“Food for Thought” im Rahmen der virtuellen DNWE-Veranstaltungsreihe zum Thema “Wirtschafts- und Unternehmensethik zwischen Nachhaltigkeit und Krisenmanagement”

 

Verehrte Besucherinnen und Besucher unserer Jahrestagung, Edition 2020.

vor noch nicht ganz einem viertel Jahrhundert bin ich ins DNWE eingetreten. Annette Kleinfeld war schon da und Peter Eigen hielt bei der damaligen Jahrestagung eine flammende Rede. Eine flammende Rede für eine verantwortungsvolle Gestaltung der Globalisierung. Nein – Korruption ist keine kulturelle Besonderheit in manchen Teilen der Welt, sondern überall falsch und überall zu bekämpfen, natürlich mit regional unterschiedlichen Voraussetzungen und Mitteln. Andere sagten bei der gleichen Tagung, dass es doch abenteuerlich wäre, wenn eine deutsche Konzernzentrale globale Anti-Korruptionsstandards überlegen, verabschieden oder gar versuchen würde, durchzusetzen. Globalisierung als Herausforderung und die Gestaltung als die ganz große Herausforderung.

Heute reden wir von De-Globalisierung und manche träumen von einer Regionalisierung der Wertschöpfungsketten. Die Frage ist also – ob heute alles anderes ist? Ob wir heute ganz andere Fragen stellen müssen? Ganz andere flammende Reden halten? Oder die flammenden Reden gleich anderen überlassen? Egal was sie sagen?

  • Wie immer in Krisen ist derzeit viel davon die Rede, dass wir Resilienz lernen müssten, die Fähigkeit an Widerständen nicht zu zerbrechen. Die Fähigkeit, sich Störungen und Veränderungen anzupassen, ohne die grundlegenden Eigenschaften zu verändern. Der Bambus ist elastisch, aber er strebt wieder in seinen Ausgangszustand. Wenn ich den Bambus klein häcksle, dann ist es kein Bambus mehr.

Ich möchte mal mit Ihnen sehen, ob sich grundlegende Kategorien der Wirtschaftsethik tatsächlich verändern müssen oder ob sie hinreichend resilient sind.

Dem Briefing der Tagungsleitung folgend, möchte ich das in vier Schritten tun:

  1. bzgl. Unternehmensverantwortung und CSR
  2. bzgl. der Priorisierung von Nachhaltigkeit
  3. bzgl. der grundlegenden Konzeption, wie wir wirtschaften und wirtschaften wollen und
  4. bzgl. der Aufgabe der Wirtschafts- und Unternehmensethik.

 

1. Ändert sich in den Zeiten der Pandemie die Bedeutung von Unternehmensverantwortung und CSR?

What to do? Und: How to do it? Für beide Dimensionen gibt es Verantwortung.

Das “How to do it” hat natürlich mit Fairness und Regeleinhaltung zu tun. Zur Compliancefunktion hatten wir einen anderen Webcast. Ich lasse das jetzt mal etwas links liegen.

Aber wie steht es um den Rest? In den schon erwähnten 90ern und frühen Nuller-Jahren wurde mal aufgeschrieben, welche Aufgaben Unternehmen in einer Marktwirtschaft haben – in normativer Hinsicht. Und das waren vier:

  1. geeignete Produkte und Dienstleistungen erstellen und anzubieten
  2. dieses effizient zu tun
  3. immer wieder Innovationen in die Gesellschaft hinein zu tragen und
  4. die bei all dem entstehenden Risiken selbst zu tragen

 

Das waren die vier Kernaufgaben und das Versprechen der Marktwirtschaft war: Wenn ein paar externe Voraussetzungen gegeben sind und Du in diesen vier Disziplinen gut bist, dann sollte sich das auch rentieren. Die falschen oder schlechte Produkte, unnötige Ressourcenverbräuche, also Ineffizienz, mangelnde Innovation in times that are a changing oder ein fahrlässiger Umgang mit Risiken, das wird bestraft. So wäre Unternehmensverantwortung in einer Marktwirtschaft.

Woran erkennen wir ein normatives Konzept? Daran dass es nie ganz mit der Realität übereinstimmt. Natürlich gab es immer und gibt es massive Abweichungen. Und zwischen den vier Punkten gibt es eingebaute Zielkonflikte – so ist das Leben. Und ganz sicher ist da mit den Erfahrungen der Pandemiebewältigung manches zu justieren:

  • Rächen sich zu spät erfolgte Innovationen, weil es erst einer Pandemie und eines Shut-Downs brauchte, um digitale Prozesse aus den Nischen der Technik-Freaks herauszuholen?
  • Ist meine Produktpalette geeignet, um auch größere Marktschwankungen abfedern zu können?

 

Usw. usw. – ganz viel ist hier in der Ausgestaltung der Strategien neu zu überprüfen, aber es ist doch kein Anlass, die Kategorien der Unternehmensverantwortung neu zu sortieren. Nein – sie bewähren sich gerade jetzt.

Allerdings sind die vier Verantwortlichkeiten von Unternehmen natürlich Verantwortlichkeiten in einer Marktwirtschaft westlicher Prägung. Die Aussetzung relevanter Grundrechte, vornehmlich des Eigentumsrechtes, der freien Berufswahl und der Ausübung des eigenen Gewerbes, ist nicht vorgesehen. Es gibt kein Recht auf Kundschaft, aber es gibt auch kein Recht des Staates, die Kundschaft draußen zu halten. Und wenn er es doch tut und damit Verfügungsrechte beschneidet, dann ist das so etwas wie eine Enteignung. Enteignung nicht im juristischen Sinne, sondern im ökonomischen Sinne, wo Eigentum ja vor allem bedeutet: Verfügen zu können, Verfügungsrechte zu haben.

Enteignung ist möglich, aber erfordert Entschädigung. Insofern sind manche der sogenannten “Hilfen” in der normativen Perspektive einfach nur die Entschädigung für staatlich verfügte Schließungen – natürlich nur, wenn sie für alle betroffenen Unternehmen offen stehen. Für alle Juristen, in denen der Widerspruch schon hochkocht: Ja ich weiß, dass juristisch derzeit es keine “Entschädigungen” für Betriebsschließungen und -einschränkungen gibt, weil das eben unter der Ägide des Infektionsschutzgesetzes nicht vorgesehen ist. Aber daher wird es ja auch strittig werden, ob das Infektionsschutzgesetz wirklich geeignet ist, über Monate zur Grundlage einer neuen Wirtschaftsordnung zu werden.

Food for Thought: Unternehmen sind Teil der Gesellschaft und einer oder mehrer Staatsordnungen. Lassen Sie uns mal wieder gründlicher nachdenken über den Zusammenhang zwischen Unternehmensverantwortung und der Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, in der Unternehmen Verantwortung tragen bzw. tragen sollen.

 

Ähnlich müsste man bei CSR vorgehen. Erst mal die Kategorie klären und dann in die Empirie blicken. Ob Unternehmen ihre CSR-Aktivitäten in Corona-Zeiten verschieben oder zurückschrauben oder teilweise auch mit erhöhtem Spendenaufkommen erhöhen, das setzt erst mal voraus, die Kategorie zu klären. Kleine Anekdote: Ein Unternehmen aus Rhein-Main hat eine größere Zahl von Verwaltungsmitarbeitern auch in Hamburg. In Rhein-Main gibt es eine Kantine. In Hamburg gibt es keine Kantine. Die Mitarbeiter in Hamburg erhalten einen Essensgutschein oder pauschalen Zuschuss. Wir sind nun in der Shutdown-Phase und alle Mitarbeiter sind im Home-Office. Die Kantine in Rhein-Main ist geschlossen. Es entsteht eine Initiative von Mitarbeiterinnen, dass es nach der Kantinenschließung jetzt auch in Rhein-Main Essenszuschüsse geben müsse – aus Gründen der Gleichbehandlung. Ich habe nicht verfolgt, ob die Unternehmensleitung eventuell an die Mitarbeiter in Hamburg geschrieben hat: Aus Anlass einer Initiative aus der Hauptverwaltung werden in Hamburg die Essensgutscheine abgeschafft – aus Gründen der Gleichbehandlung.

Food for Thought: Lassen Sie uns mal wieder nachdenken über den Standard unserer Erwartungsgewohnheiten untereinander, aber auch den Unternehmen und dem Staat gegenüber.

 

2. Ändert sich die Priorisierung von Nachhaltigkeit?

Ob sich die Priorisierung von Nachhaltigkeit ändert und ändern darf? Ich weiß, dass viele Sorgen haben, dass insbesondere die Klimaschutzanstrengungen unter den aktuellen Bedingungen zurückgestellt werden könnten. Wenn das der Fall wäre, dann frage ich mich, welchen Stellenwert diese eigentlich hatten. Waren sie ein Hype in der dauernd nötigen Aufregungs- und Krisengefühls-Bewirtschaftung?

Nachhaltigkeit kommt jedenfalls aus der Forstwirtschaft: Nicht mehr Bäume dem Wald entnehmen, als er wieder wachsen lassen kann. Sie kennen das alle. Und wenn der Sturm große Schneisen hinein geschlagen hat, auch überlegen, welche Baumarten eigentlich geeignet sind. Aus meiner Sicht gehört dieses Nachhaltigkeitsmanagement in den Zielkonflikt der beiden Verantwortungsdimensionen Effizienz und Risikoawareness. Vermeintliche Effizienz, welche den Eigenkapitalanteil immer weiter reduziert, gleichzeitig ökologische und soziale Ressourcen verschleudert und damit vermeidbare Risiken evoziert, ist eben kein gutes Management der Unternehmensverantwortung. Das war auch ohne Greta und den FFF-Hype immer klar. Aber dieser hat Teile dieser Verantwortungsdimension öffentlich in den Fokus gerückt. Ob aber Alarmismus geeignet ist, Nachhaltigkeit zu fördern? Ich weiß es nicht.

Vor zwei Stunden war die Jahrestagung der 2-Grad-Stiftung. Das sind die Unternehmen, welche bereits investiert haben in eine Klimatransformation. Prof. Michael Otto forderte dabei, dass es klare und langfristige Rahmenbedingungen für Unternehmen gäbe, weil die Investitionsrentabilität in manchen Bereichen Fristen von 20-30 Jahren erforderten. Dies ist verständlich. Aber ich bin mir nicht sicher, ob es zu Nachhaltigkeit passt, wenn wir uns daran gewöhnen, dass der Staat adhoc im Wochenrhythmus erklärt, was geht und was nicht geht. Wachstum von Vertrauen funktioniert vermutlich anders und benötigt Fristen wie bei Bäumen.

Food for Thought: Lassen Sie uns mal wieder nachdenken darüber, ob Form und Botschaft der Klimabewegung und der Klimapolitik zu dem unstrittigen Nachhaltigkeitsanliegen passen. Eigentlich würde ich sagen, dass Nachhaltigkeit ein Marathon und kein Sprint ist. Aber ich habe gelernt, dass dieses Bild durch die Pandemie auch ausgelutscht ist. Die Worte werden knapp.

Und damit bin ich abschließend bei den Worten und Diskursen:

 

3. Gibt es eine grundlegende Diskursveränderung – hin zu einer Neukonzeption künftigen Wirtschaftens?

Unbestreitbar ist, dass es ein ganz verbreitetes Unwohlsein mit vielen Phänomenen gegenwärtigen Wirtschaftens gibt – und zwar schon länger, nicht erst durch die Pandemie:

Menschen suchen wieder Beheimatung in der kalten Globalisierung. Einen Wiedererkennungswert. Und vom mobilen Büro bis zur globalen Lieferkette passiert das Gegenteil. Wie oft der Joghurtbecher um den Globus gegangen ist, weiß keiner. Das Thema ist alt. Aber jetzt weiß auch keiner, wo er einen Schreibtisch findet, wenn er morgens ins Büro kommt und mit seinem Rollcontainer auf Suche geht. Sie können unzählige Beispiele dafür finden. Einbettung, Einhegung, ein Rückdrehen der unübersichtlichen, komplexen Entgrenzung.

Eine zweite Veränderung hat sicher mehr mit der Pandemie zu tun. Wir verändern Routinen. Alleine die Umstellung der Arbeitsplatzlogiken (Stichwort Home-Office) hat hier viel in Bewegung gebracht. Was daraus auf Dauer wird, werden wir sehen. Aber es gibt auch eine beginnende Veränderung der allgemeinen Logiken: Bevor Du aus dem Haus gehst oder ein paar Freunde einlädst: Schau erst mal nach, ob es erlaubt ist. Wenn wir uns daran gewöhnen, immer erst nach Genehmigung zu fragen, wird mir persönlich etwas Angst und Bange.

Eine dritte Veränderung jedoch, scheint mir die relevanteste zu sein. Die grundsätzliche Transaktion in einer Marktwirtschaft ist der Tausch. Zwei Seiten, zwei Güter, zwei Willenserklärungen, ein Vertrag. Aus diesem Grundmuster ist alles aufgebaut. Es gab schon immer Ausnahmen. Und vor allem darf eine Gesellschaft nicht alles nach diesem Muster regeln. Es gibt ein “Jenseits von Angebot und Nachfrage.”

Aber für den Bereich der Wirtschaft (nicht für das ganze Leben) war und ist der Tausch das entscheidende Paradigma. Auch ein Mietvertrag basiert auf der Grundfigur des Tausches (Wohnrecht gegen Miete), auch ein Arbeitsvertrag usw.

Doch diesbezüglich gibt es eine Entwicklung, von der ich nicht entscheiden will, ob es eine Mode ist oder ein Trend oder gleich ein Paradigmenwechsel. Grundmuster vieler Debatten ist nicht mehr der bilaterale Tausch, die zwei Marktseiten und natürlich auch die Frage der notwendigen Regeln, sondern es ist die gemeinsame Bewirtschaftung. Am deutlichsten sieht man dies in der Diskussion über die Commons, aber natürlich auch in der Plattformökonomie, bei der es eben nicht mehr zwei Marktseiten gibt, sondern mindestens drei.

 

4. Welchen Beitrag kann oder sollte Wirtschafts- und Unternehmensethik leisten?

Gerade wenn sich scheinbar alles ändert, müssen die Ethiker coolen Kopf bewahren. Ethik hat es nun mal nicht nur mit Prognosen zu tun, sondern mit normativen Überlegungen.

Und da finde ich es schon schwierig, wenn hochgeschulte Kollegen einfach sagen: “Wir sind in einem Übergang von der Wettbewerbsökonomie in eine Kooperationsökonomie”. Jahrelang haben wir diskutiert und sind zu dem Schluss gekommen, dass es darum geht, den Wettbewerb eben nicht als Kampf aller gegen alle zu denken und zu gestalten bis nur noch ein Monopolist übrig ist, sondern dass man Wettbewerb selber als Kooperation denkt und daher Regeln akzeptiert. Zum Beispiel, dass die Akteure einer Marktseite im Wettbewerb sein sollen und nicht zu viel zusammenarbeiten dürfen. Vielleicht ist das eine Denkweise des letzten Jahrhunderts. Aber falsch ist es deshalb nicht.

Von Wirtschaftsethikern würde ich erwarten – und das ist das einzige, was wir beitragen können -, dass wir zwischen der Beschreibung und dem Vorschlag in aller Ruhe normative Argumente abwägen. Dass ein System funktioniert und vielleicht erfolgreich ist, reicht in der Ethik einfach nicht aus.

Food for Thought:. Lassen Sie uns mal nachdenken über die Frage, was das in China beginnende Social Credit Rating, also das Erfassen der Vertrauenswürdigkeit (Kredit) nach gesellschaftliche festgelegten Standards und die Behandlung von Wirtschaftsakteuren entsprechend dieser Rating Scores eigentlich ist und ob es nicht doch ganz nützlich sein könnte.

 

Vielleicht kommt dann der eine oder die andere zu dem Schluss, dass wir – Transformation hin oder her – eigentlich doch ganz gern und mit guten Gründen in derjenigen Wirtschaftsordnung leben wollen, die derzeit unpopulär wie nie ist – eine gut geordnete und insofern soziale Marktwirtschaft, in welcher Unternehmen vier Verantwortlichkeiten haben.

Herzlichen Dank.

 

Der Autor

Prof. Dr. Joachim Fetzer

Prof. Dr. Joachim Fetzer lehrt Wirtschaftsethik (www.wirtschaftsethik.com) und ist Mitglied im Lenkungsausschuss von Sustainable Development Solutions Network – SDSN Germany (www.sdsngermany.de).

fetzer@dnwe.de

 

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