Eine globale Pandemie stellt Unternehmen sowie die Gesamtwirtschaft momentan vor ungeahnte Herausforderungen und erschwert sowohl das Tagesgeschäft als auch eine strategische Planung. Uns interessiert dabei die folgende Fragestellung: Wie verändert sich in diesen Zeiten der Unsicherheit die Bedeutung von Verantwortung und CSR in Unternehmen? Zu diesem Thema haben wir “5 Fragen an…” Dr. Dina Barbian.

 

(1) Was machen Sie zurzeit beruflich? Welche Themen, mit denen Sie sich beschäftigen, sehen Sie besonders von der Pandemie betroffen?

Dr. Dina Barbian: Ich leite das Institut für Nachhaltigkeit in Nürnberg. Dieses ist aus dem Gedanken heraus entstanden, dass wir alle eine Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen haben und damit auch gegenüber unserer Umwelt. Kerngeschäft ist das Schreiben von Nachhaltigkeitsberichten, Ökobilanzierungen und FSC-Zertifizierungen. 

Ich bin Diplom-Wirtschaftsingenieurin und habe in Nachhaltigkeitsökonomie meine Doktorarbeit geschrieben. Ich halte Vorlesungen zu den Themen “Nationale Nachhaltigkeitsstrategien”, “Digitalisierung & Nachhaltigkeit” und “Supply Chain Management”.

Die Forschung am Institut für Nachhaltigkeit umfasst u.a. nachhaltige Digitalisierung, technologische Nachhaltigkeit, Nationale Nachhaltigkeitsstrategien, Kreislaufwirtschaft, Resilienzforschung, Cyber-physikalische Systeme. 

Die Pandemie hat die beiden Disziplinen Digitalisierung und Nachhaltigkeit sehr stark in den Fokus gestellt. Derzeit erfahren Unternehmen in Deutschland gerade im Bereich Automatisierung, Robotik, Softwaretechnik etc. einen Aufschwung. Leider sind die Fortschritte der Digitalisierung noch nicht überall sichtbar, z. B. in Schulen und öffentlichen Einrichtungen.

Auch schon vor der Pandemie war dezentrales Arbeiten durch Home-Office, z. B. für Menschen mit Kindern, oder hybrides Arbeiten am Institut möglich. Wir hatten uns schon vorher als Team über Skype ausgetauscht. Durch die Pandemie haben sich die technischen Möglichkeiten durch das Angebot an neuen Video-Konferenz-Plattformen verbessert. Wir nutzen cloudbasierte Wissens- und Dokumentenmanagement-Plattformen. Unsere Daten sind hier sicher und Datenschutz-konform auf einem regionalen Server der Fa. Nextcloud gespeichert. Alle Mitarbeitenden des Instituts haben je nach Projektzugehörigkeit Zugang zu entsprechenden Dateien. Seit Beginn der Pandemie haben wir einen virtuellen wöchentlichen Jour fixe, den wir über ein digitales Videokonferenz-Tool durchführen. Es muss nicht jeder ins Büro kommen und damit spart man Zeit und belastet auch nicht die Umwelt. Man sieht, dass vieles (wenn auch nicht alles) ohne persönlichen Kontakt möglich ist.

 

(2) Wie änderte sich in den Zeiten der Pandemie, Ihrer Einschätzung nach, die Bedeutung von Unternehmensverantwortung und CSR?

Dr. Dina Barbian: Ich habe das Gefühl, dass die Menschen sich mehr um Unternehmensverantwortung und CSR kümmern. Im Allgemeinen steigt das Interesse in den Unternehmen an diesen Themen. Gerade in Zeiten der Pandemie ging es darum, seinen Mitarbeitenden zu vertrauen. Natürlich ist es wichtig, dass alle Menschen in einem Unternehmen auch gezielte und für sie richtige Aufgabenstellungen erhalten, aber es ist auch wichtig, ihnen die Freiheit zur eigenständigen Durchführung zu geben. Diese Freiheit beim Abarbeiten von Aufgaben erhöht außerdem die Motivation an der Arbeit und die stärkere Identifikation mit dem Unternehmen, was eine gute Basis für das Einbringen neuer kreativer Ideen ist.

Vor allem Themen rund um Gesundheit haben durch die Pandemie noch stärker als bisher an Wichtigkeit gewonnen. Viele Unternehmen investieren bereits in gezielte Gesundheitskurse für die Belegschaft, aber auch der Klimaschutz spielt eine zentrale Rolle in den Unternehmen. Einige sind bereits bemüht, Dekarbonisierungsstrategien umzusetzen. Hierzu wird ebenfalls die Informations- und Kommunikationstechnik gebraucht. Viele sind aber noch nicht sicher, welchen Weg diese beschreiten sollen. Dies ist aber auch der allgemeinen Unsicherheit beim Thema Klimaschutz und Nachhaltigkeit geschuldet.

 

(3) Wie hat die Pandemie aus Ihrer Sicht zu einer Verschiebung der gesellschaftlichen Priorisierung von Nachhaltigkeitsthemen beigetragen?

Dr. Dina Barbian: Die Pandemie hat uns gezeigt, wie wichtig unsere Gesundheit ist. Damit ist unser Wohlbefinden in den Mittelpunkt gestellt worden. Das Nachhaltigkeitsziel Nr. 3 der Vereinten Nationen fokussiert auf Gesundheit und Wohlbefinden. Es wird auch gezeigt, dass der Mensch mit allen seinen Bedürfnissen in der Nachhaltigkeit im Mittelpunkt steht. Der sechste Kondratieff, der bereits seit 2005 begonnen hat, stellt ebenfalls die Gesundheit und damit verbundene Technologien in den Fokus. Dieses ist das Zeitalter der Biotechnologie. Wir werden noch stärker als bisher Technologien zur Unterstützung und Entlastung des Menschen einsetzen. Dies hat bereits durch die Nutzung von Exoskeletten und Datenbrillen begonnen. Exoskelette wurden bisher eher im medizinischen Bereich eingesetzt, finden aber immer mehr auch im industriellen Bereich eine Anwendung. Gerade Datenbrillen erleichtern dem Kommissionier bzw. der Kommissionierin die Suche nach einem Gut im Lager.

In Zeiten der Pandemie ist nicht nur die physische Gesundheit wichtig, sondern auch die psychische Gesundheit. Unternehmen, die dies erkannt haben, binden ihre Mitarbeitenden stärker an das Unternehmen und beugen so Fluktuation und einem Fachkräftemangel vor. Menschen, die im Mittelpunkt stehen und deren Bedürfnis nach Wohlbefinden nachgegangen wird, identifizieren sich mehr mit dem Unternehmen, für das sie arbeiten.

 

(4) Weiter geht es mit einer Grundsatzfrage: Denken Sie, dass die Corona-Krise einen Anstoß zur Diskussion einer grundsätzlichen Neukonzeption der Art, wie wir zukünftig wirtschaften möchten, darstellt?

Dr. Dina Barbian: Vieles wird auch ohne persönlichen Kontakt möglich sein. Wir werden noch stärker als bisher automatisieren, gerade im Gesundheitsbereich, in Kliniken und Pflegeeinrichtungen, weil dort der Fachkräftemangel bereits an der Tagesordnung ist und sich in der Zukunft noch verschärfen wird.

Deutschland als rohstoffarmes Land sollte darüber hinaus mehr in Kreislaufwirtschaftsabläufen denken und wieder die Regionen in den Fokus stellen, auch und gerade, wenn wir über das Thema “Industrie 4.0” reden. Diese Begrifflichkeit und die Umsetzung begann schon im Jahr 2011. Durch vernetzte Maschinen und kontinuierliche Verbesserungen in Echtzeit sollen Abläufe noch effizienter gestaltet werden. Synonyme sind “Smart Factory” und “Digital Factory”, jedoch wird immer nur von der Produktion in eigenen Produktionsstätten gesprochen. “Industrie 4.0” bedeutet aber mehr als das. Zukünftig werden die Regionen auch für die industrielle Produktion interessant, denn aus Nachhaltigkeitsgründen ist es wichtig, dass eine verteilte flexible Produktion existiert, die die Güter dort produziert, wo die Nachfrage ist. Dies gelingt durch kleine flexible Einheiten, die auch in Wohngebieten realisierbar wären. Hier sind auch neue Konzepte wie Job- und Machine-Sharing zu integrieren.

Im Idealfall erfolgt eine Verschmelzung mit einer Smart City, wo smarte Fabriken mit nachhaltigen Strukturen und andere städtische Dienstleistungen zur Versorgung der Bevölkerung miteinander im Einklang sind.

 

(5) Stichwort “The New Normal”: Welche aus der Pandemie entstandenen Potentiale sollten künftig beibehalten werden und was wünschen Sie sich aus der Zeit vor der Krise zurück?

Dr. Dina Barbian: Auf jeden Fall sollten digitale Video-Konferenz-Plattformen beibehalten werden. Bei Veranstaltungen sind hybride Formate (Präsenz und virtuell) von Vorteil, damit auch Menschen von weiter gelegenen Regionen die Möglichkeit an einer Teilnahme haben.

Die Digitalisierung hat gezeigt, dass auch in Pandemie-Zeiten das Leben weitergeht, privat und beruflich. Wichtig ist aber auch für die Entwicklung zukünftiger Ideen, dass sich die Menschen persönlich austauschen können. Ich vermisse ein wenig die direkte soziale Interaktion auf Veranstaltungen und ein gemeinsames Essen, um sich auszutauschen und zu vernetzen. Ich freue mich auch wieder auf große internationale Messen, wo sich die Welt trifft und man voneinander lernen kann.

 

Unternehmensverantwortung und CSR in der Krise – 5 Fragen an… ist eine Interviewreihe zum Thema Wirtschaftsethik in Krisenzeiten. Sie zeichnet sich besonders durch die Pluralität unserer Expert_innen aus. Die gesamte Reihe veröffentlichen wir fortlaufend im Dossier.

 

 

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