Eine globale Pandemie stellt Unternehmen sowie die Gesamtwirtschaft momentan vor ungeahnte Herausforderungen und erschwert sowohl das Tagesgeschäft als auch eine strategische Planung. Uns interessiert dabei die folgende Fragestellung: Wie verändert sich in diesen Zeiten der Unsicherheit die Bedeutung von Verantwortung und CSR in Unternehmen? Zu diesem Thema haben wir “5 Fragen an…” Sebastian Weißgerber.

 

(1) Beginnen wir mit Ihrem professionellen Hintergrund. Was machen Sie zurzeit beruflich, wo engagieren Sie sich und inwiefern haben Sie einen Bezug zur Wirtschaftsethik? Wie ist Ihre Institution von der Pandemie betroffen?

Sebastian Weißgerber: Neben meiner Forschungstätigkeit arbeite ich bei der Sparkassenakademie Bayern. Wir bilden dort die Mitarbeiter der bayrischen Sparkassen in verschiedenen Bereichen aus. In meinem Fall weniger in der betriebswirtschaftlichen Perspektive, sondern vor allem im Bereich der Persönlichkeitskompetenz. Eine meiner Hauptaufgaben besteht darin das Förderprogramm High Potential zu betreuen und Agile Methoden in den Sparkassen voranzutreiben. Das Programm richtet sich an junge Nachwuchsführungskräfte, die über vier Jahre hinweg regelmäßig Schulungen erhalten, von persönlichen über sozialen bis hin zu ethischer Kompetenzen. Hier liegt auch mein intensivster Bezug zur Wirtschaftsethik. Die Nachwuchsführungskräfte sollen einen anderen Blick auf Wirtschaft bekommen, auf das was zwischen den Zeilen einer Bilanz steht. Dazu gehören Themen wie Macht und Moral in Unternehmen, aber auch die eigenen Werte, Zielsetzung im Kontext des eigenen Lebens und dem Purpose der Organisation reflektieren und steuern zu können. Corona hat uns herausgefordert, unsere Werte von Neugier und Lernen zu demonstrieren. Und in vielen Bereichen haben wir das erfolgreich getan durch ausprobieren neuer digitaler Unterrichtsmethoden.

 

(2) Weiter geht es mit einer Evaluation der Corona-Krise: Ist diese Krise Ihrer Meinung nach eine Krise wie jede andere oder was ist das Neue an ihr?

Sebastian Weißgerber: Ein klares Jein. Einerseits sind Pandemien mit sozialer Distanz und mit hoher Reichweite historisch nichts neues. Andererseits haben globale Vernetzung und Dynamiken es möglich gemacht, dass das Virus auch in potentiellen Mutationen schnell wandern kann. Neu an ihr ist, dass sich ein großer Teil des sozialen Lebens nun ins virtuelle verlagern lässt und dies schafft gleichzeitig Chancen wie Ungerechtigkeiten. Und damit meine ich nicht unterschiedliche Zugänge zu medizinischer Versorgung, sondern die unterschiedliche Verteilung von technischen Ressourcen und Know-How im Digitalen, vor allem im Bereich der Bildung, aber auch die Grenzen für viele Geschäftsmodelle in Kunst, Kultur, aber auch Gastronomie und Tourismus. Das neue an dieser Krise ist ihr universeller Legitimisierungscharakter für verschiedenste Forderungen, wie der Re-Regionalisierung von Lieferketten oder nach Investitionen in (digitale) Infrastruktur. Die Krise hat uns nicht zurück ins Mittelalter geworfen, aber sie fragt uns in aller Deutlichkeit an wie und wohin wich uns entwickeln wollen und das Entwicklung nicht einfach nur mehr vom Selben sein kann, da auch viele Provisorien wie Home Office sich zu positiven Aspekten entwickeln. Krisen sind Unterscheidungen und diese können immer zu einer Katharsis führen des Bisherigen.

 

(3) Nun interessiert uns, inwiefern Sie den Umgang und die Lastenverteilung der Pandemie- Herausforderung als gerecht empfinden. Inwiefern beurteilen Sie die Lastenverteilung zwischen verschiedenen Akteuren a) aus gesamtgesellschaftlicher / gesamtökonomischer Sicht und b) aus Ihrer aktuellen beruflichen / ehrenamtlichen Sicht als angemessen und fair verteilt?

Sebastian Weißgerber: Fairness impliziert ein Gleichgewicht zwischen sozialen und ökonomischen Interessen. Dementsprechend kann Gleichgewicht aus gesamtökonomischer Sicht nur gegeben sein über eine Umverteilung von wirtschaftlich renditefähigen Unternehmen hin zu Organisationen und Bereichen, die aus eigener Kraft keinen direkten wirtschaftlichen Mehrwert leisten können, aber nicht weniger für das Funktionieren einer Gesellschaft relevant sind wie Krankenhäuser, etc. Hier erteile ich auch allen Postwachstumstheorien eine Absage, die DIE Wirtschaft bestenfalls als Sekundärziel postulieren. Schließlich wäre die Konsequenz mangelnder Wirtschaftsförderung in der Krise eine weitere Kommerzialisierung sozialer Bereiche, die bereits jetzt schon fragwürdige Blüten treibt. Folglich ist es für mich sehr fraglich, wenn Firmen gestützt werden, wie die Automobilbranche, die weniger ein konjunkturelles Problem haben aufgrund der Pandemie, sondern die schon seit Jahren wichtige technische Entwicklungen verschlafen haben und deren Unternehmertum weniger von einer Vision der Zukunft angetrieben wurde als von einem Erhalt des status quo. Hier wäre es m.E. Nach fair diejenigen zu stützen, die Opfer der in (2) angeführten Rahmenbedingungen geworden sind, beziehungsweise Anreize zu setzen das eigene Geschäftsmodell wo es möglich ist optimalerweise unter Einzug sozial-ökologischer Kriterien innovativ zu gestalten.

 

(4) Weiter geht es mit einer Grundsatzfrage: Denken Sie, dass die Corona-Krise einen Anstoß zur Diskussion einer grundsätzlichen Neukonzeption der Art, wie wir zukünftig wirtschaften möchten, darstellt?

Sebastian Weißgerber: Nein, das denke ich nicht. Dies würde implizieren, dass an der aktuellen Art und Weise alles schlecht läuft. So hat sich in der Geschichte durchaus gezeigt, dass allen Auswüchsen zum Trotz die kapitalistische Wirtschaftsweise aktuell die einzige ist, die Wohlstand für eine breite Masse schaffen konnte.

Die Frage welche sich meiner Meinung nach stellen sollte für die Zukunft ist, woran messen wir den Wohlstand und wie sorgen wir für einen durchsetzbaren politischen Rahmen innerhalb dessen unternehmerischer Erfolg und Tatkraft belohnt wird insofern er zu einer Erhöhung des allgemeinen Wohlstands beziehungsweise des Gemeinwohl führt. Natürlich ist Wachstum wichtig, aber dieser nicht um jeden Preis bzw. jeder Höhe – hier zeigt sich die Nachhaltigkeit der Wirtschaft – und unter Einbezug auch außerökonomischer Faktoren, deren Wert nicht die Wirtschaft, sondern nur “die Gesellschaft” festlegen kann, als Ort der Moral. Auch wenn “die Gesellschaft” ein abstrakter Begriff ist und verschiedene Moralvorstellungen subsumiert, so lassen sich Grundlagen der Moral und Tendenzen ausmachen. Dass Verbraucher über Konsum ihre Moralvorstellungen verwirklichen, ist keine Neuheit, es muss ihnen aber zumindest die Basis für eine Entscheidung gegeben werden, daher ist die Verbindlichkeit von nachhaltigen Bilanzierungsstandards ein Schritt in die richtige Richtung. Dazu müssen aber auch Beharrungseffekte gemeistert werden, die sich erst um das Fressen und dann die Moral kümmern.

 

(5) Nun zur letzten Frage: Sehen Sie die Postwachstumsökonomie als eine Antwort auf die Corona- Krise oder vertrauen Sie auf die Vision eines ökologischen Wachstums als Weg aus der Krise?

Sebastian Weißgerber: Die meisten Postwachstumstheorien sehe ich nicht als Antwort, da jeder erfolgreiche Wandel eine Evolution und keine Revolution ist. Dazu sind mir die meisten solcher Theorien zu radikal und verkürzend für eine komplexe Realität, wie die Forderung nach Schrumpfung im Rahmen der Degrowthbewegung. So ist zum Beispiel der größte Faktor für Umweltverschmutzung immer noch Armut und Armut kann ich nur durch allgemeines Wirtschaftswachstum bekämpfen. Auch mit der Vision des ökologischen Wachstums habe ich meine Probleme, da wirtschaftliches Wachsen nicht nur die Entfaltung eines genetischen Programms ist, sondern komplexes soziales Geschehen. Soll heißen, dass es immer zu nicht intendierten Nebeneffekten kommen kann, die niemand vorhersehen konnte. Meine Vision nach der Krise wäre wenn dann ein Co-Growth: also ein Wachstum, dass soziale und ökologische Kriterien zu integrieren versucht. Sei es durch nachhaltige Innovation der Produkte, Dienstleistungen oder Prozesse der Unternehmen, die auch wiederum positive wirtschaftliche Effekte wie Kosteneinsparungen etc. mit sich bringen. Nur so kann eine Evolution eingeleitet werden, indem man bei dem ansetzt, was bereits da ist und es transformiert und nicht einen Bildersturm auf das Erreichte einläutet.

 

Unternehmensverantwortung und CSR in der Krise – 5 Fragen an… ist eine Interviewreihe zum Thema Wirtschaftsethik in Krisenzeiten. Sie zeichnet sich besonders durch die Pluralität unserer Expert_innen aus. Die gesamte Reihe veröffentlichen wir fortlaufend im Dossier.
 

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