Die Zukunft der Arbeit befindet sich im Wandel. Menschenzentrierte Führung, Selbststeuerung, Eigenverantwortung, Teilhabe und Flexibilität der Beschäftigten sind einige Prinzipien, die unter dem Begriff “New Work” gefasst werden – ein Begriff, der bereits in den 1970er Jahren vom Sozialphilosophen Frithjof Bergmann geprägt wurde. Uns interessiert die Frage: Ist New Work die “Arbeit an der Zukunft?” Wie verändern sich Organisation und Führung, wenn der Mensch und seine Bedürfnisse in den Vordergrund rücken (sollen). Wer profitiert davon? Und wer nicht? Wo besteht womöglich die Gefahr einer Spaltung in der Arbeitswelt?
Zu diesem Thema haben wir 5 Fragen an … Saskia Anna Rotterdam, freiberuflicher Compliance Consultant und Dozentin für Wirtschaftsethik und Compliance Management
(1) Was sind Ihre persönlichen Berührungspunkte mit “New Work” und wie zeigen sich diese in Ihrem Alltag?
Saskia Anna Rotterdam: New Work wird vielfach mit Home-Office gleich gesetzt, was nicht der Realität entspricht. New Work sind auch eine 4-Tage-Woche, nur 6 Stunden Arbeitstage, Freelancing, agiles Arbeiten oder auch arbeiten in Coworking Spaces.
Eine Entwicklung, die während der Pandemie weiter an Bedeutung gewonnen hat.
Wie sich das in meinem Alltag zeigt? Nun, als Freelancerin habe ich den Luxus, mir meine Arbeitstage individuell einteilen zu können. Das mag vielleicht verlockend klingen, bringt aber mit sich, dass ich durchaus auch an Wochenenden arbeiten muss, wenn ich mir unter der Woche mal die ein oder andere Stunde für private Angelegenheiten – oder einfach nur Freizeit – genommen habe.
Berührungspunkte mit New Work habe ich tatsächlich aber auch bei der ein oder anderen Kundenanfrage. Auch wenn es selten ist, gibt es immer noch Unternehmen, die am “klassischen” Modell der Arbeit festhalten und die Kontrolle haben wollen. So hatte ich kürzlich erst wieder ein Unternehmen, die darauf bestanden haben, dass ich als Freelancerin für ein Interim-Projekt 5 Tage die Woche Vollzeit im Unternehmen vor Ort sein muss. Auch von drei Tagen vor Ort und zwei Tagen im Home-Office war der Kunde nicht zu überzeugen. Das Ergebnis: ich habe den Auftrag abgelehnt und der Kunde hat noch mehrere Monate nach einem Freelancer gesucht, der diese Anforderung zu erfüllen bereit war.
Manchmal gewinne ich dann doch den Eindruck, dass sich manche Führungskräfte mit den neuen Arbeitsmodellen schwer tun, diese zu akzeptieren und etwas weniger “Kontrolle” ausüben zu können..
(2) Wie verändern sich Führung und Organisation, wenn der Mensch und seiner Bedürfnisse in den Vordergrund gestellt werden?
Saskia Anna Rotterdam: In vielen Unternehmen herrscht eine Führungskultur, die leider durch zu viel Kontrolle, zu wenig Feedback, mangelnde Fehlerkultur und unklare formulierte Ziele geprägt sind. Das hat in der Regel zur Folge, dass Mitarbeiter*innen ihre Motivation verlieren, die Ausfallzeiten durch Krankentage in die Höhe schnellen und die Mitarbeiterfluktuation zunimmt.
Stellt man den Mitarbeiter als Mensch mit seinen Kompetenzen und Bedürfnissen in den Vordergrund, erreicht man eine höhere Einsatzbereitschaft, mehr kreative Ideen die das Unternehmen weiter bringen, einen respektvollen Umgang miteinander und oftmals auch den Wunsch sich weiter zu entwickeln und neues zu lernen.
Ein erster Schritt in ein nachhaltiges Personalmanagement, dass einen nicht weg zu diskutierenden Vorteil hat: man “zieht sich” seine Fachkräfte selber groß und bindet diese an das Unternehmen. Denn: fühlen sich die Mitarbeiter wertgeschätzt, wahrgenommen und unterstützt, sind diese loyale Mitarbeiter die in der Regel dem Unternehmen sehr lange erhalten bleiben..
(3) Welche Chancen bietet “New Work”?
Saskia Anna Rotterdam: Man hat die Erfahrung gemacht, dass sich das Konzept des “New Work” auf verschiedene Bereiche positiv auswirkt. Dazu gehören zum Beispiel:
- Homeoffice wirkt sich positiv auf die Produktivität der Mitarbeitenden aus
- bedarfsgerechte Arbeitsplatzgestaltung schafft Raum für Produktivität und Austausch im Büro
- Desk Sharing zum Beispiel spart Kosten
- Durch selbstbestimmtes Arbeiten engagieren sich Mitarbeiter mehr zur Erreichung der Unternehmensziele
- Mitarbeitende sind effektiver bei der Umsetzung ihrer Arbeit
- Ermöglichen einer guten Balance zwischen Leben und Arbeiten
- Geringe Ausfallzeiten: ist das Kind krank, kann von zu Hause gearbeitet werden, statt auszufallen
- Die bessere Work-Life-Balance wirkt sich auch auf die Gesundheit und Motivation der Mitarbeiter*innen aus
- Homeoffice spart Zeit und CO2 – allein durch das Wegfallen des Pendelns von und zur Arbeitsstelle
(4) Wo sehen Sie Herausforderung bei der Implementierung und wo stößt “New Work” auch an seine Grenzen?
Saskia Anna Rotterdam: In manchen Regionen von Deutschland stellt oftmals die Abhängigkeit von der Internetverbindung ein Problem dar. Wer kennt es nicht: ein wichtiges Online-Meeting, und die Internetverbindung ist instabil … Dinge, die die persönliche Resilienz durchaus auf eine harte Probe stellen können.
Eine weitere Herausforderung ist meines Erachtens, dafür Sorge zu tragen, dass Mitarbeiter*innen nicht in einen Modus der “permanenten Erreichbarkeit” verfallen.
New Work stellt auch erhöhte Anforderungen an Führungskräfte. Man muss sich im Klaren darüber sein, dass jede Art des “New Work” mehr Kommunikation braucht, um alle Teammitglieder auf einem gleichen Kenntnisstand zu halten. Und das in Kombination mit weniger Kontrolle und mehr Freiraum lassen. Eine große Herausforderung für Führungskräfte, die sich eher den alt bewährten Strukturen und Führungsqualitäten verhaftet fühlen.
Aber auch an die Mitarbeiter werden neue Herausforderungen gestellt. So ist es auch mit in deren Verantwortung, Feedback einzufordern oder auch klar zu kommunizieren, wenn sie in eine Überforderung rutschen.
Um die mentale und körperliche Gesundheit zu erhalten, ist die Mitwirkung der Führungskraft, als auch der Mitarbeiter*innen notwendig.
(5) “New Work als Arbeit an der Zukunft?” – Kann “New Work” einen Beitrag für die Bewältigung unserer globalen Herausforderungen leisten? Und wenn ja, wie?
Saskia Anna Rotterdam: New Work, Digitalisierung und Globalisierung sind für mich Dinge, die miteinander verbunden sind.
Allein die Globalisierung des Arbeitsmarktes hat in Kombination mit New Work nicht nur Anreize, sondern meines Erachtens auch Potential.
Ich merke dies an einem aktuellen Projekt für ein deutsches Unternehmen, die international aufgestellt sind. Das Unternehmen ermöglicht seinen Mitarbeitern ein flexibles Arbeiten, was die Arbeit im internationalen Projektteam nicht nur einfacher, sondern auch wesentlich effektiver macht. Die Teammitglieder sind hier aufgrund der Zeitverschiebungen nicht gezwungen Überstunden zu machen, sondern planen den Tag so, dass jeder an den Online-Meetings teilnehmen kann, ohne dass Job oder Familie Einbußen haben.
Was bei uns als New Work noch viel diskutiert und auch kritisch gesehen wird, ist in Skandinavien nichts neues mehr. Man kann meines Erachtens von den Schweden zum Beispiel viel lernen.
Aber zurück zur eigentlichen Frage: ja, New Work kann einen Beitrag zur Bewältigung unserer globalen Herausforderungen leisten. Weil es normal wird, in internationalen Teams zusammen zu arbeiten, die sich nie physisch sehen, aber virtuell optimal zusammen arbeiten. Weil man so auch dem Fachkräftemangel entgegen wirken kann – vorausgesetzt es sind Jobs, die auch Remote durchgeführt werden können. Weil New Work auch einen positiven Einfluss auf unsere Umwelt haben wird, da Geschäftsreisen und das Pendeln zum Job nicht mehr in großem Ausmaß notwendig sein werden.
Ist alles toll und wunderbar im Zusammenhang mit New Work und den zunehmenden Anforderungen der Globalisierung? Mit Sicherheit nicht … aber: “Stillstand ist Rückschritt.”, wie Rudolf von Benningsen-Foerder mal sagte. Nutzen wir also die Möglichkeiten des New-Work-Gedanken … lernen wir aus Fehlern und Fehlentscheidungen in dem Zusammenhang und entwickeln wir uns weiter. Im Sinne der Mitarbeiter*innen als Menschen und der Globalisierung.