Interview mit Timothy C. Vincent

 

Herr Vincent, bei Kleinstunternehmen und Handwerk denken viele stärker an regionale Verankerung als an Globalisierung und Menschenrechte. Ein Fehler?

Dieser Gedanke ist im ersten Ansatz sicher richtig und trägt zu dem Bild bei, was landläufig vom Handwerk und den Kleinstunternehmen gemacht wird. Aber es ist bestimmt ein Fehler, von den Kleinstunternehmen und dem Handwerk ein anderes unternehmerisches Verhalten zu erwarten, als andere Branchen an den Tag legen. Die wirtschaftlichen Verflechtungen durch die Globalisierung sind so vielfältig, dass der regionale Markt ohne die globalen Warenströme und Wertschöpfungsketten nicht mehr zu denken ist. In dieser regionalen Verankerung sind demnach auch die Externalisierungsstrukturen eines globalisierten Marktes impliziert: Das Wissen um die günstigsten Hersteller, die billigsten Arbeitskräfte, die laxesten Umweltbestimmungen, die korruptesten Gesellschaftsstrukturen und Verwaltungs- und Steuerungshierarchien sind hier entscheidend.

Sei es Naturstein, Nahrungsmittel, auch sogenannte Bionahrungsmittel und so weiter. Es gibt mittlerweile kein Produkt, was als Importware nicht günstiger zu erwerben wäre. Selbst Produkte, bei denen eine regionale Fertigung angenommen wird, weil sie zum Beispiel aus regionalem Gestein sind, können Re-Importe sein. Europäische Natursteine werden zum Beispiel teilweise nach Fernost exportiert und als Fertigprodukt wieder importiert. Ökonomische Verflechtungen, auch globale, sind nur gut, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, das heißt dass der Umgang zum Beispiel von Fairness und gegenseitiger Anerkennung geprägt ist. Mit den Importen aus Billiglohnländern und der Öffnung der Märkte für Produkte aus aller Welt, ist die Weltwirtschaft längst in eine moralische Krise geraten, für die ökonomische Deutungen allein nicht mehr ausreichen.

 

Wie setzen Sie Unternehmensverantwortung in Ihrem Handwerksbetrieb um?

Für meinen Betrieb, die Steinbildhauerei Vincent, habe ich Leitprinzipien formuliert, die auch die des Vereines Handwerk mit Verantwortung e. V. sind. Ich beziehe die Natursteine hauptsächlich aus Deutschland und teilweise aus dem europäischen Wirtschaftsraum von ausgesuchten Händlern, mit denen ich durch die lange Zusammenarbeit Vertrauensstrukturen aufgebaut habe. Des Weiteren werden alte Grabsteine zu neuen Gestaltungen recycelt. Ich verkaufe keine Importware aus Fernost, denn es gibt keine Lieferketten, die Menschenrechtsverletzungen verlässlich ausschließen. Hinzu kommt, dass der Transport eine ökologische Katastrophe ist, deren Auswirkungen kaum absehbar, geschweige denn beherrschbar sind. Dies gilt nebenbei bemerkt nicht nur für den Transport von Natursteinen.

Die Anforderungen und Qualitätsansprüche meinerseits an das Material sind den Händlern bekannt und werden bei der Lieferung entsprechend berücksichtigt. Das Werkzeug beziehe ich aus Frankreich von der Firma Guillet (DIN ISO 14001 zertifiziert), die seit 1638 Steinmetzwerkzeug herstellt. Die Presslufthämmer werden in Wuppertal gefertigt. Weitere Betriebsstoffe und Elektrowerkzeuge kaufe ich bei einem ortsansässigen Händler, der zugleich Fördermitglied im Verein Handwerk mit Verantwortung e. V. ist. Neben Graniten aus Skandinavien und Spanien verarbeite ich zum größten Teil regionale Gesteine und bearbeite diese handwerklich. Elektrowerkzeuge werden mit 100 Prozent Grünstrom angetrieben. Ich biete Praktikumsplätze an und bilde laufend aus. Als erster Steinmetz in Deutschland habe ich 2015 den DNK-Entsprechensreport verfasst.

 

Gab es für Sie eine “Initialzündung”, um die Dinge zugunsten der Nachhaltigkeit anders anzugehen?

Rückblickend würde ich die Tätigkeit in einem Sandsteinbruch als Initialzündung betrachten. Nach der Lehre zum Feinmechaniker und dem Ingenieursstudium an der Fachhochschule Dortmund habe ich dort fünf Jahre als Faktotum gearbeitet. Der Steinbruch ist ein Arbeitsplatz, der sich jeden Tag mit dem Licht und Stand der Sonne ändert. Die Dimensionen verschieben sich durch den Abbau und das Umgestalten der Arbeitsflächen fortlaufend. Der Naturstein erfordert einen sorgsamen Umgang und wird mit Bedacht und Sorgfalt aus der Wand gesprengt, um möglichst große und unbeschädigte Werksteine zu bekommen.

Die Weiterverarbeitung dieser schweren Massen mit schwerem Gerät war immer beeindruckend. Je weiter der Produktionsgang zum Endprodukt war, desto “leichter” wurden die Werkzeuge und der Mensch als Bearbeiter kam ins Spiel. Wo im Groben Sprengstoff, Raupenbagger, Presslufthammer und Keile die Arbeit verrichtet haben, kamen danach Seil- und Blocksägen und dann der Steinmetz mit Fäustel, Spreng- und Schlageisen zum Einsatz. Vom Groben zum Feinen und alles wurde verarbeitet. Es gab keinen “Abfall”, denn noch der kleinste Stein, der durch die verschiedenen Bearbeitungen anfiel, wurde gesiebt, hatte eine definierte Korngröße und wurde als Splitt angeboten. Diese Unmittelbarkeit des zu benutzenden Materials ohne lange Lieferwege, die Möglichkeiten der Bearbeitung, vereint an einem Ort, die Wirkungen und Ruhe des handwerklichen Tuns waren eine grundlegende und für mich zukunftsweisende Erfahrung.

 

Mit dem Verein “Handwerk mit Verantwortung” gehen Sie einen weiten Schritt über Ihr eigenes Unternehmen hinaus: Wohin geht die Reise und wer kommt mit?

Das Wissen eines Handwerks ist immer Wissen um eine Kulturtechnik, die uns als Gesellschaft dahin gebracht hat, wo wir stehen. Es ist das Fundament unseres Wissensstandes. Dieses Fundament gilt es zu bewahren, denn ich bin der Meinung, dass in der nächsten Zeit wieder darauf zurückgegriffen werden muss. Das neue Denken im Handwerk ist nicht die industriefreundliche “Durchdigitalisierung” der Gewerke, die den Handwerker zum “Smartwerker” macht, sondern die Rückbesinnung auf die solidarisierenden Impulse und dem gemeinschaftsstiftenden und gesellschaftsformenden Impetus von Menschen, die ihr Handwerk verstehen und diese Kulturtechniken beherrschen.

In der “short distance economy”, der Wirtschaft der kurzen Strecken, gegenüber der “long distance economy”, der globalisierten Liefer- und Warenströme, wird es, um die Städte lebenswerter, bewohnbarer und kulturell diverser zu machen, immer mehr darum gehen, dass Stadtteile, Kieze und Quartiere ihre handwerkliche Kernversorgung haben.

Die kurzen Wege der lokalen und regionalen Binnenversorgung werden dazu beitragen, dass die Urbanisierung gelingt. Dazu gehört eine lebbare, der Anonymität entgegentretende Sozialität mit Herausbildung und Konsolidierung von resilienten Subsidiaritätsclustern nach dem Motto: “Jedem Quartier seine Handwerker”.

Handwerk bietet eine der besten Möglichkeiten durch die Unmittelbarkeit des Tuns mit handwerklichen Fähigkeiten als Mensch mit anderen Menschen auf verschiedensten Gebieten – Werkstatt, Schule, Universität, Kindergarten und so weiter – zu interagieren und damit im Gesellschaftsleben eine fundierende Stellung zu erhalten, die auf schöpferisch-werktätiger Ebene der der schöpferisch-geistigen Arbeit gleichkommt.

Der Verein möchte dazu beitragen, dass es gelingt, das verantwortliche Bewusstsein im Handwerk, das heißt Transparenz der Wertschöpfungsketten, Unterstützung regionaler Anbieter und Produzenten, faire Produktionsbedingungen, regionale Fertigung, allen voran Förderung von Kooperationen und der Erhalt und Vermittlung der gewerkstypischen Kerntätigkeiten und so weiter zu stärken und zu fördern. Wir wollen uns dafür einsetzen, dass der Nachweis des Nachhaltigen Engagements und einer verantwortungsvollen Betriebsführung durch das Verfassen von nichtfinanziellen Bilanzen – zum Beispiel DNK-Entsprechensreport oder GWÖ-Bilanz – zu Steuererleichterungen, verbesserte Kreditvergabe, milderes Rating, Abgaben- und Gebührenverringerung führt, sowie zur Erleichterung der Gründung von Handwerksbetrieben in den Städten und Förderung von Neuansiedelungen beiträgt. Damit die Lebensqualität insgesamt in den Ballungsräumen und ländlichen Bereichen steigt und sinngebende und sinnvolle Arbeitsplätze entstehen. Dazu muss Arbeit aus der diffamierenden und desintegrierenden Betrachtung der “work-life-balance” heraus und wieder zu einer menschengemäßen Aneignung von Umwelt- und Selbsterfahrung und -vermittlung definiert wird.

Der Verein Handwerk mit Verantwortung e. V. ist aus einer von mir 2014 ins Leben gerufene Initiative entstanden. Um Handwerker zu unterstützen und zu fördern, die dem Kunden ein verlässliches Produkt verkaufen möchten, ohne dass die Kunden hinterfragen müssen, ob das Zertifikat seriös ist oder alle Kernarbeitsnormen abdeckt, ob die ökologischen Risiken berücksichtigt werden usw. Der verantwortlich wirtschaftende Unternehmer hat keinen Erziehungsauftrag gegenüber seinen Kunden. Er hat nicht den zweifelhaften Auftrag, das Verhalten anderer Unternehmer zu beklagen und schlecht zu machen, er ist nicht dazu da, das zu tun, was alle tun. Sein wirtschaftliches Verhalten wird er immer nur sich selbst und den nachfolgenden Generationen gegenüber zu rechtfertigen haben. Es hängt mit der Beantwortung der Frage zusammen: War dein Wohlstand fair?

 

Können Handwerk und Kleinstunternehmen auch den “Großen” was lehren?

Bei rund 1.000.000 Betrieben, 5,45 Millionen arbeitenden Menschen und einem erreichten Umsatz von 561 Milliarden Euro im Jahr 2016 stellt sich hier nicht die Frage nach klein und groß oder wer wem etwas lehren kann. Der Markt der Zukunft wird ein nachhaltiger sein. Cradle-to-cradle, Recycling, Reparatur, Tausch und Leihen wird immer wichtiger werden. Die Kreislaufwirtschaft wird die lineare Wirtschaft ablösen und den Konsumenten aus der Klammer von Produktion und Mülleimer befreien. Kooperation ist das Schlagwort der Zukunft im ökonomischen Handeln und Achtsamkeit im Umgang mit Mit- und Umwelt.

Das Thema CSR (Coporate Social Responsibility) wird in Zukunft immer wichtiger und bietet die Möglichkeit aufzuspringen auf einen sich immer schneller bewegenden Zug in Richtung Nachhaltiges Wirtschaften mit einem nachhaltigen Bewusstsein. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass Verlässlichkeit und Reliabilität, Glaubwürdigkeit und Redlichkeit nicht mit dem bloßen Dahersagen der gängigen Schlagworte zu haben sein wird.

Nachhaltiges Wirtschaften ist keine Kann-Möglichkeit des unternehmerischen Handelns sondern eine Soll-Forderung in der Zeit des menschengemachten Klimawandels und der Externalisierung von Umweltrisiken und fragwürdigen Produktionsbedingungen.

Gesetzliche Bestimmungen stellen in der Regel nur die Mindestanforderung des überhaupt Möglichen dar. Wer sich hiermit zufrieden gibt, vertritt die Haltung eines Erfüllungsgehilfen übergeordneter Normierungen und Regularien und wiegt sich und andere in Sicherheit, alles gemacht zu haben, was man machen kann. Allein das Wissen um die Namen der handelsüblichen Zertifikate und das In-Aussicht-stellen von verantwortungsvollen Handeln, welches am liebsten und nach Möglichkeit in der Regel durch nicht Tolerieren von langen Transportwegen und der sonst üblichen Phrasen dem Kunden gegenüber vertreten wird, reicht nicht mehr aus.

Der für die Anwendung von CSR benötigte Sachverstand muss mit einer moralische Haltung einhergehen, denn der Kunde wird sich zwischen den Unternehmern entscheiden, denen im Zweifelsfall die Gewinnerzielung gegenüber den moralischen Maximen zweitrangig ist und denen, für die die Gewinnerzielung vorrangig ist.

Ich sehe die Kleinstunternehmen und das Handwerk als wesentlich flexibler an, den CSR-Ansatz im unternehmerischen Handeln zu implementieren, sich den Herausforderungen des kommenden Marktes zu stellen und damit nachhaltiges Wirtschaften zügiger zukunftsorientiert umzusetzen.

 

Dankeschön, Herr Vincent!

Das Interview führte Wolfgang Keck

 

Timothy C. Vincent

Jahrgang 1966, geboren in UK ist Feinmechaniker, Diplomingenieur (FH) für Werkstofftechnik, Schwerpunkt Oberflächentechnik/Korrosion, Steinbildhauer und Gestalter im Handwerk, seit 2003 selbständig in Wetter/Ruhr (www.steinbildhauerei-vincent.de). Beschäftigung mit zukunftsweisenden Bestattungskonzepten (www.ewigkeitsbrunnen.de), (www.im-andenkenverbleiben.de), mit dem Recycling von Grabmalen (www.recycling-grabstein.de) und der Zukunft des Handwerkes auf dem Weg zum nachhaltigen Wirtschaften (www.handwerk-mitverantwortung.de).

Natursteine sind der Grundstoff aus denen er handwerkliche und exklusiv nach eigenen Entwürfen oder in gemeinschaftlicher Erarbeitung mit den Hinterbliebenen Unikate in hochwertiger Qualität schafft. Vincent hat sich mit seiner Arbeit ganz bewusst auf eine Gratwanderung begeben, nämlich einerseits handwerklich- künstlerisch-angewandt zu arbeiten, also einen Betrieb zu führen mit all seinen Vorzügen, Zwängen und Nachteilen. Andererseits, abgehoben von reiner Handwerklichkeit, freikünstlerisch zu denken und zu wirken.

E-mail: info@handwerk-mit-verantwortung.de

 

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