Eine globale Pandemie stellt Unternehmen sowie die Gesamtwirtschaft momentan vor ungeahnte Herausforderungen und erschwert sowohl das Tagesgeschäft als auch eine strategische Planung. Uns interessiert dabei die folgende Fragestellung: Wie verändert sich in diesen Zeiten der Unsicherheit die Bedeutung von Verantwortung und CSR in Unternehmen? Zu diesem Thema haben wir “5 Fragen an…” Dr. Saskia Dörr.
(1) Was machen Sie zurzeit beruflich? Welche Themen, mit denen Sie sich beschäftigen, sehen Sie besonders von der Pandemie betroffen?
Dr. Saskia Dörr: Ich bin als Managementberaterin mit dem Fokus Corporate Digital Responsibility, der digitalen Unternehmensverantwortung, tätig. Unter CDR verstehen wir das Bündel aus Verhaltensweisen und Praktiken, die ein Unternehmen dabei unterstützen, Daten und digitale Technologien auf eine Weise einzusetzen, die als gesellschaftlich, ökologisch und ökonomisch verantwortlich wahrgenommen wird. Sie entwickelt sich aus der CSR heraus. Mit der Pandemie ist die Nutzung, die gesellschaftliche Kompetenz sowie die Wahrnehmung von Digitalisierung sprunghaft gestiegen. Damit gewann auch die Frage, welchen Beitrag sie für die Menschen, die Gemeinschaft und den Planeten leistet und welche “unerwünschten Nebenwirkungen” sie mitbringt, an Bedeutung. Unternehmen machen sich heute auf den Weg, um darauf Antworten zu finden und durch verantwortungsvolles Handeln Vertrauen zu ermöglichen. Ich freue mich, dass ich dabei unterstützen kann.
(2) Wie änderte sich in den Zeiten der Pandemie, Ihrer Einschätzung nach, die Bedeutung von Unternehmensverantwortung und CSR?
Dr. Saskia Dörr: Ich habe den Eindruck, dass sich heute die Frage des Beitrags von Unternehmen zum Gemeinwohl und zum Wohl des Planeten in Deutschland und der EU nachdrücklicher stellt als je zuvor.
Da sind neue Konzepte, wie die Donut-Ökonomie von Kate Raworth, die eine neue Perspektive auf ein Wirtschaften innerhalb der planetaren Grenzen aufzeigt, oder die Frage nach “True Sustainability”, d.h. welche Limitierungen sich Unternehmen selbst setzen. In der Zivilgesellschaft fordern mehr und mehr insbesondere Jüngere in der Fridays-for-Future-Bewegung eine Zukunftsperspektive auf einem übernutzten Planeten ein. Die Grünen sind als Gewinner aus der letzten Bundestagswahl hervor gegangen und Verbraucher:innen ist Klima- und Umweltfreundlichkeit von Produkten immer wichtiger. In den Unternehmen diskutieren wir den Corporate Purpose. Während es 2019 noch 13.000 Unternehmen im UN Global Compact waren, sind es 2021 bereits über 14.600. Durch die EU Corporate Sustainability Reporting Directive werden viermal mehr Unternehmen als heute – etwa 50.000 Unternehmen in der EU – ab 2024 berichtspflichtig. Und nicht zuletzt entscheiden sich Bewerber:innen häufiger für Arbeitgeber:innen, die sich verantwortlich zeigen.
Das alles zeigt: Das Unternehmensumfeld, die Anforderungen der Stakeholder ändern sich an vielen Stellen. Es handelt sich aus meiner Sicht, um eine Entwicklung der letzten Jahre. Möglicherweise spielen hier auch die Sichtbarkeit der Sustainable Development Goals als “Agenda 2030” eine Rolle: Über 50 % der EU-Bürger:innen kennen sie und haben die Ziellinie vor Augen.
(3) Wie hat die Pandemie aus Ihrer Sicht zu einer Verschiebung der gesellschaftlichen Priorisierung von Nachhaltigkeitsthemen beigetragen?
Dr. Saskia Dörr: Mit globalem Blick ist vor allem wichtig festzuhalten: Die Covid19-Pandemie ist ein Rückschlag für die nachhaltige Entwicklung. Die Pandemie hat alle Dimensionen der Nachhaltigkeit – ökologisch, ökonomisch, sozial – negativ beeinflusst. Die Rettung von Leben durch die Gesundheitsversorgung sowie durch Lockdowns war und ist mit hohen Kosten und wirtschaftlichen Wohlstandseinbrüchen verbunden. Gesundheitsversorgung sowie Digitalisierung, d.h. Infrastruktur, Zugang, Nutzungskompetenz, sind international Kernthemen geworden. Steuerliche Vergünstigungen in vielen Ökonomien können dazu genutzt werden, eine grünere und digitalere Wirtschaft aufzubauen. Aber es braucht verstärkte Anstrengungen, um die Agenda 2030 einzuhalten.
Davon ist aber bisher wenig in der “deutschen Diskussion” angekommen. Aus meiner Sicht bestimmt ganz besonders das Erleben der Hitzesommer sowie in diesem Jahr die Flutkatastrophe an Ahr, Erft und weiteren Bundesgebieten mit den immensen ökonomischen Schäden die deutsche Diskussion. Man könnte dabei schon fast von einer “Klima-Kurzsichtigkeit” sprechen, d. h. andere Nachhaltigkeitsthemen geraten aus dem Blickfeld.
(4) Denken Sie, dass die Corona-Krise einen Anstoß zur Diskussion einer grundsätzlichen Neukonzeption der Art, wie wir zukünftig wirtschaften möchten, darstellt?
Dr. Saskia Dörr: Ich befürchte eher nicht. Effekte, wie die Reduktion der Treibhausgasemission durch die verminderte Mobilität, waren temporär. Die Stimmen, diese Chance für eine sozial-ökologische Transformation zu nutzen, waren da, aber trafen offenbar nicht bei einer Vielzahl auf Resonanz.
(5) Stichwort “The New Normal”: Welche aus der Pandemie entstandenen Potentiale sollten künftig beibehalten werden und was wünschen Sie sich aus der Zeit vor der Krise zurück?
Dr. Saskia Dörr: Viele von uns haben in der Pandemie erfahren: Soziale Kontakte, Business-Netzwerke und Geschäftsbeziehungen lassen sich auch virtuell aufbauen und pflegen. Für mich persönlich hat die Pandemie mein Netzwerk aus geschäftlichen Kontakten national und international enorm bereichert. Es ist nicht das Gleiche wie “im wahren Leben”: Videokonferenzen sind anstrengender als ein Meeting gemeinsam im Raum, Treffen sind oft mit weniger sozialer Entspannung verbunden – man denke nur an das gemeinsame Bier nach einer Konferenz oder an legendäre Messepartys. Aber dennoch sind persönliche Kontakte digital möglich. Dabei gewinne ich Zeit, die ich sonst hätte für die Reise aufbringen müssen, und bin insgesamt entspannter. Ich persönlich nehme mir sehr viel mehr Zeit für Sport. Das möchte ich gerne beibehalten. Und gleichzeitig ist für mich und viele andere der persönliche Austausch, die Dynamik einer Diskussion rund um einen Tisch enorm wertvoll geworden. Davon möchte ich auf jeden Fall wieder mehr!