Das Monitoring über die Umsetzung des Nationalen Aktionsplans für Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) hat das erwartete Ergebnis gebracht: Weniger als 50 Prozent der in Deutschland ansässigen Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten halten die im Aktionsplan beschriebenen Elemente menschenrechtlicher Sorgfalt ein. Also kommt jetzt ein deutsches Lieferkettengesetz. Warum das Quorum nicht erreicht wurde, dass vielfach erst der Fragebogen die im NAP beschriebenen Anforderungen in eine operationalisierbare Form gebracht hat, dass Nichterfüllung bereits bei der Nicht- oder nicht korrekten Beantwortung einer Frage gegeben war – geschenkt. Man hätte sich diese Farce sparen können. Dabei wäre ein Soft Law-Instrument wie der NAP, richtig ausformuliert und weiterentwickelt, ein guter Ansatz gewesen, um dem von der Bundesregierung formulierten Ziel eines gemeinsamen internationalen Verständnisses unternehmerischer Verantwortung näher zu kommen, und dabei auch den Herausforderungen und Komplexitäten transnationaler Lieferketten gerecht zu werden. Dabei müssten, um internationale Akzeptanz zu erzielen, auch die Belange der Lieferkettenunternehmen und ihrer Heimatstaaten mit einbezogen werden.

Ein nationales Lieferkettengesetz ist nach Max Weber (“Politik als Beruf”) gesinnungsethisch einwandfrei motiviert: “Der Christ tut recht und stellt den Erfolg Gott anheim”. Allerdings sah Max Weber eine notwendige Ergänzung in der Verantwortungsethik, die formuliert, dass ein Politiker “für die (voraussehbaren) Folgen seines Handelns aufzukommen” hat. Diese beiden Elemente würden “zusammen erst den echten Menschen ausmachen”.

Viele “Folgen” für Unternehmen und Staaten in der Lieferkette sind “voraussehbar”, da Erfahrungen mit den Dilemmata von Lieferkettenunternehmen in Sandwichposition, mit der extraterritorialen Anwendung unterschiedlicher nationaler Vorgaben wie auch mit dem französischen Lieferkettengesetz des “loi de vigilance” vorliegen. Schlaglichtartig seien nur drei Beispiele genannt:

 

Probleme von Lieferkettengesetzen in der Praxis

Unternehmen in Sandwichposition, insbesondere in verschiedenen Wertschöpfungsketten wie typischerweise Kanzleien mit einer Vielzahl von Mandanten unterschiedlicher Industrien und verschiedener nationaler Provenienz, werden in die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht ihrer Auftraggeber und Auftragnehmer einbezogen. Es wird von “menschenrechtlichen (Mindest)standards” gesprochen, die eine einheitliche Vorgabe suggerieren. Tatsächlich sind “die Menschenrechte” programmatisch weit und konkretisierungsbedürftig und werden nicht nur von Gesetzgebern, sondern auch von Unternehmen unterschiedlich umgesetzt. Dies führt dazu, dass das Unternehmen in Sandwichposition unterschiedlichen Anforderungen ausgesetzt ist. Nationale Sorgfaltspflichtgesetze verstärken dieses Dilemma.

Unternehmen, die für andere in Frankreich ansässige Unternehmen arbeiten (wollen), machen folgende Erfahrung: die französischen Unternehmen entledigen sich ihrer Sorgfaltspflicht, indem sie prospektiven Zulieferern und Dienstleistern mitteilen, dass sie (auf eigene Kosten) bei einem bestimmten Consultingunternehmen eine Due Diligence Prüfung absolvieren müssen. Das Consultingunternehmen diktiert nicht nur den Preis, sondern auch die Vertragskonditionen. Der umfangreiche Due Diligence-Fragebogen passt beispielsweise für eine Kanzlei nur begrenzt, ist aber nicht verhandelbar. Werden Informationen nicht geliefert, kommt die Sanktion über einen schlechten Score. Die Due Diligence-Fragebögen sind nicht standardisiert. Die Frage eines Interessenkonflikts wird nicht gestellt. Rechtsschutz dagegen gibt es nicht. Dass kleine und mittlere Unternehmen diesen Aufwand kaum werden leisten können, liegt auf der Hand.

Nach dem Rana Plaza Unglück in Bangladesh gründeten europäische Unternehmen den Zusammenschluss “Accord” und nordamerikanische Unternehmen “Alliance”, um ihre jeweiligen menschenrechtlichen Heimatstandards hinsichtlich Gebäudesicherheit bei Zulieferunternehmen in Bangladesh durchzusetzen. Die Standards waren zum einen nicht identisch, was den Zulieferern, die für mehrere Unternehmen arbeiteten, Compliance-Probleme bereitete. Zum anderen protestierte die Regierung Bangladeshs und untersagte die Tätigkeit von Accord, weil sie dieses Vorgehen als einen Eingriff in ihre Souveränität ansah. Es ging nicht nur darum, dass punktuell fremde Standards auf eigenem Terrain durchgesetzt wurden, sondern dass die hohen westlichen Standards zur Schließung von Betrieben und zur Verteuerung der Produkte führten und damit die Konkurrenzfähigkeit Bangladeshs gegenüber Kambodscha und Laos gefährdeten.

 

Eine Folgenbetrachtung ist notwendig

Es wäre wünschenswert, die durch “hartes” Recht mit extraterritorialem Wirkungsanspruch hervorgerufenen Friktionen in der Lieferkette wenigstens durch eine für alle europäischen Unternehmen einheitliche Regelung auf EU-Ebene zu reduzieren, die mit der Corporate Social Responsibility (CSR)-Reporting-Richtlinie abgestimmt ist. Zudem wünscht man sich “echte Menschen” als Politiker, die nicht nur ihren moralischen Impetus im Blick haben, sondern auch die vielfältigen Konsequenzen und Implikationen für Lieferkettenunternehmen und -staaten in einer umfassenden Folgenbetrachtung eruieren und in der Regulierung berücksichtigen. CSR Soft Law verliert damit nicht seine Bedeutung. Es wird weiter die Selbstregulierung multinationaler Unternehmen und ihrer Lieferketten maßgeblich leiten

 

 

HINWEIS: Der Beitrag wurde zuerst veröffentlicht in F.A.Z. Einspruch! 

 

Die Autorin

Dr. Birgit Spiesshofer

Dr. Birgit Spiesshofer M.C.J. (NYU) ist Rechtsanwältin bei der internationalen Kanzlei Dentons und Privatdozentin an der Universität Bremen. Sie berät, forscht, publiziert und lehrt im Bereich Internationales Wirtschaftsrecht und Unternehmensethik, Compliance, Nachhaltigkeit und CSR. Sie ist u.a. Autorin des Grundlagenwerks „Unternehmerische Verantwortung. Zur Entstehung einer globalen Wirtschaftsordnung“ (engl Ausgabe.: „Responsible Enterprise“). Sie ist Vorsitzende des Ausschusses „Compliance und CSR“ des Deutschen Anwaltverein und war Chair u.a. der CSR-Committees der International Bar Association und des Council of Bars and Law Societies of Europe. Sie ist u.a. Mitglied von gaemogroup – Corporate Responsibility International und der CSR and Anti-Corruption Commission sowie der Energy and Environment Commission der International Chamber of Commerce. Von 1995 bis 2010 war sie Partnerin der Kanzlei Hengeler Mueller.

 

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