn der Mensch und seiner Bedürfnisse in den Vordergrund gestellt werden?
Samir Ayoub: Ein gutes Beispiel ist die neue Bedeutung der Arbeitgebermarke. Vor nicht allzu langer Zeit mussten selbst hochqualifizierte Fachkräfte zahlreiche Bewerbungen aussenden, um einen guten Job zu finden. Heute bewerben sich die Unternehmen bei den Fachkräften.
Wer diesen Wettbewerb um die klügsten Köpfe gewinnen will, muss sich verändern. Viele Unternehmen tun das bereits und bauen eine Unternehmenskultur auf, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Konkret bedeutet das: mehr Wertschätzung, mehr Freiheiten und vor allem mehr Vertrauen. Gerade Letzteres fällt vielen Führungskräften immer noch schwer, denn es bedeutet, Kontrolle abzugeben. Sie können aber kein Team kontrollieren, in dem die eine Hälfte vom Büro aus arbeitet und die andere Hälfte zum Teil im Homeoffice, aus dem Hotelzimmer oder im Zugabteil. Alte Führungsmodelle stoßen hier an ihre Grenzen und wir müssen neue Konzepte wie Remote Leadership etablieren, die für das digitale Zeitalter und eine menschenfreundlichere Arbeitswelt entwickelt wurden.
(3) Welche Chancen bietet “New Work”?
Samir Ayoub: Viele Führungskräfte denken dabei an eine höhere Produktivität, eine transparentere Kommunikation oder einfachere Prozesse. All das ist sicher richtig, aber zu kurz gedacht. Die eigentliche Chance von New Work besteht meiner Meinung nach darin, die eigene Unternehmenskultur zu hinterfragen. Für welche Werte stehen wir? Leben wir diese Werte überhaupt und sind wir wirklich bereit, New Work in aller Konsequenz umzusetzen? Die Bedeutung von Vertrauen und Freiräumen habe ich ja bereits angesprochen. Wenn Unternehmen auf diese Fragen ehrlich Antworten suchen, kann New Work eine disruptive Kraft entfalten und tatsächlich ein echter Erfolgsfaktor für die Unternehmensentwicklung sein. Bleibt New Work aber eine Phrase oder wird es nur halbherzig umgesetzt, braucht sich niemand über ausbleibende Ergebnisse wundern.
(4) Wo sehen Sie Herausforderung bei der Implementierung und wo stößt “New Work” auch an seine Grenzen?
Samir Ayoub: New Work ist nichts, was verordnet werden kann. New Work muss authentisch vorgelebt werden und das über alle Hierarchieebenen hinweg. Wir brauchen also “Überzeugungstäter”, die vorangehen und eine Art Dringlichkeitsgefühl bei der Implementierung von New Work etablieren. Das ist die menschliche Seite. Die andere Seite betrifft Investitionen in das Büro und die technische Ausstattung. New Work ohne New Office funktioniert nicht. Veränderungen sind eben anstrengend und New Work ist da keine Ausnahme.
(5) “New Work als Arbeit an der Zukunft?” – Kann “New Work” einen Beitrag für die Bewältigung unserer globalen Herausforderungen leisten? Und wenn ja, wie?
Samir Ayoub: So sehr ich New Work liebe und lebe: Es ist kein Allheilmittel. Ein schlecht geführtes Unternehmen wird durch New Work nicht zu einem Mitarbeitermagneten, unbrauchbare Produkte verwandeln sich nicht über Nacht in Verkaufsschlager und den Weltfrieden werden wir mit New Work auch nicht herstellen. New Work kann aber neue Denkansätze ermöglichen, Mut machen und dafür sorgen, dass unsere Arbeitswelt tatsächlich menschenfreundlicher wird. Davon kann sich dann auch die Politik ein bisschen was abschauen. Ich finde, wenn uns das gelingt, ist schon viel erreicht!
Über Samir Ayoub
Samir Ayoub ist Inhaber und CEO der designfunktion Gruppe, Unternehmer aus Leidenschaft und Autorität, wenn es um New Work und New Office geht. Er liebt es, Visionen und Missionen mit seinen Teams Wirklichkeit werden zu lassen. Sein außergewöhnliches Branchen- und Projekt Know-how sammelte er in über 750 New Office Projekten und bei starken Marken wie Vitra, Knoll International und Bene. Seine Karriere als Unternehmer begann mit 26 Jahren und führte ihn 2009 zur Nachfolge bei designfunktion. Das Unternehmen ist bis heute mehrfach ausgezeichnet, darunter “Bayerns Best 50” und Great Place to Work. Samir ist Vater von vier Kindern.