Unternehmen stehen in der Verantwortung, die Menschenrechte zu achten. Wie dies in globalen Produktionsketten gelingen kann – darüber sind Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik seit Jahren im Gespräch. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe zum Thema “Business & Human Rights – Wirtschaft & Menschenrechte”, die in einer Kooperation der Katholischen Erwachsenenbildung des Bistums Limburg mit dem Deutschen Netzwerk Wirtschaftsethik (DNWE) stattfindet, wurde ein Webtalk sowie eine Diskussion unter der Führung von Dr. Wolfgang Kessler mit Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Klaus M. Leisinger geführt, die die Grundlagen für dieses Thesenpapier darstellen.

 

Für Prof. Leisinger gibt es einige zentrale Punkte, die Verhaltensregeln von Unternehmen und ihre Verantwortung bei der Produktion in allen Produktionsschritten in Bezug auf soziale, kulturelle und ökologische Sorgfaltspflichten der Unternehmen betreffen. Prof. Leisinger möchte mit seinen Überlegungen zu dieser bisher immer noch unterschätzten Dimension der unternehmerischen Verantwortung Anreize darüber anbieten, für das, was in der unternehmerischen Praxis schon heute möglich wäre. Optimal gelingt dies allerdings nur, wenn darüber hinaus auch Regierungen und jeder Einzelne in die Pflicht genommen werden.[1]

Eines der Hauptprobleme ist für Klaus Leisinger, dass es immer noch ein zu geringes Bewusstsein über – und Sensibilität für menschenrechtsspezifische Verantwortung in den Führungsebenen großer nationaler und international agierender Unternehmen gibt. Obwohl die Menschenrechte allgemeingültig und unteilbar sind, denken Manager in Unternehmen in der Regel zu wenig darüber nach, was sie konkret proaktiv machen könnten, um in der gesamten Produktionskette auf der sicheren Seite zu sein. Prof. Leisinger verweist bei diesem Punkt auf das Drei-Säulen-Konzept von John Ruggie, wonach es erstens eine staatliche Pflicht gibt, die Menschenrechte auch gegenüber Bedrohungen jeglicher Art zu schützen. Zweitens haben Unternehmen die Pflicht, die Menschenrechte in allen Aspekten ihres Handelns zu respektieren und drittens gibt es ein Recht auf Wiedergutmachung im Fall von erlittenem Schaden durch Menschenrechtsverletzungen durch wirtschaftliche und andere Akteure. Auch wenn Staaten ihrer Pflicht nicht nachkommen, sollten Unternehmen dies nicht zur Kostensenkung ausnutzen, sondern versuchen, durch eigene Initiativen und Handeln die internationalen Menschenrechte zu respektieren. Bemühungen, negative Auswirkungen auf den Respekt der Menschenrechte zu verhindern oder zu minimieren, sind auch dort ratsam. Wo durch die eigenen Geschäftsbeziehungen, in ihrer Geschäftstätigkeit, Produktion oder ihren Dienstleistungen indirekte unerwünschte Auswirkungen entstehen können. Eine solche Einstellung wird ja auch durch die Prinzipien des UN Global Compact (UN-GC) gefordert.

Aus Sicht Leisingers sollte jedes Unternehmen eine Grundsatzverpflichtung aufstellen, die die unternehmerische Sorgfaltspflicht (Due Diligence) bei ihrem Handeln und ihren Geschäftsbeziehungen anerkennt und sie auf den höchsten Entscheidungsebenen des Unternehmens verankern. Nur wenn die Wichtigkeit dieser Aufgabe durch die Führungsverantwortlichen zum Ausdruck gebracht wird, können operative Politiken und Verfahren etabliert und durchgesetzt werden. Hier sollte die Konzernleitung gleich vorgehen wie bei der Compliance, den sozialen und ökologischen Verantwortungen sowie der Korruptionsvermeidung in Unternehmen. Zur effektiven Umsetzung dieser Aufgabe sind auch interne Entscheidungs-, Mittelzuweisungs- und Aufsichtsverfahren, die sicherstellen, dass wirksame Maßnahmen ergriffen werden können, sowie geeignete qualitative und quantitative Indikatoren und eine Sensibilisierung für Rückmeldungen aus den Produktionsketten notwendig. Wenn Wirtschaftsunternehmen feststellen, dass sie nachteilige Auswirkungen verursacht oder dazu beigetragen haben, sollten sie durch rechtmäßige Verfahren für Wiedergutmachung sorgen oder dabei kooperieren.

Prof. Leisinger führt auch zentrale Fragen auf, die die Unternehmen bei der Erstellung ihrer Grundsatzverpflichtung beachten sollten: Was sind die Probleme, die durch die eigenen Tätigkeiten unter Umständen entstehen können? Was könnten Menschenrechtsverletzungen sein, zu denen man durch die Geschäftsbeziehungen und Produkte selbst beiträgt? Wo liegen Probleme in der Lieferkette? Kann es sein, dass das eigene Unternehmen unbewusst von Menschenrechtsverletzungen irgendwo am Anfang der Lieferkette profitiert?

Wenn internes Fachwissen zum Umsetzen des Schutzes der Menschenrechte fehlt, müssen Unternehmen externe Experten einbeziehen. Des Weiteren sollten die menschenrechtsbezogenen Erwartungen des Unternehmens durch internes oder externes Fachwissen und durch Stakeholder-Dialoge ermittelt und bewertet werden. Die Sorgfaltspflicht stellt hierbei keine einmalige, sondern eine kontinuierliche Aufgabe dar, weil sich die Risiken im Laufe der Zeit verändern können, wenn sich die Geschäftstätigkeiten oder das operative Umfeld eines Unternehmens weiterentwickelt.

 

Vermeidungsstrategien von Unternehmen

Ein weiteres Problem stellen auch die je nach Land unterschiedlichen Definitionen von “corporate responsibility” dar. Im angelsächsisch beeinflussten Teil der westlichen Welt liegt oft der Fokus in der Regel auf Quartalsresultaten durch legales Handeln. Auf diese Indikatoren sind auch die Anreizsysteme für Manager ausgerichtet. Wo bei den Anreizen die kurzfristigen finanziellen Gewinne im Vordergrund stehen, werden Manager hauptsächlich kurzfristige Ziele verfolgen. Die Achtsamkeit und Sorgfaltspflicht für nicht-finanzielle Leistungsaspekte bleibt auf der Strecke. In verschiedenen Ländern ist ausschließlich an lokalen Gesetzen ausgerichtetes Handeln aus einer aufgeklärten Verantwortungsperspektive unzureichend. Angezeigt wäre legitimes Handeln, welches über den rein rechtlichen Rahmen hinausgeht und dort, wo der Rechtsrahmen unzureichend ist, durch freiwillige Zusatzverantwortungen für annehmbares Handeln führt. Das Ausnutzen unzureichender Legalität ist besonders dort verwerflich, wo vergleichbares Handeln im eigenen Land nicht hinnehmbar wäre.

Auch der Verweis auf hohen Konkurrenzdruck von weniger verantwortungsvollen Unternehmen und dadurch mögliches Preisdumping auf Kosten von Menschenrechten ist nicht zu rechtfertigen. Es gibt kaum Fälle, bei denen europäische oder amerikanische Unternehmen über den Marktpreis ihrer Produkte den globalen Wettbewerb gewinnen müssen: Die Herstellungs- und Lohnkosten sind für Unternehmen wie Apple und Co nicht entscheidend für ihre Wettbewerbsfähigkeit, die Verkaufspreise und Gewinnmargen sind auch so außergewöhnlich hoch. Prof. Leisinger ist davon überzeugt, dass auch ein paar Euro mehr, die legitimes Handeln kosten würde, an der Wettbewerbsfähigkeit nichts ändern würde. Die großen westlichen Unternehmen gewinnen in der Regel durch Qualitätsunterschiede bei ihren Produkten oder Umwelt- und Sozialstandards, die dem Unternehmen besonderen Sexappeal verleihen. Dennoch wird durch Manager oft versucht, Preisdumping zu betreiben, da ihr eigener Verdienst von möglichst geringen Einkaufspreisen abhängt.

 

Was sollen Unternehmen also tun?

Menschenrechtsschutz ist nach Überzeugung und Erfahrung Prof. Leisingers Chefsache – die damit verbundene Geisteshaltung gehört zu einer guten Unternehmenskultur. Um eine solche Kultur zu befördern müssen Spitzenmanager ein Gefühl dafür entwickeln, was zur Disposition steht. Dafür müssen sie sich informieren (z.B. durch e-learning tools), sensibilisieren (aufnehmen in internes Lehrangebot; Impulsreferate möglichst von externen Experten) und proaktiv handeln.

Hierbei ist es, so Leisinger, wichtig, dass Unternehmen sich in problematischen Situationen nicht einfach zurückziehen und ganze Länder oder Subunternehmen boykottieren. Damit würden, so zeigt die Erfahrung, in der Regel nicht die jeweiligen Despoten getroffen. Boykotte würden zum einen nicht nur Arbeitsplätze und wirtschaftliche Schäden im eigenen Unternehmen kosten, sondern insbesondere die Situation der Menschen vor Ort weiter verschlechtern. Wenn die Boykottabsicht darauf abzielen würde, Menschen so viel schlechter zu stellen, dass es durch Aufstände zum Umsturz käme, so wäre dies ein menschenverachtender, zynischer Ansatz, den Prof. Leisinger ablehnt. Stattdessen brauche es integre Persönlichkeiten guten Willens in den Unternehmen, die sich von Despoten nicht davon abhalten lassen, ihre Werte unbeeindruckt zu verfolgen.

Leisinger plädiert für eine Art Wandel durch Annäherung, wie von Willy Brandt und Egon Bahr postuliert. Dadurch komme es mit der Zeit zu subtilem Druck von unten: Wo es den Menschen wirtschaftlich soweit besser geht, dass sie ihre Grundbedürfnisse befriedigt sind, entwickeln sich nicht-materielle Bedürfnisse wie Freiheit und Selbstbestimmung. Durch dieses Vorgehen können Unternehmen durch faktisches Handeln klar Stellungen beziehen und zum Ausdruck bringen, was sie für richtig halten. Um solchen Wandel glaubwürdig in Kooperation mit den eigenen Subunternehmen zu erreichen, können Unternehmen Übergangsverträge abschließen, in denen sie ihren guten Willen dadurch zeigen, dass sie den Subunternehmen finanziell entgegenkommen und mit Expertise unterstützen, um in einem abgestimmten Zeitrahmen Verbesserungen zu erreichen. Dieses Vorgehen sollten Unternehmen überall in ihrer “Sphere of Influence” einführen.

Damit Unternehmen über legalen Pflichten hinaus mehr im Sinne ganzheitlicher Verantwortung agieren, braucht es aus Sicht Klaus Leisingers Menschen guten Willens in Führungs- und Managementpositionen. Ohne diese sei in keiner Institution viel möglich. Nach Leisingers Erfahrung haben die meisten Manager ausreichend Freiraum, um selbst zu entscheiden, welche zusätzlichen Verantwortungen sie übernehmen möchten. Ob sie dies tun, hängt schlussendlich von der eigenen Persönlichkeit ab. Eine rein kurzfristige gewinnorientierte Einstellung ist hierbei nicht zielführend, da Programme zum Ausbau des Respekts von Menschenrechten in der Regel lange Zeit brauchen und viel Geld kosten, bevor sie Wirkung zeigen. Leisinger ist der Meinung, dass es dringend an der Zeit sei, dass Führungspersönlichkeiten auf dem freien Markt an mehr als nur ihrer Gewinnmaximierung im letzten Beruf gemessen werden sollten. Stattdessen sollten auch soziale, ökologische und menschenrechtliche Verantwortungen mit in die Beurteilung aufgenommen werden. Dies müsse schon in den Business Schools anfangen, in denen Themen wie Unternehmensethik oder “sustainable development” bis heute oft nur freiwillige Fächer sind und folglich viele Manager die Universitäten verlassen, ohne sich mit diesen Themen angemessen beschäftigt zu haben.

Verantwortungsvolle Unternehmen passen zudem die Anreizsysteme für ihre Manager an, in dem sie nicht nur ökonomische Ziele, sondern auch sozial-gesellschaftliche und auch ökologische Ziele aufnehmen (Triple-Bottom-Line). So wird erreicht, dass gute, weil verantwortungsvoll handelnde Manager, nicht die Dummen sind, sondern für ihre Zusatzbemühungen auch belohnt werden.

 

Was können der Staat und jeder Einzelne tun?

In Bezug auf eine angemessene Gesetzgebung muss der jeweilige Staat in die Pflicht genommen werden. Oft genügen die gültigen Standards in einem Entwicklungsland nicht unseren Standards:  Nicht alles was lokal legal ist, ist aus einer internationalen Perspektive legitim. Hinzu kommt, dass wegen eines “lack of good governance” oder auch eines “lack of capacity” nicht alles an guten Absichten umgesetzt werden kann, was das Parlament an Gesetzen beschlossen hat. Hier könnte man in der Entwicklungszusammenarbeit über Capacity-Building flankierend helfen. Wenn mehr auf Dezentralisierung gesetzt wird und sich nicht immer nur alles in den Hauptstädten der 3. Welt-Länder und Entwicklungsländer abspielen soll, dann braucht es Hilfe zum Kapazitätsausbau in der Peripherie. Wenn good governance and Kapazitätsaufbau durch Entwicklungszusammenarbeit unterstützt wird, kann auch das Fundament gebaut werden, damit zukünftige Entwicklungsmittel besser ankommen oder besser verwendet werden.

Auch Klaus Leisinger sieht eine Notwendigkeit für eine gesetzliche Grundlage zum Schutze der Menschenrechte. Diese Rahmenbedingungen sollten wichtige Fragen beantworten, z.B. was, in welchem Maße, unter welchen Bedingungen und in Zusammenarbeit mit wem soll im Bereich von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten erlaubt sein? Das deutsche Lieferkettengesetz hält Prof. Leisinger hierbei für einen ersten Schritt, der jedoch der Verfeinerung bedarf, damit die angestrebten Ziele erreicht und nicht bürokratische Monster geschaffen werden.

Leisinger plädiert auch für Druck durch Medien und NGOs. Unternehmen sollen beispielsweise dazu ermutigt werden, dem UN-GC beizutreten, der sie dazu verpflichtet, jährliche Berichte über ihr Wirken einzureichen. Wenn diese als unzureichend eingestuft werden, kann die Mitgliedschaft beim Global Compact enden – was wiederum zu Reputationsschaden führen kann. Es geht aber nicht nur um negative Folgen – verantwortungsvolles Handeln sollte durch die Medienberichterstattung und die Finanzmärkte auch honoriert werden. Dies wird heute zu einem gewissen Teil schon durch “ethical investmentfonds” oder durch Aktionärsgruppen, die Druck ausüben, getan.

Schließlich muss sich auch jeder Einzelne seiner Verantwortung als Konsument oder Anleger bewusst sein. Momentan sind nur knapp 20% der Bevölkerung bereit, mehr für Produkte zu zahlen, wenn sie wissen, dass dadurch die menschenrechtlichen und andere Verantwortungs-Standards angemessen erfüllt werden. Durch aktives Wirken von NGOs können Labels geschaffen werden, welche Verbraucher in die Lage versetzen würden, validierte ethische Entscheidungen treffen zu können. Auch Verbraucher sind in der Pflicht, sich zu informieren, wie die Unternehmen, deren Produkte sie kaufen, produzieren. Gute Unternehmen teilen diese Informationen bereitwillig auf ihren Websites. Prof. Leisinger sieht jedoch auch, dass viele Menschen leider nach dem Prinzip: “they do not walk as they talk”, leben. Verbraucher demonstrieren vor Unternehmen wie KiK gegen die schlechten Menschenrechtsstandards, kaufen dann aber dennoch die Jeans für unter 10 Euro. Bei “hippen” Unternehmen wie Apple scheint die Verantwortung der Verbraucher sogar noch schlechter zu wirken, da das Unternehmen zu “sexy” ist und man die schlechten Produktionsbedingungen ausblendet.

Im Endeffekt bleibt der Schutz von wirtschaftlichen, sozial-gesellschaftlichen und ökologischen Menschenrechten eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der sowohl Konsumenten als auch Unternehmen und die Regierungen in die Pflicht genommen werden müssen, um im größeren Stil erfolgreich zu sein. Es ist eine generelle, umfassende Verantwortung für alle Menschen guten Willens und jeder kann in seiner Einflusssphäre etwas bewirken.

 

Fussnote

[1]     Was natürlich auch auf alle anderen Dimensionen unternehmerischer Verantwortung zutrifft, siehe dazu Leisinger K.: Integrität im geschäftlichen Handeln. Basel (Reinhardt) 2020;

 

Der Autor

Daniel Baumann

Daniel Baumann ist seit Juli 2021 beim Deutschen Netzwerk Wirtschaftsethik – EBEN Deutschland e.V. (DNWE) als Projekt-Praktikant tätig.

Nach seinem Abitur am Hardenberg-Gymnasium in Fürth 2016, machte er ein Bachelor-Studium in Politikwissenschaften an der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg. Hierbei legte er einen Fokus auf internationale Beziehungen und internationale Organisationen. Im Zuge seines Grundstudiums absolvierte Daniel Baumann ein Praktikum bei der Vertretung des Freistaates Bayern bei der Europäischen Union in Brüssel und bei der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung von Sexuellem Kindesmissbrauch der Bundesregierung in Berlin. Im Oktober 2020 begann er nun seinen Master in internationaler Verwaltung und Konfliktmanagement am Exzellenzschwerpunkt der Universität Konstanz.

Beim DNWE begleitet er die Vorbereitungen für eine Konferenz zu “Global-Health-Ethics” am Beispiel der Arzneimittelversorgung und unterstützt bei der Vorbereitung und Durchführung von Experten-Interviews.

 

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